Der Chef der Migros Bank begrüsst die Rückkehr von Coop ins Finanzgeschäft: Die Migros-Erzrivalin tue dies bestimmt, weil sie dort ein Wertversprechen erkenne, sagt Manuel Kunzelmann im Interview mit finews.ch. Sein Institut sieht er jedoch an einem ganz anderen Ort – und als Teil eines funktionierenden Ökosystems. 


Herr Kunzelmann, sind Sie von der neuen Super-App Coop Finance+ der Migros-Konkurrentin Coop überrascht worden?



Davon wusste ich tatsächlich nichts. Aber ich habe mir seither einige Gedanken dazu gemacht…



Lassen Sie hören.



Als Privatperson finde ich es eine tolle Sache, wenn sich ein starker Brand mit einem Finanzdienstleistungs-Offering verbindet. Und als CEO der Migros Bank ist es für mich wie das Salz in der Suppe: Konkurrenz belebt das Geschäft, und es macht auch unsere Position attraktiver.



Inwiefern? Wir reden hier doch über den Erzrivalen der Migros.



Ende der 1990er-Jahre übernahm die Basler Kantonalbank (BKB) die Mehrheit der Coop Bank; Coop verabschiedete sich nach und nach aus dem Finanzdienstleistungs-Geschäft. Wenn das Unternehmen nun wieder ins Banking zurückkehrt, dann doch bestimmt, weil es dort ein interessantes Wertversprechen erkennt. Nicht zuletzt unterstreicht die Initiative den Trend zum Open Banking: Coop meldet sich im Metier zurück und muss dazu nicht mehr über eine eigene Banklizenz verfügen. Das finde ich beeindruckend.



Dies im Gegensatz zur Migros, die mit der Migros Bank über eine lizenzierte Tochter verfügt. Es wird gemunkelt, dass die Migros ebenfalls an einer Super-App tüftelt, nun aber von Coop rechts überholt worden sei. Trifft dies zu?



Davon hätte ich gehört. Aber die Ausgangslage lässt sich kaum vergleichen. Wir sind eine Universalbank, die das gesamte Spektrum von Bankdienstleistungen für Private und Firmen abdeckt.

«Wir können als Migros Bank gar nicht alles so schnell abarbeiten»

Nicht erst seit 2023 forcieren wir ausserdem unser Direktbank-Angebot, konkret unsere neue Videoberatung und die Online-Services. Wir sind also auch auf der digitalen Schiene an einem ganz anderen Punkt.



Die Migros hat das Modell der Tesco Bank in der Schweiz schon zum Funktionieren gebracht?



Wir sind eben gerade keine Tesco Bank, sondern, und dies ganz im Sinne des Migros-Gründers Gottlieb Duttweiler, ein Tochterunternehmen mit eigenständigem Geschäft. Die Tesco Bank ist hingegen aus dem gleichnamigen britischen Retailer als akzessorisches Finanzgeschäft zum Detailhandel entstanden und verfügt heute nur über einen Bruchteil der Grösse der Migros Bank. Unsere Herangehensweise, Bankdienstleistungen von Grund auf anzubieten, hat für eine ganz andere Kundenbasis gesorgt. Und wenn wir von einer Super-App reden…



Dann?



...stelle ich fest, dass damit fast mystische Vorstellungen verknüpft werden. Tatsache ist, dass die Migros bereits über eine Super-App verfügt. Das Marketing verschiedenster Bereiche und der Online-Verkauf werden mittlerweile konsolidiert angeboten. Dazu gehören auch Bezahlfunktionen, bei denen die Migros Bank ins Spiel kommt. Die verschiedenen Unternehmen der Gruppe arbeiten da sehr eng zusammen.



Bloss hat das noch keiner gemerkt?



Mir gefällt, dass wir da offenbar etwas unter dem Radar fliegen. Das passt zu unserer Schweizer Art, nicht zu dick aufzutragen.

Sie sind 2020 bei der Migros Bank als Digitalisierer angetreten. Ist man mittlerweile in der Migros-Gruppe so weit, dass etwa bei der Aufnahme einer Hypothek auch gleich das Sortiment beim Migros-Möbelhaus Micasa zur Sprache kommt?



Sie sprechen hier eine Plattform-Thematik an, die weit über die angesprochene Super-App hinausgeht. Die Migros-Gruppe verfügt über mehrere Dutzend Unternehmen, oftmals mit eigenem Online-Auftritt, die sich teils eigenständig am Markt positionieren. Das Spektrum ist damit so riesig, dass wir als Migros Bank nicht alles so schnell abarbeiten können.



Aber einzelne Beispiele gibt es?



Sogar viele! Nehmen sie die knapp 100’000 Migros-Mitarbeitenden, deren privaten Finanz-Bedürfnisse wir vollständig abzudecken versuchen: Von der Grösse her ist allein dieses Geschäft so bedeutend wie das Volumen einer mittleren bis grösseren Regionalbank.

