Grossbritannien und die Schweiz wollen mit dem Berner Finanzdienstleistungsabkommen zeigen, dass sich Hindernisse im grenzüberschreitenden Angebot von Finanzdienstleistungen im Gegensatz zur EU auch ohne Vereinheitlichung der Rechtssysteme beseitigen lassen. Ob das für die Schweiz von Vorteil ist, beurteilt der Schweizer Rechtsanwalt Kaspar Landolt in seinem Gastbeitrag für finews.ch.
Die Schweiz und Grossbritannien verfügen, bis auf eine gewichtige Ausnahme, bereits heute über ein relativ liberales Regime für grenzüberschreitende Finanzgeschäfte, insbesondere für solche mit institutionellen und professionellen Kunden. Mit dem Berner Abkommen über die gegenseitige Anerkennung im Bereich der Finanzdienstleistungen sollen gewisse Tätigkeiten in spezifischen Sektoren für bestimmte Kunden weiter liberalisiert werden.
Anders als die EU setzen die Schweiz und Grossbritannien dazu weder die Harmonisierung noch die vollständige Äquivalenz der Finanzmarktgesetze voraus. Vielmehr beruht das Berner Abkommen auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung. Danach genügt es, dass die innerstaatlichen Regeln der einen Vertragspartei gleichwertige Ergebnisse wie diejenigen der anderen Vertragspartei erzielen. Eine weitergehende Angleichung der Rechtssysteme erübrigt sich.
Bäume wachsen deswegen nicht in den Himmel
Mit diesem pragmatischen Vorgehen verfolgen die Schweiz und Grossbritannien einen innovativen Ansatz, der weltweit seinesgleichen sucht. Mit dem Abkommen demonstrieren die beiden Länder, dass sich der grenzüberschreitende Austausch von Finanzdienstleistungen auch ausserhalb eines einheitlichen Binnenmarktes liberalisieren lässt, ohne dass dazu ein grosser bürokratischer Aufwand erforderlich ist.
In den Himmel wachsen die Bäume deswegen selbstverständlich auch zwischen der Schweiz und Grossbritannien nicht. Vielmehr ist jeweils für jeden Sektor und jeden Finanzdienstleister einzeln zu prüfen, worin genau die Vorteile des Abkommens bestehen.
Weniger positiv für Versicherungen
Erfreulich ist das Abkommen insbesondere für Schweizer Banken und weitere schweizerische Finanzinstitute wie Fondsleitungen oder Vermögensverwalter. Diesen erlaubt es das Abkommen, Finanzdienstleistungen an vermögende Privatkunden und professionelle Kunden in Grossbritannien zu erbringen, ohne dass dazu eine Bewilligung einer britischen Aufsichtsbehörde erforderlich wäre. Im Gegenzug entbindet die Schweiz unter gewissen Voraussetzungen britische Kundenberater von der Pflicht, sich für die Betreuung von vermögenden Schweizer Privatkunden hierzulande registrieren zu müssen.
Weniger positiv mag das Abkommen für schweizerische Versicherungen aussehen. Gleich wie den Versicherungen anderer Länder steht diesen der britische Markt nämlich bereits heute weitgehend offen. Die Öffnung des gegen ausländische Mitbewerber stark geschützten Schweizer Marktes für britische Versicherungen und Versicherungsvermittler erfolgt damit einseitig. Immerhin bleibt sie auf einzelne Versicherungssparten und auf sehr grosse Versicherungsnehmer beschränkt.
Letzteren dürfte künftig in den unter das Abkommen fallenden Bereichen eine breitere Auswahl an Produkten zur Verfügung stehen, womit sich das Abkommen belebend auf den hiesigen Versicherungsmarkt auswirken dürfte. In weiteren Bereichen, wie namentlich beim Asset Management, bestätigt das Abkommen im Wesentlichen den Status Quo. Zudem enthält es detaillierte Regeln zu Handelsplätzen, zentralen Gegenparteien und OTC-Derivaten.
Weiterhin unabhängig
Anders als der gescheiterte Rahmenvertrag und die derzeitigen Verhandlungen mit der EU sieht das Berner Abkommen keine «dynamische» Rechtsübernahme durch die Schweiz vor. Vielmehr haben die Schweiz und Grossbritannien weiterhin das Recht, ihre Regulierung jederzeit und unabhängig von der anderen Vertragspartei zu ändern. Beabsichtigt eine Partei Änderungen, die sich auf das Abkommen auswirken können, muss sie die andere Partei rechtzeitig darüber informieren und nötigenfalls konsultieren.
Zudem sind das Abkommen und seine Umsetzung nach spätestens fünf Jahren zu überprüfen. Weiter legt das Abkommen ein detailliertes Streitbeilegungsverfahren fest, bei dem sich die Schweiz und Grossbritannien gleichberechtigt gegenüberstehen. Besonders hervorzuheben ist schliesslich, dass der Staatsvertrag bereits heute einen Mechanismus enthält, wonach sein Geltungsbereich im gegenseitigen Einverständnis erweitert werden kann.
Noch durchs Parlament
Offiziellen Verlautbarungen Grossbritanniens respektive der Schweiz zufolge dürfte es sich in einem ersten Schritt um eine Ergänzung in den Bereichen nachhaltige Finanzierungen und digitale Finanzdienstleistungen handeln. Bewahrheitet sich dies, gestaltet sich auch das Berner Finanzdienstleistungsabkommen als «dynamisch», allerdings in einem ganz anderen Sinn als gegenwärtig mit der EU ausgelotet wird.
Wie geht es weiter? Das Abkommen muss durch die Parlamente beider Länder ratifiziert werden und dürfte deshalb erst im Verlauf des Jahres 2025 in Kraft treten. In der Schweiz wird als nächstes die Botschaft des Bundesrates veröffentlicht werden. In Grossbritannien wurde das Abkommen bereits im International Agreements Committee des House of Lords besprochen, wo es positiv aufgenommen und als mögliche Vorlage für vergleichbare Verträge mit weiteren Ländern andiskutiert wurde.
Voraussetzung für nächste Schritte gegeben
Zusammenfassend stellt das Abkommen einen pragmatischen Schritt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz und Grossbritanniens dar. Inhaltlich hätte man sich im einen oder anderen Punkt eine noch weitergehende Liberalisierung wünschen dürfen. Immerhin ist aber die Voraussetzung für eine Fortentwicklung bereits im Abkommen selbst angelegt. Ob es sich darüber hinaus als Blaupause für ähnliche Abkommen mit weiteren Finanzplätzen wie Japan, Singapur, Australien oder gar der EU oder den USA dienen wird, bleibt abzuwarten.
Kaspar Landolt, LL.M., Partner bei der international tätigen Anwaltskanzlei CMS, leitet dort die Gruppe ‹Banking & Finance›. Er verfügt über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung mit Akquisitions-, Unternehmens-, Immobilien-, Projekt- und Asset-Finanzierungen, der Emission und dem Anbieten von Finanzinstrumenten, Bewilligungsgesuchen und anderen finanzmarktaufsichtsrechtlichen Themen sowie Restrukturierungen. Zu seinen Kernkompetenzen gehören weiter das Versicherungsrecht, kollektive Kapitalanlagen sowie M&A und das Gesellschaftsrecht.