Dass man heutzutage mit einer Maske in die Bank geht, hätte sich François Pauly früher nie vorstellen können. Doch die Zeiten haben sich geändert, und selbst eine noble Privatbank wie Edmond de Rothschild ist über Nacht digital geworden, wie deren CEO im Interview mit finews.ch verrät. Im kommenden Jahr will er sein Augenmerk auf Zürich richten. 


Herr Pauly, wo feiern Sie dieses Jahr Weihnachten?

Das ist eine gute Frage angesichts der Covid-Situation. Ich denke, das wird in Luxemburg sein, weil ich drei erwachsene Kinder habe, die in drei verschiedenen Ländern wohnen und die es hoffentlich alle nach Hause schaffen. Silvester dann – hoffentlich – in Crans-Montana im Wallis, wo wir seit 25 Jahren ein Ferienhaus haben.

Sind seit sieben Monaten CEO der Bank Edmond de Rothschild. Zuvor sassen Sie im Verwaltungsrat des Unternehmens. Warum dieser ungewöhnliche Schritt ins Operative?

Eine berechtigte Frage, die mir auch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) gestellt hat. Denn in der Regel macht man ja den umgekehrten Weg. Man wechselt als CEO in den Verwaltungsrat.

«Edmond de Rothschild ist vermutlich die einzige Bank, wo ich mich noch verwirklichen kann»

Doch die Umstände, die sehr traurig sind, mit dem Tod des Eigentümers, Baron Benjamin de Rothschild, im Januar 2021, sowie der Tatsache, dass sich der damalige CEO in den Vorruhestand begeben hat, haben mich vor die Frage gestellt: Nimmst Du mit 57 Jahren diese Herausforderung an?

Und wenn ich sehe, dass man mit 57 doch noch nicht so alt ist, oder zumindest im Kopf nicht so alt ist, habe ich mir gesagt, das mache ich. Dies auch deshalb, weil Edmond de Rothschild vermutlich die einzige Bank ist, wo ich mich noch verwirklichen kann. Eine solche Chance sollte man packen – habe ich mir gesagt.

Woher nehmen Sie die operative Erfahrung?

Ich war bereits fünf Jahre im Verwaltungsrat der Bank, so dass der Einarbeitungsprozess schneller und einfacher ablaufen konnte, als wenn ein CEO von aussen übernommen hätte. Ausserdem war ich fast dreissig Jahre lang CEO verschiedener Banken. In diesem Sinne war es für beide Seiten eine ausgewogene und keine riskante Entscheidung.

An der Spitze der Bank amtet als Präsidentin Ariane de Rothschild, die Gattin des verstorbenen Benjamin de Rothschild. Wie stehen Sie zu ihr?

Ich kenne die Familie seit mehr als 20 Jahren, nachdem ich über eigene Investments mit ihr in Kontakt gekommen war. Wir spürten viele Gemeinsamkeiten, zumal ich selbst das Glück habe, dass mein Grossvater vor 100 Jahren eine Bank gegründet hat. Insofern wuchs ich auch in einer Unternehmer- oder Eigentümerfamilie auf. Das verbindet.

Welche Bank war das?

Es ist La Luxembourgeoise, heute eine Versicherung, aber 1920 noch als Bank und Versicherung gegründet. Deren Vorsitzender des Verwaltungsrats bin ich noch heute.

Was waren bis jetzt die prägendsten Ereignisse für Sie als CEO der Bank Edmond de Rothschild?

Sicherlich der Management-Stil in Zeiten von Covid und Homeoffice. Ich konnte die unteren Führungsebenen gar nicht persönlich kennenlernen, zumal wir sehr international aufgestellt sind und Reisen bis heute sehr kompliziert sind. Mittlerweile existieren auch sehr hohe Auflagen, wenn man in die Schweiz zurückkommt… Die Mitarbeitenden zu kennen, ist zentral, weil Führen nicht nur Zahlen und Systeme bedeutet, sondern vor allem der Austausch mit Menschen.

«Private Banking ist ein schwieriges Geschäft»

Prägend war ausserdem unsere Wachstumsstrategie, die in Corona-Zeiten ebenfalls eine Herausforderung darstellt, da es per se nicht so einfach ist, den Kundenkontakt zu pflegen. Doch wir haben das geschafft. Wer hätte gedacht, dass man mit einer Maske in die Bank geht, die Kunden über einen Bildschirm sieht, und man seine Deals selbst bei einer Privatbank digital hinbekommt? Wir wurden innert kürzester Zeit digital, ohne dass dabei die physische Komponente in den Hintergrund rückte.

Das Jahr geht bald zu Ende. Wird es ein gutes?