«Die Cumulus-Karte ist ein zentraler Pfeiler»

An diesem spezifischen Offering haben wir in den vergangenen Jahren intensiv gearbeitet. Weiter bieten wir die Cumulus-Kreditkarte an, ebenfalls ein eminent wichtiger Bereich für die Gruppe, bei dem Retail- und Finanzdienstleistungen jetzt schon kombiniert werden.



Bei der Cumulus-Kreditkarte hat sich die Migros-Gruppe 2021 entschlossen, die Zusammenarbeit mit der Cembra Money Bank auslaufen zu lassen und die am weitesten verbreitete Kreditkarte der Schweiz von der eigenen Migros Bank betreuen zu lassen. Wie sieht die Bilanz nach zwei Jahren aus?



Wir sind sehr zufrieden. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass die bisherigen Nutzer der Cumulus-Kreditkarte sich aktiv für den Wechsel zu unserem Angebot entschieden. Das ist ein Prozess, der noch nicht abgeschlossen ist. Für die Gruppe ist die Bilanz zudem positiv, weil wir damit insgesamt Neukunden gewinnen und die Cumulus-Kreditkarte für die Migros ein sehr wichtiges Instrument zur Kundenbindung ist. Aus der Finanzdienstleistungs-Optik ist die Cumulus-Karte ein zentraler Pfeiler, um die Verbindung zwischen Banking und Retail zu festigen.



Da werden wir also noch mehr von Migros und der Migros Bank hören?



Wir werden diszipliniert an diesem Pfeiler bauen und uns kontinuierlich bemühen, den Karten-Kunden weitere Vorteile zu bieten. Das gilt nicht nur für die Cumulus-Karte, sondern für das gesamte Ökosystem, in dem wir arbeiten.



Wie meinen Sie das?



Die Migros Bank hat eigentlich genau das gleiche Angebot wie jede andere grössere Bank – Zahlen, Sparen, Anlegen, Finanzieren, Vorsorge und einiges mehr. Was uns aber einzigartig macht ist, dass wir jetzt schon Teil eines funktionierenden Ökosystems mit einer der beliebtesten Marke der Schweiz sind.

«Die Migros ist auch eine feminine Unternehmung»

Ich denke da zum Beispiel an den Immobilien-Bereich, wo wir innerhalb der Gruppe über die Finanzierung über die Bewirtschaftung und die Ausrüstung sämtliche Kundenbedürfnisse abdecken. 



Die Migros Bank hat ja, abgesehen von den Angeboten der Gruppe, auch ihre eigenen Kunden. Wie digital ist der Kontakt zu diesen inzwischen?



Wir bieten inzwischen für jede Banking-Dienstleistung ein Selbstbedienungs-Angebot an. Doch damit haben Sie als Bank den Brückenschlag zur Kundschaft noch nicht geschafft. Selbstbedienung ist oft herausfordernd für die Kunden, es braucht deshalb auch eine Distanzberatung mit Menschen aus Fleisch und Blut. Wenn beides gut ineinandergreift, haben sie den «Sweet Spot» in diesem Geschäft erreicht. Wir machen dieses Angebot nun nicht mehr grösser, sondern besser – wir wollen in diesem Feld bei den Kunden einen echten Unterschied machen.



Sie haben einmal die Losung ausgegeben, die Migros Bank müsse von Youtubern und Influencern lernen. Kommen diese Lektionen bei der Distanzberatung ins Spiel?



Wir arbeiten mittlerweile mit Streaming, wo früher Kunden zum Telefon greifen mussten. Wir stellen fest, das ist ein neuartiger Kanal, der Berufsleute anzieht, die neue Wege gehen wollen. Noch mehr, die neue Videoberatung ist auch ein Karrieremodell für unsere Mitarbeitenden. Beim Streaming lernen Sie neben dem Bankfachwissen zusätzliche Fähigkeiten einzusetzen wie etwa das Verhalten vor der Kamera, den Einsatz multimedialer Präsentationen kombiniert mit viel technischem Know-how.



Als Influencer dürfen auch die Macherinnen des Zürcher Fintechs ElleXX gelten, für welche die Migros Bank die Aktien für ein Strukturiertes Produkt zum Thema Gleichberechtigung der Geschlechter zusammengestellt hat. Das Zertifikat hat indes über die gesamte Laufzeit besehen Buchverluste eingefahren und ist immer wieder Gegenstand von Medienschelte. Wo ist da der «Sweet Spot» für die Migros Bank?



Für uns ist die Zielgruppe spannend. Wir haben viele Kundinnen, und gewisse von ihnen interessieren sich für das Finanzprodukt von ElleXX. Das ist aber nur eine Facette einer Vielzahl von Bedürfnissen, bei denen eine Bank etwas beisteuern kann – nehmen sie etwa die Altersvorsorge oder die Finanzberatung. Ich möchte daran erinnern, dass Gottlieb Duttweiler die Migros für Frauen gebaut hat. Die Migros ist auch eine feminine Unternehmung.



