Der PUK-Bericht dient primär der Vergangenheitsbewältigung, sagt der unabhängige Ökonom Adriel Jost. Die entscheidende Frage, wie wichtig der Schweiz eine globale Grossbank ist und wie viele Risiken sie dafür einzugehen bereit ist, beantwortet er  nicht. Im Interview erklärt Jost, weshalb das Too-big-to-fail-Konzept nicht funktioniert hat. Und das Instrument des Public Liquidity Backstop bezeichnet er als «Vollkasko-Garantie für eine globale Grossbank», was eine «Hochrisikostrategie für ein kleines Land wie die Schweiz» ist.

45 Sitzungen mit 79 Anhörungen und 30'000 Seiten Lektüre in den letzten eineinhalb Jahren. Am Freitag hat die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) «Geschäftsführung der Behörden – CS-Notfusion» die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentiert: einen über 500-seitigen Schlussbericht, neun Expertenberichte und eine Liste von 20 Empfehlungen, vier Motionen, sechs Postulaten sowie einer parlamentarischen Initiative.

Wie ist die Arbeit der PUK zum Fall Credit Suisse (CS) einzuschätzen? Welche Lehren lassen sich daraus für die künftige Regulierung der Banken und insbesondere der letzten Schweizer Grossbank UBS ziehen? Adriel Jost beschäftigt sich schon seit Jahren damit, wie die Regeln für Banken sein müssten, damit die Risiken aus ihrer Geschäftstätigkeit für die Stabilität des Finanzsystems nicht so gross sind wie heute.

Herr Jost, vor wenigen Tagen haben Sie in einer Analyse die Befürchtung geäussert, dass sich die PUK in ihrem Bericht auf Nebenschauplätzen verlieren und nicht zur Beantwortung der für die Schweiz entscheidenden Fragen beitragen wird. Hat sich Ihre Prognose nun bewahrheitet?

Insgesamt ja. Der Bericht enthält zwar viele unterhaltsame Details zum Krisenablauf, die Expertenberichte liefern spannende Hintergründe. Doch dabei ist klar: Künftige Krisen lassen sich nie im Vornherein planen. Und ganz grundsätzlich erscheint die Hoffnung naiv, dass Behörden Bankenkrisen durch eine bessere Überwachung und ein ausgefeilteres Krisenmanagement verhindern können. 

Gibt es auch Teile des Berichts, die Sie positiv überrascht haben?

Ich bin positiv überrascht, dass die PUK auch die Rolle des Parlaments selbst grundsätzlich kritisch hinterfragt hat. Insbesondere weist sie daraufhin, dass die Grundannahme der bisherigen Too-big-to-fail-Regulierung (TBFT), wonach eine internationale Grossbank dank dem Regelwerk ohne staatliche Risikoübernahme untergehen kann, komplett falsch war.

«Die Grundannahme der bisherigen TBFT-Regulierung war komplett falsch.»

Die Kommission hält fest, dass Teile dieser Regulierung nicht krisentauglich sind und will die Gesetzgebung anpassen. Sie kritisiert, die Notfallplanung habe sich zu sehr auf die Schweiz ausgerichtet, und das Regelwerk sei nicht für eine Vertrauenskrise konzipiert. Hatte man diese eigentlich auf der Hand liegenden Aspekte bei der jahrelangen, aufwendigen Ausarbeitung der TBTF-Regulierung nach der Finanzkrise 2008 einfach übersehen?

Das Verständnis, wie unser Banken- und Finanzsystem funktioniert, ist nicht nur bei Parlamentariern tief. Darunter leidet die Debatte. Nur schon die Unterscheidung zwischen Anforderungen an Eigenkapital und Liquidität ist vielen wohl nicht klar. Kombiniert mit praxisfernen akademischen Ideen und viel Wunschdenken führte dies zu einer mangelhaften Regulierung. 

Worauf spielen Sie damit konkret an?

Völlig ausgeblendet wurde zum Beispiel, dass eine Abwicklung gemäss der TBTF-Regulierung mit massiven internationalen Ansteckungsrisiken verbunden ist – und dass der internationale Druck auf die Schweizer Behörden, diese Option nicht umzusetzen, deshalb sehr hoch sein wird. Dies ist meines Erachtens auch eine der wichtigsten Erkenntnisse des PUK-Berichts, der bestätigt, dass dieser «unglaublich grosse» internationale Druck tatsächlich bestand, auch wenn die Verantwortlichen dies im Nachhinein bestritten haben.

«Der PUK-Bericht bestätigt, dass der internationale Druck ‹unglaublich gross› war, auch wenn die Verantwortlichen dies bestritten haben.»

Die PUK moniert weiter, dass der Public-Liquidity-Backstop (PLB) – das Instrument eines ungedeckten, aber vom Bund garantierten Kredits der SNB an eine Bank in Liquiditätsnot – nicht rechtzeitig eingeführt wurde. Ist der PLB, der nachträglich ins TBTF-Konzept eingefügt wurde, wirklich so wichtig?

