Bei all den Meldungen über CDs mit Schweizer Bankdaten bleibt vieles rätselhaft. Kann es sein, dass deutsche Staatsstellen die Öffentlichkeit einfach anlügen?

Was wir in den letzten Tagen zu hören bekamen, lässt sich in etwa so zusammenfassen: Den Steuerfahndern in Nordrhein-Westfalen wurden schon wieder mehrere Datenträger angeboten, die Informationen über deutsche Steuerflüchtlinge auf Schweizer Banken enthalten. In einem Fall handelt es sich sogar um Interna aus der UBS, darunter Schulungsmaterial, welches beweisen soll, dass die Grossbank deutschen Kunden zum Geldversteck in Singapur rät. Hinzu kommt ein Datenleck bei einer weiteren, «kleineren Schweizer Bank».

Es fällt auf, dass alle deutschen, aber auch viele Schweizer Medien eine Kernfrage gar nicht erst in den Raum stellten. Sie lautet: Ist das glaubwürdig?

Um dies zu präzisieren, müssten noch allerlei weitere Fragen geklärt werden. Zum Beispiel:

1. Warum sind selbst die offiziellen Bestätigungen eines Daten-Kaufs so ausweichend?


Die Bestätigungen kamen von Norbert Walter-Borjans, dem Finanzminister des Bundeslands Nordrhein-Westfalen (SPD). Aber konkrete Aussagen, wieviele Datenträger (und zu welchem Zeitpunkt) erworben wurden, machte Walter-Borjans nicht. Was die Medien als «Bestätigung» kolportierten, war eine kurze Aussage des Ministers im «Deutschlandfunk».

Sie lautet: «Es ist ein ganz normaler Vorgang, dass man dann, wenn man Kenntnis erhält darüber, dass in einem großen Maß gegen Gesetze verstoßen wird zum Schaden der Allgemeinheit, dass man natürlich diesen Dingen nachzugehen hat – und das tun wir.»

Die konkreteste Nachfrage stellte die «Sonntagszeitung»: «Gibt es diese Daten wirklich?», fragte sie Walter-Borjans. Die Antwort: «Zu einzelnen Datenträgern sage ich grundsätzlich nichts. Wer das für einen Bluff hält, muss mit dem Risiko leben, dass es keiner sein könnte. Aber es ist tatsächlich so, dass Datenanbieter derzeit vermehrt Kontakt mit deutschen Finanzbehörden suchen.»

Eine Bestätigung tönt üblicherweise anders.
 

2. Weshalb tauchen in Deutschland zwar regelmässig Berichte über Daten-Käufe auf – aber so selten Meldungen über Aktionen, die sich daraus ergaben?


Konkret: Innerhalb des letzten Jahres, also seit August 2011, berichteten deutsche Medien über mindestens acht Fälle, wo Datenträger mit Angaben über Steuersünder bei den Behörden aufgetaucht seien. Stets basierten die Meldungen auf anonymen Quellen. In einem Fall war die Rede von einer Bank in Luxemburg, ansonsten soll es um Schweizer Banken gegangen sein.

Über Razzien oder Strafverfahren, die sich daraus ergaben, berichteten die Medien aber nicht.
 

3. Konkret: Der Fall der Coutts-CD – oder warum lassen die deutschen Staatsanwälte ihre Verdächtigten laufen?


Einer der Fälle handelt von der Bank Coutts: Seit neun Monaten berichten deutsche Medien (und auf ihren Fersen die Schweizer Blätter) periodisch, dass Nordrhein-Westfalen eine Daten-CD mit Informationen aus der Zürcher Niederlassung der Bank Coutts erhalten habe respektive angeboten bekommen habe respektive erworben habe. (Ausgangspunkt war ebenfalls die «Financial Times Deutschland» im November 2011).

Doch wie ein Insider bei Coutts berichtet, hat sich bis bis heute kein einziger Kunde gemeldet, der von einer deutschen Staatsanwaltschaft oder einer deutschen Steuerfahndung angegangen oder verdächtigt wurde.

