Hiesige Retailbanker mögen sich in einem winzigen Markt drängen – dennoch sind sie ihren europäischen Kollegen in wichtigen Belangen weit voraus, wie eine neue Studie zeigt. Doch auch scheinbare Riesen dürfen sich im unsteten Umfeld nicht zu sicher fühlen.
Wer kennt ihn nicht aus Kindertagen, den Herrn Tur Tur aus dem Band «Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer» von Michael Ende. Herr Tur Tur ist ein Scheinriese; das bedeutet, er erscheint umso grösser, je weiter entfernt man von ihm ist.
Ganz ähnlich verhält es sich augenscheinlich mit den Schweizer Retailbanken. Aus der Nähe betrachtet operieren sie mit kleinen Bilanzen in einem winzigen Inlandmarkt, der noch dazu als «overbanked» und wachstumsschwach gilt. Von Ferne besehen sieht die Optik hingegen anders aus: Das zeigt eine neue Studie zum europäischen Retailbanking, welche die Beratungsfirma Pricewaterhouse Coopers (PWC) für das Jahr 2021 angestellt und am Mittwoch publiziert hat.
Doppelt so viel Volumen wie die Belgier
Vergleicht man die hiesigen Akteure nämlich mit der europäischen Konkurrenz, dann fallen die enormen Volumen auf, welche die Schweizer Institute vor sich herschieben. Im Schnitt haben Kundinnen und Kunden hierzulande gegen 120’000 Franken bei Bank ausstehend verhelfen dieser zu durchschnittlich rund 1’200 Franken Ertrag, rechnen die Berater vor.
Damit sind die Schweizer Häuser einsame Spitze: Die «nächstbesten» belgischen Banken bringen es auf weniger als die Hälfte an Volumen und knapp 700 Franken an Ertrag je Kundin und Kunde.
Lokale Besonderheiten
Ihren grossen Vorsprung verdanken die Schweizer Häuser wohl nicht zu knapp zwei lokalen Besonderheiten: Bekanntermassen zählen die Schweizer zu den meist verschuldeten Völkern, was in erster Linie den hohen Hypotheken auf ihren Häusern zuzurechnen ist. Gleichzeitig ist die Schweiz auch das Land mit den höchsten Pro-Kopf-Vermögen – und wie sich in der PWC-Studie zeigt, sind es mit Abstand die Kredite und die anvertrauten Vermögen, welche die im Vergleich viel grösseren Geschäftsvolumen pro Kunden ausmachen.
Für die hiesigen Retailbanken rechnet sich das in klingender Münze. Nichts sei für die Institute so einträglich wie hohe Volumen, erklären die Studienautoren. Laut PWC konnten die Schweizer Häuser ihre führende Position im vergangenen Jahr mit 6 Prozent Ertragswachstum nochmals ausbauen. Dies, während die europäischen Privatkundenbanken ein durchschnittliches Plus von 4 Prozent erwirtschafteten.
Zinswende noch gar nicht erfasst
Möglicherweise profitierten die hiesigen Retailbanken gar noch davon, dass in der Schweiz im Jahr 2021 weniger strenge und kürzere Corona-Schutzmassnahmen galten, schreiben die Autoren.
Mit der Zinswende, die von der PWC-Studie noch gar nicht erfasst wurde, sehen die Privatkunden-Banken wohl noch einträglicheren Zeiten entgegen. Denn mit der Aussicht auf Zinsen im positiven Bereich dürfte sich auch die Zinsmarge verbreitern, die in vergangenen Jahren für die Schweizer Banken sichtbar schmaler geworden war.
Die beste aller Welten?
Einer anderen Umfrage zufolge, welche die Analysefirma Zern & Partner unlängst durchführte, erwarten heuer mehr als zwei Drittel der hiesigen Regionalbanken eine Ausweitung der Marge. «Die Banken atmen auf, denn erstmals zeichnet sich nun eine dauerhafte Expansion der Marge im immer noch bedeutendsten Geschäftsbereich ab, dem Zinsengeschäft», urteilt jene Studie.
Angesichts einer drohenden Rezession und einem Bärenmarkt an den Börsen muss sich natürlich noch weisen, ob die Banken wirklich die besten aller möglichen Welten erleben. Denn mögen die Institute auch bei Volumen und Ertrag gross erscheinen, so kann sich dieser Vorsprung angesichts der rasanten Entwicklung des Banking schnell als schöner Schein erweisen.
Rasantes Tempo
Dies gilt insbesondere für den Trend zur Digitalisierung, die gerade für kleine Institute schwierig zu stemmen ist, aber keineswegs Tempo eingebüsst hat. Wie Zern & Partner aber aus den Antworten ihrer Umfrage herauslasen, erscheint den Schweizer Regionalbanken die Entwicklung attraktiver Produkte und Dienstleistungen vor dem Hintergrund des blendend laufenden Geschäfts nun weniger dringlich.
Jene Haltung dürfte sich mit ziemlicher Sicherheit rächen, bewegt sich das Feld der Fintech-Angebote doch rasend schnell. Wie aus der PWC-Studie herauszulesen ist, gilt das Potenzial von Plattform-Diensten und Super-Apps mittlerweile als begrenzt. Starkes Wachstum wird hingegen der so genannten «Embedded finance» vorausgesagt; diese soll bis 2030 mehr als 15 Prozent zu den Erträgen der europäischen Retailbanken beisteuern.
Der «Embedded»-Banker fährt auf dem Traktor mit
Bei diesem aufstrebenden Bereich handelt es sich um klassischen Finanzdienstleistungen wie Kreditvergabe oder Zahlungsverkehr, die aber in einen Kontext ausserhalb des tradierten Banking angeboten werden. Zu denken ist an die Vorfinanzierung grössere Eingriffe in der Medizin, an das finanzielle Räderwerk hinter dem Fahrzeug-Sharing, aber auch das Buchen von Reisen auf Pump – ganz neue Märkte also, die aus Sicht einer ländlichen Sparkasse ganz schön exotisch erscheinen mögen. Doch sinnigerweise gibt es auch Anwendungen für Embedded finance in der Finanzierung von Landwirtschaft-Maschinen.
Die Transformation des Geschäftsmodells hinsichtlich solcher neuer Dienstleistungen ist eine Aufgabe, welche Retailbankerinnen und -banker auf keinen Fall vernachlässigen dürfen, mahnen die Berater von PWC. Denn wenn die neue Quellen für Volumen ausgelassen werden, wandeln sich auch heutige Ertragsriesen über kurz oder lang in Zwerge.