Ja. Für die Branche insgesamt. Was mich beruhigt ist, dass wir in jeder Marktregion, wo wir Privatkunden haben, gewachsen sind – und zwar nicht nur, weil uns die günstige Börsenentwicklung unterstützt hat und wir mehr Neugeld akquirieren konnten, sondern weil wir profitabel gewachsen sind. Das ist nicht selbstverständlich.

Wie meinen Sie das?

Es gibt an der Zürcher Bahnhofstrasse – mit Quintet – ein schillerndes Beispiel einer Privatbank, die mit ihrem Wachstum nicht das erreicht hat, was sie anstrebte und sich daher aus dem Markt wieder verabschiedet hat. Private Banking ist ein schwieriges Geschäft, insbesondere in der Schweiz, wo die Margen sehr stark unter Druck sind.

Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Wir haben das Glück, dass wir im Lombard- und Hypothekarkredit-Geschäft zusätzliche Einkünfte von bestehenden Kundinnen und Kunden generieren können. Und angesichts der Negativzinsen wird die Beratung immer wichtiger, was ebenfalls eine unserer Stärken ist. Beides wirkt sich positiv auf unsere Rentabilität aus.

Welche Initiativen haben Sie mit Blick auf 2022 bereits gestartet?

Wir haben «Ambition 25» lanciert, ein Plan, der uns vorgibt, was wir bis 2025 erreichen wollen. Das Wachstum soll dabei nicht primär über Akquisitionen erreicht werden, sondern über organisches Wachstum, weil wir dies für das gesündere Wachstum halten. Man hat in der Vergangenheit wenige Deals gesehen, die wirklich erfolgreich waren. Natürlich gibt es Möglichkeiten, wenn sich beispielsweise ein Konkurrent aus einem Markt verabschiedet, wie das die UBS in Spanien getan hat, wo man aktiv werden kann. Doch am Ende des Tages ist unsere Vision geerdet und soll da gedeihen, wo wir bereits stark sind.

«In Zürich liegen wir weit zurück»

Im Asset Management steht klar der Ausbau der Geschäftsfelder Real Assets, Private Equity, Debt und Real Estate im Vordergrund. Da sind wir überzeugt, dass zweistellige Wachstumsschübe noch für ein paar Jahre möglich sind.

Was sind Ihre grössten Märkte?

Ganz klar Europa. Wenn wir nicht-europäische Gelder verwalten, dann nur von Kundinnen und Kunden, die zumindest einen Wohnsitz in Europa haben.

Welchen Stellenwert hat die Schweiz?

Die Schweiz ist unser grösster Einzelmarkt – genauer gesagt Kundinnen und Kunden, die in der Schweiz gebucht sind. Das Wachstum in der Schweiz ist allerdings geringer als in anderen Märkten. Wir haben ein starkes Standbein in Genf und sind in Lausanne und Fribourg lokal sehr gut unterwegs. Lugano ist ebenfalls ein wichtiger Standort. In Zürich hingegen liegen wir – im Vergleich zu unserer Erfahrung und Grösse an anderen Orten in der Schweiz – weit zurück.

Wie kommt das denn?

Ich würde mal sagen, dass wir historisch gesehen doch eher eine Genfer/Pariser/Luxemburger Privatbank waren, welche die Märkte, die man in Zürich bearbeitet, eben nicht oder eher wenig abgedeckt hat. Die Gelder von deutschen Kundinnen und Kunden in Zürich standen nie in unserem Fokus. Osteuropa haben wir historisch gesehen auch eher aus Genf heraus bearbeitet. Inzwischen haben wir ein gutes Team in der Limmatstadt, aber im Vergleich zum Renommee unserer Marke müssten wir viel grösser sein.

Das heisst?

In Zürich sind wir noch nicht da, wo wir sein möchten. Darum werden wir 2022 gezielt talentierte Leute einstellen. Ausserdem werden wir manche Kundinnen und Kunden aus dem Nahen Osten, die in der Schweiz gebucht sind, teilweise aus Zürich heraus betreuen. Weiter wollen wir unser Immobiliengeschäft in der Limmatstadt ansiedeln und im Asset Management unser Verkaufsmannschaft ausbauen – mit dem Fokus auf das deutschsprachige Europa.

«Ein Millionenbetrag sollte es schon sein»

Ausserdem möchten wir ein Augenmerk auf die unabhängigen Vermögensverwalter (UVV) richten. Die Branche befindet sich im Umbruch, kleinere UVVs werden sich nicht halten können, und für mittlere wird es teuer, die vielen Bestimmungen zu erfüllen. Vor diesem Hintergrund dürften viele UVVs gerne mit einem renommierten Partner wie wir kooperieren wollen, zumal wir IT-mässig sehr stark sind und angebotsmässig in den Bereichen Private Equity, Real Estate und in der Kreditvergabe äusserst konkurrenzfähig sind.

