Nicht nur für die Obligationäre lohnt sich ein Blick hinter die Fassade der glänzenden Abschlüsse und Kennzahlen der europäischen Banken. Viele sind immer noch zu wenig rentabel. Risiken birgt auch der Schattenbankensektor und speziell Private Debt. Die Liquidität international tätiger Bankkonzerne ist oft in ausländischen Finanzzentren gebunden. Kaum Bedenken hegen die Bonitätswächter von I-CV indes gegenüber einer Übernahme der Commerzbank durch die Unicredit.
Dass sich grossen europäischen und US-Banken derzeit gemessen an Indikatoren wie der Qualität der vergebenen Kredite, der Ertragskraft, der Kapitalisierung und der Liquidität in einer guten Verfassung präsentieren, war eine der Erkenntnisse des Swiss Bond Congress 2024 von Mitte September, über den auch finews.ch berichtete.
In der Zwischenzeit hat die Veranstalterin, die auf Bonitätseinstufungen spezialisierte Independent Credit View (I-CV), ihren Kunden auch eine detaillierte Studie zum Gesundheitszustand der Grossbanken verschickt, die finews.ch ebenfalls vorliegt. Darin sind auch Empfehlungen zu finden.
Marktführer statt Nischenanbieter
Aus Obligationärssicht raten die Bonitätsspezialisten, generell marktführenden, breit diversifizierten Banken mit robusten Geschäfts- und Finanzprofilen den Vorzug gegenüber Nischenanbietern zu geben. So werden etwa Institute, die nur im Markt für Gewerbeimmobilienfinanzierung tätig sind, für normale Obligationäre (ohne Besicherung) als unattraktiv bezeichnet.
Aus fundamentaler Sicht werden in den USA J.P. Morgan Chase und Bank of America gegenüber Citigroup und Wells Fargo bevorzugt.
Differenzieren lohnt sich
In Nordeuropa bieten gemäss I-CV die norwegische DNB, die dänische Nykredit und die schwedische Skandinaviska Enskilda Banken (SEB) Potenzial. In West- und Südeuropa zählen die niederländische ING Groep, die belgische KBC, die britische Lloyds, die Schweizer UBS, die österreichische Erste Group Bank, die italienische Unicredit und Intesa SanPaolo sowie die spanische Banco Santander und BBVA zu den Favoriten. In Frankreich wird der BNP Paribas, Crédit Agricole und Crédit Mutuel der Vorzug gegenüber der Groupe BPCE und Société Générale gegeben.
Die Qualität der Aktiven liegt dank der freundlichen Konjunktur, der strengeren Regulierung und der besseren Risikodisziplin der Banken auf einem hohen Niveau, was sich spiegelbildlich in einer im historischen Vergleich tiefen Quote von Problemkrediten niederschlägt; selbst im schwächsten Viertel der untersuchten Banken (alle 163 von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA überwachten Banken) liegt sie unter 3 Prozent.
Tricksereien und Abwanderung in den Schattenbanksektor
Es lohnt sich aber, im Einzelfall genau hinzuschauen, wie der Wert zustandegekommen ist. I-CV spricht etwa von «Tricksereien» inlandorientierter spanischer Banken, die Problemkredite in Wertpapiere oder Beteiligungen transformiert hätten. Die Banken hielten nun namhafte Minderheitsbeteiligungen an Immobiliengesellschaften von Finanzinvestoren, die grosse Teile ihrer Problemkredite übernommen hätten.
Zudem sei in der Folge gut gemeinter Regulierung viel klassisches Kreditgeschäft von den Banken in den Schattenbanksektor abgewandert. «Bankenaufsicht wie Investoren haben nur einen unvollkommenen Einblick in Volumina, Strukturen und Risiken von Private-Debt-Anlagen und in die Interdependenzen von Banken und nur schwach regulierten anderen Kreditgebern», warnt I-CV und befürchtet, dass in einer schärferen Rezession die Nachfrage nach Private Credit und damit das Kreditangebot für Unternehmen markant zurückgeht, was zu Verlusten auch für die Banken führen könnte.
Skepsis der Aktionäre gegenüber europäischen Banken
Bei der Rentabilität profitierten die Banken davon, dass sie nach der langen Durststrecke im Zinsgeschäft aufgrund der Tiefzinsphase ihre Kostendisziplin verbessert hätten. Allerdings gibt es bei der anhand der Cost-Income-Ratio gemessenen Effizienz grosse Unterschiede, was auch auf die Struktur der nationalen Märkte zurückzuführen sei.
Zudem schafften es viele Institute nach wie vor nicht, ihre kalkulatorischen Eigenkapitalkosten zu decken, moniert I-CV. Das zeige sich auch in der tieferen Börsenbewertung europäischer Banken gegenüber ihren Peers aus anderen Weltregionen. Der Obligationär soll diese Skepsis der Aktionäre zur Orientierung nutzen.
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