Diese Unternehmung ist allerdings aktuell im wichtigen Detailhandel gefordert, die Migros-Supermärkte kämpften zuletzt teils mit Umsatzschwund. Nimmt da innerhalb der Gruppe die Anspruchshaltung gegenüber der Bankentochter zu?



Der Detailhandel ist als Sektor insgesamt in Bewegung. Da werden in der Aussenwahrnehmung gerne unzutreffende Zusammenhänge konstruiert. Es geht dabei oft vergessen, dass es sich bei der Migros um ein Schwergewicht handelt.

«Wir haben keinen einzigen Franken Dividende an die Gruppe ausgeschüttet»

Die Gruppe ist mit über 21 Milliarden Franken Eigenkapital finanziell kerngesund und betreibt auch weiterhin, unabhängig von der Gewinnherkunft, vier strategische Geschäftsfelder: Food und Retail, Gesundheit und Finanzdienstleistungen. Im letzteren Feld finden sich die Bank, die Immobilien-Dienstleistungen und die Versicherungen.



Aber der Finanzpfeiler gewinnt doch angesichts der Lage im Retailgeschäft an Bedeutung, oder?



Die Migros Bank ist ein zentraler Pfeiler der Gruppe. Ihre Gewinne werden, anders als man vielleicht meinen könnte, dazu verwendet, das Eigenkapital des Instituts zu äufnen. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren keinen einzigen Franken Dividende an die Gruppe ausgeschüttet.



Und für das Jahr 2023?



Das kann ich noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber ein ganz grosser Teil des Gewinnes wird auf jeden Fall thesauriert. Denn unsere Kapitalstärke kommt wiederum den Haushalten und Unternehmen zugute, denen wir damit bei stabil hoher Kapitalquote mehr Kredite sprechen können. Die Gruppe ist wie gesagt finanziell so potent, dass sie auf Ausschüttungen ihrer Bank nicht angewiesen ist.



Die Schweizer Banken streben wegen der Zinswende auf ein Rekordjahr zu. Da ist es wohl nicht einfach, gegen eine Dividende zu argumentieren. Wie ist denn das zweite Halbjahr 2023 bei der Migros Bank verlaufen?



Zahlen nennen wir keine. Aber ich kann sagen: Es wird ein gutes Jahr.



Ein Rekordjahr?



Ich glaube, es braucht angesichts der Zinswende eine Steuerung mit Augenmass.

«Ein Mehr an Produktivität ist mit Boni nicht garantiert»

Die Migros Bank ist im Zinsengeschäft mit Blick auf die hohe Kundengeld-Quote aktuell gut aufgestellt; ich bin aber überzeugt, dass sich die Zinsmarge für alle Banken wieder verengen wird.



Das mag sein; aber die im nächsten Frühling anstehenden Jahresabschlüsse des Swiss Banking werden fantastisch sein. Schon jetzt steht der Abzocker-Vorwurf an die Adresse der Branche im Raum; die Zürcher Kantonalbank etwa deckelte mit Blick auf den Gewinntrend die Boni für die Chefetage. Schätzen Sie sich in diesem Umfeld glücklich, dass die Migros Bank seit 2019 ganz auf variable Lohnbestanteile verzichtet?



Der zentrale Punkt ist: Banken müssen für Fachleute marktgerechte Gehälter zahlen. Meiner Erfahrung nach neigen Boni-Systeme dazu, sich zu verstetigen, was wiederum Erwartungen bei den Mitarbeitenden schürt. Am Ende ist man damit nicht weit entfernt von Fixlöhnen, hat aber intern einen enormen Aufwand bei der Zuordnung und der Verteilung. Ein Mehr an Produktivität ist mit Boni nicht garantiert.



Also spricht eigentlich gar nichts mehr für Banker-Boni?



Wir sind keine Überzeugungstäter, die jetzt die Abschaffung von Boni predigen würden. Es ist eher so, dass uns Bonussysteme aus den genannten Gründen nicht mehr interessieren. Ich glaube, Banken sollten generell stärker versuchen, ihre Mitarbeitenden mit zielführenden Strategien und sinnvollen Aufgaben zu motivieren sowie generell den Menschen ins Zentrum zu stellen. Das, finde ich, passt doch viel besser in unsere Zeit.


Manuel Kunzelmann ist seit dem 1. Mai 2020 CEO der Migros Bank. Der 49-jährige Manager wechselte seinerzeit von der Basellandschaftlichen Kantonalbank (BLKB) zur Migros-Bankentochter, wo er zuvor den Geschäftsbereich Strategie und Marktleistungen verantwortete. Von 2018 bis 2020 sass er im Verwaltungsrat des Online-Vermögensverwalters True Wealth. Zuvor hatte er bei der Grossbank UBS von 1999 bis 2009 diverse Funktionen inne. Die Migros Bank feierte dieses Jahr ihr 65-jähriges Bestehen; 2022 erzielte das Institut einen Gewinn von 240,5 Millionen Franken und erreichte erstmals mehr als eine Million Kunden.