Er ist der renommierteste Investmentbanker Europas und endlich CEO. Doch Andrea Orcel ist ein Mann der Kontroversen – jetzt schon wieder bei seinem neuen Arbeitgeber Unicredit. Es scheint dem 57-Jährigen immer ums Geld zu gehen.
Um die Antwort war Andrea Orcel zunächst verlegen. Die Frage des Journalisten der «Financial Times» (Artikel bezahlpflichtig) an ihn war: «Werden Banker zu hoch entlöhnt?» Orcel, der zum Zeitpunkt des Gesprächs ein gutes halbes Jahr ohne Job war, nachdem er bei der Schweizer Grossbank UBS ausgetreten und den CEO-Job bei Santander nicht antreten konnte, eierte mit der Antwort erst herum.
Im Silicon Valley würden Manager noch mehr verdienen, sagte er. Auch Hollywood-Stars. Dann habe er doch eine Antwort gegeben, die ihn aber selber nicht zu überzeugen schien, schrieb die «FT» damals. «Ich denke, es gibt einen sehr gut laufenden Markt da draussen. Und in diesem Markt werden solche Kompensationen bezahlt.»
Diskussionen unter Unicredit-Aktionären
Dafür, dass es bei dem 57-jährigen Italiener in den vergangenen zwei Jahren praktisch immer nur ums Geld gegangen ist, war das sicher keine zufriedenstellende Antwort auf eine Frage, die Bankern wie ihm immer wieder gestellt wird.
Auch jetzt: An der Generalversammlung der italienischen Grossbank Unicredit vom (heutigen) Donnerstag wird Orcel als CEO bestätigt. Aber nicht ohne Nebengeräusche – die sich einmla mehr um seinen Lohn drehen.
Orcel, der mit Santander um 112 Millionen Euro streitet und von der UBS seit seinem Abgang rund 20 Millionen Dollar an aufgeschobenen Boni ausbezahlt erhalten hat, bedingte sich bei Unicredit einen Lohn von 7,5 Millionen Euro aus. Das ist doppelt so viel, wie sein Vorgänger Jean Pierre Mustier erhalten hatte. Und es ist der höchste Lohn für einen CEO eine europäischen Bank – die hiesigen Grossbanken UBS und Credit Suisse ausgeklammert.
Ein Kaliber von einem Banker
Warum so viel Geld für Orcel? Der US-Stimmrechtsberater ISS empfiehlt den Unicredit-Aktionären, die Kompensation abzulehnen. Sie stünde im krassen Gegensatz zum globalen Kontext, so ISS mit Verweis auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Ausserdem stehe die Höhe von Orcels Lohn im Widerspruch zu den Empfehlungen der Europäischen Zentralbank (EZB), des obersten Bankenregulators in Europa.
Der Empfehlung von ISS zum Trotz dürfte Orcels Salär von den Aktionären durchgewunken werden. Italienische Grossinvestoren der Unicredit halten die Summe im internationalen Vergleich für angemessen. Ausserdem sei Orcel ein Kaliber von Banker, das man sonst nicht bekommen würde.
Sein Antritt bedeutet, dass Orcel auf rund 30 Millionen Dollar UBS-Boni verzichten muss. Unicredit will und kann ihn nicht «auskaufen».
Mit Unicredit bereits Millionen verdient
Für den Posten des Unicredit-CEO hat Orcel hart ums Geld gerungen, dabei sei es sein «Traumjob», hat der Investmentbanker im engeren Kreis verlauten lassen. Tatsächlich ist Orcel der Architekt der heutigen Unicredit. Vor 23 Jahren war er als Investmentbanker bei Merrill Lynch federführend bei der Fusion der damaligen Unicredito mit der Credito Italiano und den Sparkassen von Verona, Turin und Treviso zur heutigen Unicredit.
Anschliessend blieb die Bank einer seiner besten Kunden. Orcel dürfte als Investmentbanker mit der Unicredit bereits zig Millionen Franken an Beratungs- und Erfolgsgebühren verdient haben. Als CEO sollen es nun noch ein paar Millionen mehr werden.
Hohe Erwartungen
Vom ihm werden in Mailand grosse Dinge erwartet, auch im Bereich von Fusionen und Übernahmen (M&A): Der italienische Staat etwa will die gerettete Problem-Bank Monte dei Paschi loswerden. Die Unicredit solle der Käufer sein, hatte das Finanzministerium bereits letztes Jahr gefordert. Orcel-Vorgänger Mustier hatte sich dem widersetzt.
Ob Orcel den Kauf durchziehen wird, steht in den Sternen. Absehbar ist hingegen, dass der Dealmaker sich auf dem Markt nach Übernahmezielen umsehen wird und in der vielfach herbei geredeten europäischen Bankenkonsolidierung den ersten grossen Schritt macht. Dazu liesse sich sagen: Schliesslich muss Orcel seinen Lohn rechtfertigen.