Die Deutschen, und teilweise auch die Franzosen, seien es sich gewohnt, Italien als eine Art Discounter zu betrachten, in dem sie interessante Marken zu niedrigen Preisen kaufen können. Spätestens mit dem jüngsten Vorstoss der italienischen Grossbank Unicredit in Deutschland hätten sich die Dinge aber geändert, sagt der Finanzjournalist Gabriele La Monica in einem Interview mit finews.ch.


Herr La Monica, hat sich der CEO von Unicredit, Andrea Orcel, überschätzt oder ist er ein Visionär?

Weder noch. Andrea Orcel (Bild unten) ist ein Banker, der die nötige Standhaftigkeit besitzt, um politischem Druck Paroli zu bieten und «Nein» zu sagen, wo andere es nicht können, wie es im Fall des Dossiers zur Übernahme von Monte dei Paschi di Siena (MPS) geschehen ist.

Gleichzeitig ist er ein Banker, der den Markt sehr gut kennt – darauf wartet, dass die Preise seinen Erwartungen entsprechen, und schnell und diskret handeln kann, wie er dies bei Commerzbank bewiesen hat.

Was ist der langfristige Plan Orcels?

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Andrea Orcel (Bild: Unicredit)

Der langfristige Plan besteht darin, Unicredit auf eine Marktkapitalisierung von über 100 Milliarden Euro zu bringen, was konkret bedeutet, mit den Schwergewichten der globalen Hochfinanz konkurrieren zu können. Ich denke, dies wird auch durch eine Fusion mit Commerzbank geschehen.

«Die extreme Rechte mag nichts, was aus dem Ausland kommt, schon gar nicht die Italiener»

Ich glaube ausserdem, dass die Einkaufstour noch nicht vorbei ist, aber es gibt keine Gewissheit darüber, wer die nächsten Ziele sein könnten. Mediobanca ist ein Evergreen, aber viele wetten auf neue ausländische Übernahmen.

In diesem Zusammenhang gibt es immer wieder Gerüchte, die allerdings nie bestätigt wurden, über Julius Bär etwa auch. Bislang sind das jedoch nicht mehr als Stammtischgespräche. Die Zukunft wird es zeigen.

Hat die deutsche Regierung geschlafen, während Orcel die Commerzbank ins Visier nahm?

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Commerzbank (Bild: Keystone)

Vielleicht hat sie nur so getan, als ob. Bundeskanzler Olaf Scholz musste sich den Wahlen im Bundesland Brandenburg stellen. Hätte die AfD gewonnen, hätte das wohl die deutsche Regierung erschüttert.

Die protektionistische Ansage diente meiner Meinung nach eher dazu, die AfD-Stimmen nicht weiter zu steigern als aus anderen Gründen. Die extreme Rechte mag nichts, was aus dem Ausland kommt, und schon gar nicht die Italiener, die nach einem staatlichen Rettungspaket eine deutsche Bank kaufen wollen.

Ist die abwehrende Haltung Deutschlands verständlich?

Nur wenn man sie im Zusammenhang mit der aktuellen Situation der Regierungspartei betrachtet.

Im Gegensatz dazu steht Lufthansa kurz davor, ITA Airways zu übernehmen. Das ist aus deutscher Sicht akzeptabel, aber für Commerzbank wäre es nicht der Fall. Können Sie das verstehen?

Die Deutschen, und teilweise auch die Franzosen, sind es gewohnt, Italien als eine Art Discounter zu betrachten, in dem sie interessante Marken zu niedrigen Preisen kaufen können. Aber in den letzten Jahren haben sich die Dinge geändert.

«Hätte man ITA der Schweizer MSC überlassen, hätte dies die italienischen Flughäfen maximiert»

Persönlich hätte ich Ita Airways nicht an die Lufthansa verkauft, und zwar nicht aus lokalpatriotischen Gründen. Diese Entscheidung führt zu einer Schwächung von Mailand Linate zugunsten deutscher Flughäfen.

Hätte man ITA Airways der Schweizer MSC überlassen, hätte dies die Rolle der italienischen Flughäfen maximiert.

Wenn Orcels Plan aufgeht und er es schafft, bis zu 30 Prozent der Commerzbank zu erwerben, wäre das das erste bedeutende Geschäft innerhalb Europas. Was denken Sie?

Ich denke, dass es davon noch viel mehr geben sollte, aber realistisch gesehen glaube ich, dass nationale Interessen dominieren werden. Der Unicredit-Konzern hat den Deutschen bereits mit der Übernahme von HVB bewiesen, dass er verlässlich ist.

Könnte eine europäische Bank entstehen, die mit den amerikanischen und chinesischen Banken konkurrieren kann?

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Hauptsitz der Unicredit in Mailand (Bild: Keystone)

Das ist das Ziel von Orcel, er hat es mehrmals gesagt, und ich glaube, er wird es schaffen.

Unter der Führung Orcels hat Unicredit an Gewinn, Struktur und Erfolg gewonnen. Dennoch ist das Institut nicht so global präsent wie die UBS oder die Deutsche Bank. Wie bedeutend ist Unicredit wirklich?

Sie ist bedeutend, aber es gibt tatsächlich einige Bereiche, in denen sie noch wachsen muss, um das Niveau von UBS zu erreichen, zum Beispiel im Wealth Management.

Glauben Sie, dass wir weitere grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen in Europa sehen werden?

Ich hoffe es, aber ich denke, es wird kompliziert, bevor eine echte Bankenunion erreicht ist.

Wie wird der grosse Rivale Intesa Sanpaolo reagieren, wenn Unicredit so mächtig wird?

Das fragen sich viele. Die Bank könnte sich mit ihrer Vormachtstellung in Italien zufriedengeben. Aber es ist schwer vorstellbar, dass ein CEO wie Carlo Messina sich damit «zufriedengibt». Jeder weiss, dass sein Traum die Übernahme von Mediobanca ist.

Mal sehen, ob daraus Realität wird. Es ist ein sehr komplizierter Traum, wenn man ihn realisieren will. Dennoch glaube ich nicht, dass Intesa einfach zusehen wird, wie Unicredit wächst, ohne etwas dagegen zu unternehmen.


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Gabriele La Monica (Bild oben) zählt zu den erfahrensten Finanzjournalisten Italiens. Er leitet die Mailänder Redaktion der italienischen Nachrichtenagentur «Milano Finanza – MF Newswires», die zum führenden italienischen Wirtschaftsmedienkonzern Class Editori gehört.