Warum ist Edmond de Rothschild so stark in Lugano?

In Lugano haben wir zweimal Banken akquiriert: 1991 Solari & Blum sowie 2013 die Sella Bank. Dadurch haben wir eine gewisse Marktpräsenz. Mit rund 50 Leuten verwalten wir Vermögen zwischen 5 und 10 Milliarden Franken, was für den Finanzplatz Lugano doch bedeutend ist.

Wieviel Geld braucht es, um bei Edmond de Rothschild Kunde zu werden?

Ein Millionenbetrag sollte es schon sein. Das scheint mir klar. Doch insgesamt achten wir eher auf einen langfristigen Ansatz und auf das Potenzial.

Können Sie das genauer erklären?

Wenn jemand 1 Million Franken besitzt und darüber hinaus noch ein Unternehmen, das er in den nächsten drei Jahren verkaufen will, dann ist die Million für uns sicherlich nicht eine Hemmschwelle. Wenn er jedoch 70 und in Rente ist und uns sagt, er habe 1 Million und wolle davon leben, also jedes Jahr 100'000 Franken abziehen, dann gibt es sicherlich bessere Banken als wir.

«Zwischen Basel und Lugano findet man alles, was man in Europa hat, ausser einem Meeresstrand»

Der «Sweet Spot» liegt zwischen 3 und 10 Millionen Franken. Da entfaltet sich das Angebot, auch von der Risikostreuung her. Wir haben jedenfalls nicht den Ansatz wie einige US-Banken, die klipp und klar sagen: Lieber Kunde, entweder bringst du 50 Millionen Franken, sonst kommen wir gar nicht erst ins Geschäft miteinander. Das haben wir definitiv nicht.

Früher war das Bankgeheimnis ein zentraler Bestandteil des Schweizer Finanzplatzes. Wie wichtig ist es heute noch?

Es gibt drei Bereiche, wo man noch eine gewisse Diskretion erwartet und diese Diskretion recht eigentlich auch ein Menschenrecht ist: nämlich da, wo man wohnt, denn nicht jeder soll in meine Wohnung hineingehen können; zweitens soll nicht jeder Einblick auf mein Vermögen haben, und drittens sollen meine Gesundheit und die entsprechenden Daten vertraulich bleiben.

Diese Form von Privatsphäre kann heutzutage durchaus wie ein Schweizer Käse mit Löchern sein, aber diese Löcher müssen gesetzlich so definiert sein, dass sie den Willen der jeweiligen Person berücksichtigen und in einem juristisch gesicherten Umfeld stehen – also die Privatsphäre respektieren.

Wie kann sich der Schweizer Finanzplatz künftig profilieren?

In der Schweiz, wo die politische Neutralität dermassen respektiert wird und die Möglichkeiten des internationalen Austauschs so gross sind, haben wir erst noch das Glück, in einer so schönen Natur zu leben – zwischen Basel und Lugano findet man alles, was man in Europa hat, ausser einem Meeresstrand –, dass die Thematik des längerfristigen und umweltschonenden Anlegens zentral werden muss. So, dass man die Schweizer Fahne als Gütesiegel für (Finanz-)Produkte verwenden kann. Genauso wie man dies bei einer Uhr tut. Man hat dann die Gewissheit, dass das, was draussen steht, auch drinnen ist.

«Natürlich gibt es immer noch welche, die sagen, schön und gut, aber das lassen wir lieber sein»

Sofern wir dies fertigbringen, haben wir enorme Profilierungsmöglichkeiten, die weltweit auf Anklang stossen werden. Vor allem für Investoren, die noch nicht viel mit Nachhaltigkeit am Hut haben.

Wie meinen Sie das?

Je mehr China auf Nachhaltigkeit umstellt, desto eher werden die Anlegerinnen und Anleger in ganz Asien sagen, ich will in Finanzprodukte investieren, deren Inhalt diese Themen abbilden. Der institutionelle Anleger hat bereits heute keine andere Wahl, als mitzumachen, da ist der Druck schon so gross ist. Bei Privatkunden kommt das nun langsam auch. Natürlich gibt es immer noch welche, die sagen, schön und gut, aber das lassen wir lieber sein. Doch insgesamt geht der Trend in die andere Richtung, insbesondere bei der jüngeren Klientel.

Privatbanken sind allerdings nicht sehr bekannt dafür, eine jüngere Kundschaft zu haben. Wie ist das bei Ihnen aus?