Der PLB kann in der Tat kurzfristig auf eine pragmatische Art und Weise eine internationale Finanzkrise verhindern, falls eine globale Grossbank in Schwierigkeiten gerät. Ein PLB schliesst einen Untergang einer solchen Bank aufgrund eines Bankruns aus. Doch damit entstehen massive Probleme. Erstens hat die Bank weniger Anreize, selbst für das Vertrauen zu sorgen, das zur Verhinderung eines Bankruns erforderlich ist. Zweitens verzerrt der PLB den Wettbewerb zugunsten der Banken, die ihn erhalten. Drittens können die Kosten, die der Steuerzahler damit übernehmen muss, unter Umständen immens sein – insbesondere, da er potenziell auch ausländische Finanzplätze subventionieren muss. Kurz: Eine solche Vollkasko-Garantie für eine globale Grossbank ist eine Hochrisikostrategie für ein kleines Land wie die Schweiz.

Die Kommission empfiehlt dem Bundesrat, zu prüfen, ob die Qualität und Quantität der Eigenmittel von international tätigen systemisch relevanten Banken genug geschützt ist, damit deren Solidität gesichert ist. Was heisst das mit Blick auf die Eigenkapitaldebatte um die UBS, heute in der Schweiz die letzte Vertreterin dieser Spezies?

Auch die PUK hat erkannt: Kapitalausstattungen sind entscheidend. Die Gefahr ist aber, dass man sich in der Kapitaldebatte ebenfalls in den Details verliert. Für eine höhere Finanzstabilität braucht es mehr Kapital ohne Kleingedrucktes. Nur so reduzieren sich die Risiken, die der Steuerzahler im Krisenfall eingehen muss. Banken haben hingegen Anreize, diese staatlichen Subventionen möglichst hochzuhalten und plädieren darum bei Kapitalanforderungen immer für Ausnahmen, Übergangsfristen, Risikogewichte und andere Erleichterungen.

Die PUK spricht sich auch dezidiert gegen die grossen Eigenmittelerleichterungen aus, die der CS gewährt wurden. Ist das nur Vergangenheitsbewältigung, oder hat das Konsequenzen auch für die UBS?

Der Untersuchungsbericht der PUK zeigt schön auf, welchen Einfluss die Wünsche der CS hatten, auch bei diesem regulatorischen Filter. Bundesrat, Verwaltung, Parlament, Finma und SNB – alle hatten irgendwie Angst vor der CS. Angesichts der Debatte der letzten Monate bin ich nicht sicher, ob sich da etwas geändert hat, im Gegenteil. Als letzte verbliebene Grossbank hat die UBS noch mehr Trümpfe in der Hand. Alle Beteiligten scheinen nun genauso Angst vor der UBS zu haben.

«Die einzige zu beantwortende Frage ist: Wie wichtig ist eine globale Grossbank für die Schweiz?»

Kritisiert wird zudem das Krisenmanagement des Bundesrates, der mangelhafte Informationsfluss zwischen den Behörden, die fehlende Koordination und Protokollierung usw. Hat man aus der Erfahrung mit der UBS in der Finanzkrise nichts gelernt? Arbeiten die Schweizer Behörden, also EFD, SNB und die Finma, schlampig? 

Das sind im Grunde irrelevante Details. Ein gewisser Pragmatismus gehört in einer Krise naturgemäss dazu. Ein Krisenmanagement wird damit auch immer stark von den involvierten Verantwortlichen abhängig sein. 

In ersten Stellungnahmen begrüssen Bundesrat, Finma und Bankiervereinigung den PUK-Bericht. Ist diese Harmonie nicht verdächtig?

Der Bericht fokussiert mehr auf die Vergangenheitsbewältigung als auf die Zukunft – und verzichtet dabei zurecht darauf, abgesehen von den Verantwortungsträgern der CS, Schuldige zu benennen. Doch die entscheidenden Fragen betreffen die Zukunft: Wie viel Verantwortung müssen die Banken übernehmen, wie viel Verantwortung übernimmt weiterhin der Staat? Dazu werden sich die Ansichten deutlicher unterscheiden.

Wie hat nun aus Ihrer Sicht zu geschehen, damit unser Land in einigen Jahren nicht zum dritten Mal eine Grossbank retten muss? Was sind die wesentlichen Punkte, die man bald klären und regeln muss?

Unternehmen machen immer wieder Fehler, und unser Finanzsystem ist darauf ausgelegt, dass solche Fehler bei Banken rasch auch für Unbeteiligte zum Problem werden können. Die einzige zu beantwortende Frage ist: Wie wichtig ist eine globale Grossbank für die Schweiz, und wie viele damit verbundene Risiken will unser Land dafür eingehen? Es gibt dabei genau zwei Hebel, die Eigenverantwortung der UBS zu stärken und das Risiko für den Steuerzahler wenigstens etwas zu mindern: zum einen deutlich mehr Eigenkapital und zum anderen möglichst viel werthaltiges und verfügbares Collateral, also für die Sicherung von Krediten geeignete Aktiven, damit die UBS bei der SNB Notfallliquidität erhalten kann, ohne dass die Allgemeinheit Risiken übernehmen muss.


Adriel Jost ist selbständiger Ökonom, Berater und Referent. Zudem ist er Fellow am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern (IWP) und Lehrbeauftragter an der Universität St.Gallen (HSG) sowie Präsident der Denkfabrik Liberethica. Zuvor war er u.a. bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) als Berater und bei Wellershoff & Partners als Chefökonom tätig.