In den ersten drei Monaten als CEO von EY Schweiz habe ich in erster Linie zugehört. Ich habe mit jedem einzelnen Partner Gespräche geführt, ebenso mit ungefähr 50 Kunden von EY. Dabei galt es, Informationen zu sammeln und dabei herauszuhören, wie die Zukunft des Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgeschäftes aussehen könnte oder sollte. In einer breit abgestützten Taskforce haben wir anschliessend die neue Strategie definiert und diese wiederum mit den Vorstellungen der Partner abgeglichen.

«Ohne Kulturwandel funktioniert eine Transformation nicht»

Es gilt, die Mitarbeiter in den Prozess miteinzubeziehen, auch um die Zukunftschancen aufzuzeigen, die eine Transformation mit sich bringt. Diese Erfahrungen können wir nun sehr gut in der Beratung unserer Kunden einbringen.

Eine der grössten Herausforderungen, die sich auch den Grossbanken stellt, ist die Modernisierung der IT. Ist dies aus Ihrer Sicht ein Knackpunkt?

Das lässt sich nicht isoliert betrachten. Keine Frage, bei den Banken sind die «Legacy»-IT-Systeme ein solcher Knackpunkt, wie auch das Datenmanagement. Für die Transformation von EY waren zudem Strategie, Geschäftsmodell, operationelles Risikomanagement und der angesprochene Kulturwandel die hauptsächlichen Herausforderungen.

Kulturwandel ist in der Bankbranche, deren Ruf in der Finanzkrise stark gelitten hat, ein geflügeltes Wort.

Zu recht. Ohne Kulturwandel und die Schärfung des Bewusstseins der Mitarbeiter kann eine Transformation nicht funktionieren. In Bezug auf die digitale Transformation ist insbesondere das operationelle Risikomanagement eine Riesenherausforderung. Denn dieses hat sich durch die neue Netzwerkeffekte massiv geändert.

Inwiefern?

Noch vor wenigen Jahren konzentrierte sich bei Banken das operationelle Risikomanagement in erster Linie auf die bankinternen Prozesse. In der digitalisierten Wirtschaft und mit der Herausbildung von Ökosystemen sind Banken, beispielsweise durch Partnerschaften oder durch Outsourcing, viel vernetzter.

«Hier bewegt sich die Schweizer Bankenlandschaft in einem politischen Spannungsfeld»

Dadurch entstehen für Banken auch vermehrt externe Risiken, die sie ebenso berücksichtigen müssen.

Ein geflügeltes Wort in der Branche ist auch «open banking». Die Haltung der Schweizer Banken ist hier nicht eindeutig: Die Bankiervereinigung spricht sich zwar für «open banking» aus, lehnt die Übernahme der EU-Richtlinie PSD2, welche die Öffnung von Schnittstellen für externe Fintechs oder Dienstleister verlangt, aber ab.

Hier bewegt sich die Schweizer Bankenlandschaft in einem komplexen politischen Spannungsfeld, in dem es nicht nur um die Übernahme von EU-Recht geht. Die Patentlösung für die Schweizer Banken, die sich in einer globalisierten und digitalisierten Welt ohne Grenzen behaupten müssen, gibt es wohl nicht.

Die Herausforderung der Schweizer Wirtschaft insgesamt besteht darin, ein rechtliches, regulatorisches und steuerliches Umfeld zu gestalten, das unsere Wettbewerbsfähigkeit fördert und etablierte Geschäftsmodelle erhält.


Marcel Stalder ist seit 1996 für EY tätig. Der 46-jährige Luzerner wurde 2005 Partner von EY Schweiz, 2010 Leiter des Beratungsgeschäfts für Finanzdienstleister, und 2012 trat er in die Geschäftsleitung ein. Seit Juli 2016 ist Stalder CEO. Seine berufliche Laufbahn startete er bei der UBS, wo er eine KV-Lehre machte. Bei EY hat Stalder die digitale Transformation angestossen, Strategie und Geschäftsmodell angepasst sowie die Geschäftsleitung neu aufgestellt. Er ist zudem Mitglied des Executive Committee von Digital Switzerland, der Standortorganisation von Schweizer Unternehmen, Hochschulen und Politikern.