Es gibt drei Eintrittstüren für diese Kundschaft: erstens über eine Erbschaft. Da ist es wichtig, dass man sich schon vorher kennt, so dass man als Bank interessant ist. Zweitens gibt es heute immer mehr jüngere Leute, die schon sehr früh zu Geld kommen, etwa im Technologie-Bereich, weil sie im richtigen Moment die richtige Idee hatten. Und schliesslich gibt es noch die «Next Generation», bei der die Kundschaft, zumeist die Eltern, froh sind, wenn wir die künftigen Erben in gewisser Weise und was das Finanzielle anbelangt mit grossziehen.

Covid spielt uns insofern in die Hände, als wir nun, um diese jüngere Klientel anzusprechen, digitale Mittel einsetzen können. Hat man diese Leute früher bestenfalls zweimal im Jahr gesehen, klickt man heute auf Webex, und schon sitzen sie vor einem.

Weshalb sind Sie eigentlich im Wachstumsmarkt Asien nie sesshaft geworden?

Wir sind erfolgreich in Japan, über unseren Vertriebspartner Nikko. Ansonsten wäre es unser Ansatz gewesen, offshore, aus der Schweiz oder Luxemburg heraus diesen Markt zu bearbeiten. Aber irgendwie haben wir nie die richtigen Partner gefunden. Es hat immer wieder Versuche gegeben, die aber nicht erfolgreich verliefen. Heute steht diese Region nicht auf meiner Strategiekarte.

Wie lauten Ihre Prioritäten für 2022?

Organisches Wachstum, IT-Plattform, Ausbau von Real Assets, und, gegebenenfalls, sehr selektive M&A-Transaktionen, wenn es Opportunitäten gibt.

Da sind wir gespannt.

In Portugal, Italien, Spanien oder in Belgien wachsen wir. Doch wir haben unsere Möglichkeiten noch bei weitem nicht ausgeschöpft. Wenn folglich ein Konkurrent zum Verkauf stünde, würden wir ihn sicherlich anschauen. Zudem gibt es im Asset Management gewisse Anlagestrategien, die wir selbst noch nicht abbilden, etwa im Bereich Corporate Debt oder Emerging Markets.

«So alt bin ich nun auch wieder nicht»

Wenn es da Übernahmemöglichkeiten gibt, schauen wir uns diese ebenfalls an. Wir können das sehr gelassen angehen, da die Familie überhaupt keinen Druck macht. Die richtigen Geschäfte macht man ohnehin immer beim Kauf. Bezahlt man am Anfang zu viel, läuft man dem Ganzen immer hinterher.

Das gilt auch für die Schweiz?

Ja, absolut. In der Schweiz sind wir eher noch mit dem Modell unterwegs, einzelne Teams einzukaufen. Da kann ich mir vorstellen, dass es 2022 an jedem unserer Standorte Möglichkeiten geben wird.

Was motiviert Sie in Ihrem Alter noch, diesen Job zu machen?

So alt bin ich nun auch wieder nicht. Mich motiviert die Vorstellung, dass diese Bank noch enorm wachsen und schöne Erfolge erzielen kann. Ich glaube auch, dass die Verantwortung, wie sie die Familie de Rothschild jetzt geregelt hat, stimmig ist, und man den Töchtern in ein paar Jahren wird sagen können, obwohl Euer Vater verstorben ist, hat Eure Mutter mit dem Management diese Bank erfolgreich weiterentwickelt.


Der Luxemburger François Pauly ist seit Juni 2021 CEO der Bank Edmond de Rothschild. Er sass zuvor fünf Jahre im Verwaltungsrat der in Genf domizilierten Bank. Nach dem Abschluss der ESCP Business School in Paris war er von 1987 bis 2004 Senior Executive Manager bei der Dexia Bank Gruppe. Danach wechselte er zur Bank Sal. Oppenheim jr. & Cie, wo er CEO und Generaldirektor war; 2011 wechselte er zur Banque Internationale Luxemburg (BIL), wo er zunächst als CEO tätig war und anschliessend bis 2016 Präsident des Verwaltungsrats. Ab 2016 übernahm er die Funktionen des Vizepräsidenten des Verwaltungsrats von Edmond de Rothschild (Europa) in Luxemburg und des Präsidenten des Prüfungs- und Risikoausschusses von Edmond de Rothschild (Schweiz). Neben seiner aktuellen Hauptfunktion nimmt er in verschiedenen anderen Aufsichtsgremien Einsitz und präsidiert die familieneigene Versicherungsgesellschaft La Luxembourgeoise.