Offiziell teilt Coutts heute, im August 2011, übrigens mit: «Wir sind uns bewusst, dass es eine anhaltende Medienspekulation gibt über den Bruch des Kundengeheimnisses bei Coutts. Nach intensiven Nachforschungen haben wir keinen Hinweis darauf, dass solch ein Bruch stattgefunden hat.»
 

4. Warum haben die Steuerfahnder denn ihre erfolgreiche Taktik geändert?


Sicher ist: Deutsche Instanzen erwarben in zwei Fällen CDs mit Informationen über Steuerflüchtlinge. Der erste Fall stammt von 2008 und betraf die LGT, der zweite stammt vom Jahr 2010 und betraf Credit Suisse. Beide Fälle wurden nicht zuerst über anonyme «gut informierte Quellen» an die Medien gestreut, sondern sie kamen ans Licht, weil sie mit konkreten Aktionen, Verdächtigtenbefragungen, Ankündigungen oder einer mediengerechten Razzia wie jener beim ehemaligen Post-Chef Klaus Zumwinkel verbunden waren.

Wenn die Steuerfahnder seither aber tatsächlich weitere neue CDs haben: Warum informieren sie jetzt so gern zuerst anonym die Medien? Etwa, weil damit alle Hausdurchsuchungen überflüssig würden...?
 

5. Von welchem Zeitraum sprechen wir eigentlich?


Die «Insider»-Informationen über neue Daten-CDs aus der Schweiz sind stets von einer politischen Begleitmusik untermalt: Dabei wird den Banken unterschoben, dass ihr Verhalten letztlich das Steuerabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz unterwandere.

Dass mit dem (wahren oder vermeintlichen Ankauf) von Datenträgern deutsche Politik gemacht wird, ist ein offenes Geheimnis. Aber gerade deshalb wäre bei jedem CD-Fall für die unvoreingenommene Öffentlichkeit eine Information zur Beurteilung wichtig: Geht es um unstatthaftes Verhalten aus früheren Zeiten – also etwa vor 2009? Oder geht es um Handlungen bis in die letzten Monate hinein? (Immer vorausgesetzt, dass es die diskutierten Datenträger überhaupt gibt).

Diese Information wird stets verweigert.
 

6. Von welchem Land sprechen wir eigentlich?


Nach den Meldungen über weitere Schweizer Daten-CDs in der letzten Woche meinte Sigmar Gabriel, der Chef der SPD, am Wochenende gegenüber dem Deutschlandfunk: «Das ist ein schwerer Straftatbestand. Hier reden wir über organisierte Kriminalität in Schweizer Banken in Deutschland.»

In Deutschland? In solchen Details zeigt sich, dass auch eine andere entscheidende Frage kaum gestellt und nie beantwortet wird: Wird deutsches Recht in Deutschland gebrochen? Oder nützten deutsche Kunden (mithilfe von Schweizer Banken) das Schweizer Recht auf Schweizer Territorium?

Die deutschen Politiker suggerieren den Bruch deutscher Gesetze, die deutschen Medien folgen ihnen, und die zur Beurteilung notwendigen Informationen bleiben verschlossen.
 

7. Glauben Sie das?


In den letzten Tagen also berichteten die Medien von neuen Daten über Kontenverbindungen und Steuerflüchtlinge, aber auch über Schulungsunterlagen aus der UBS: Sie sollen belegen, wie die Grossbank Steuerhinterziehern hilft, ihr Vermögen in Fernost zu verstecken. «Wir haben erstmals eine Papierspur nach Singapur», sagte ein Insider aus dem Umfeld des Finanzministeriums in Düsseldorf der «Financial Times Deutschland». 

Wie beurteilen Sie das? Seit Freitag läuft die finews.ch-Umfrage unter den Beschäftigten in der Schweizer Finanzbranche. {mijopolls 64}