Zwei Jahrzehnte lang hat Thomas Jordan Verantwortung für die Schweizer Geldpolitik getragen. Nun nutzt er ein Interview, um kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Direktorium ein paar Pflöcke einzuschlagen.

27 Jahre Tätigkeit für die Schweizerische Nationalbank (SNB), 20 Jahre Einsitz im Direktorium und 12 Jahre davon als Präsident des geldpolitischen Entscheidungsgremiums. Das ist eine, zugegeben eher etwas trockene, Form, um Bilanz über die Ära von Thomas Jordan als Wächter der Preisstabilität, der Währung und der Finanzstabilität zu ziehen.

Manchmal kann es auch aufschlussreich sein, wie eine Persönlichkeit ihr Wirken am Ende ihrer Karriere selber einschätzt. Jordan, der per Ende September die SNB (mit unbestimmtem Ziel) verlassen wird, hat nun ein Interview (das am Samstag in «Le Temps» erschienen ist) genutzt, um Bilanz zu ziehen – natürlich ohne Effekthascherei, sondern in der ihm eigenen sachlichen Art.

CS-Aus: «Bedauerlich» und «schade»

Der Bogen, der dabei thematisch gespannt wird, ist sehr breit: das Wagnis der Aufhebung des Mindestkurses im Januar 2015 (Jordan:«unausweichlich»), die wegen der enormen Devisenkäufe immer noch riesige Bilanz der SNB («kann bei Gelegenheit reduziert werden»), ihr Eigenkapital («zurzeit ungenügend»), die irrlichternde Idee eines Staatsfonds mit SNB-Anlagen («ein völliges Missverständnis»), die Preisstabilität («Bedeutung wird oft unterschätzt») und die Klimapolitik («Preis- und Finanzstabilität sind unser Beitrag zur Nachhaltigkeit»).

Jordan geht im Interview aber auch auf die Krise der Credit Suisse (CS) im März 2023 und die künftige Regulierung der neuen UBS ein. «Ich möchte unterstreichen, dass ich das Verschwinden der CS bedauere», hält der Präsident fest – was an Martin Schlegel, Vize des Direktoriums und Jordans designierter Nachfolger, erinnert, der bereits im April im «Eco Talk» auf die Frage, wie er es finde, dass es künftig nur noch eine Grossbank gebe, mit einem lakonischen «schade» antwortete.

«Quoi qu'il en coûte» funktioniert für SNB nicht

«Die Schweizer Behörden waren gut vorbereitet, und wir haben die notwendigen Massnahmen ergriffen, um eine weltweite Finanzkrise zu verhindern», lobt Jordan und verteidigt damit das oft kritisierte Krisenmanagement des Bundes, der SNB und der Finanzmarktaufsicht Finma. Die SNB könne in einem solchen Fall nicht einfach sagen «koste es, was es wolle, wir retten die Bank», weil das nicht ihr Aufgabe sei.

Mit Blick auf Lehren unterstützt Jordan den Bericht des Bundesrats zu Bankenstabilität. «Es ist sehr wichtig, die Höhe des Eigenkapitals vorsichtig und realistisch zu berechnen.» Jordan plädiert insbesondere dafür, zu berücksichtigen, dass gewisse Aktiven in einer Stresssituation nicht werthaltig sind. Und Banken sollten genügend Aktiven vorbereiten, die sie bei Bedarf als Pfand (Collateral) für Notfallkredite der Zentralbank einsetzen können. Die SNB hatte diese Forderungen bereits in ihrem Finanzstabilitätsbericht und an der jüngsten Lagebeurteilung im Juni deponiert.

Option der Resolution ist zentral

«Es braucht ein System, in dem eine Bank verschwinden kann, ohne das Finanzsystem oder die Wirtschaft zu destabilisieren», fordert Jordan und gibt sich damit (auch nach seinem langen Staatsdienst) als Ordnungspolitiker zu erkennen. Die Möglichkeit, eine Bank geordnet abzuwickeln und aufzulösen (Resolution), sei deshalb «sehr, sehr wichtig», sagt Jordan mit Blick auf die UBS – und nachdem die Regelungen der Resolution für die systemrelevante CS gar nicht zu Anwendung gelangten.

Die neu einzige Grossbank ist für unser Land aber offenbar nicht nur ein Risiko, sondern auch ein Asset. «Die Schweiz hat ein Interesse daran, eine Bank von internationaler Bedeutung zu haben, nicht so sehr für den Finanzplatz selber, sondern für die Realwirtschaft.» Dabei sei es wichtig, dass der Wettbewerb spiele und der Markt offen sei, hält Jordan im Zusammenhang mit dem Persilschein, den die Finma der UBS bei der wettbewerbsrechtlichen Prüfung der Übernahme jüngst ausgestellt hat, fest.

Eine wertvolle Grundlage

Man muss die Einschätzungen des Schweizer Noch-Notenbankchefs nicht in jedem Punkt teilen, beispielsweise wenn es um das Management der CS-Krise durch die Behörden geht.

Doch wer sich ein Urteil über die Schweizer Geld- und Stabilitätspolitik der letzten zwei Jahrzehnte bilden will, tut gut daran, Jordans «Vermächtnis» zu berücksichtigen, wenn ihm oder ihr an einer fundierten Entscheidungsgrundlage gelegen ist.