Beat Wittmann entwirft auf finews.ch ein Zehn-Punkte-Programm zur nationalen Sicherheit der Schweiz. Auslöser dafür war für ihn, einen Beitrag zur Sicherheitspolitik zu schreiben, angesichts des aktuellen Politikdebakels in Bern zum Armeebudget. «Da ich viele Jahre Offizier (Oberstleutnant) im Militärischen Nachrichtendienst (MND) im Armee-HQ in Bern war, habe ich das kollektive Versagen vor Ort selbst erlebt», betont er.
1. Geopolitik in Transformation und Krieg in Europa
Europa und damit auch die Schweiz sind nun seit zwei Jahren mit der russischen Invasion in die unabhängige und souveräne Ukraine konfrontiert und damit mit einem Angriff auf die europäische post-1945 Nachkriegsordnung und so auch auf unsere demokratischen und freiheitlichen Gesellschaftsordnungen. Europa kann es sich nicht leisten, sich einseitig auf die Unterstützung der USA zu verlassen, zumal sich mit einer möglichen Wiederwahl Donald Trumps die sicherheitspolitischen Prioritäten der USA weg von Europa verschieben würden.
Die Sicherheit Europas ist eine direkte Funktion der sicherheitspolitischen und militärischen Aufrüstung und langfristigen Unterstützung der Ukraine. Dies gilt auch insbesondere für die DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) welche die eigene Verteidigungsbereitschaft auf verantwortungslose Weise seit drei Jahrzehnten vernachlässigt hat.
2. Landesverteidigung ist ein Verfassungsauftrag
Der Auftrag zur Landesverteidigung steht in der Schweizer Verfassung. Strategische Autonomie beginnt, steht und fällt mit der militärischen Verteidigungsfähigkeit, und Neutralität existiert notabene nicht ohne einsatzbereite Armee.
Nationale Sicherheit und Verteidigung sind die erste Kernaufgabe eines souveränen Staates und fundamentale Grundvoraussetzungen für politische Stabilität, wirtschaftlichen Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit und internationale Reputation und Vertrauen.
3. Schweizer Armee – nicht einsatzbereit
Die Schweizer Armee ist in ihrer Kernkompetenz Verteidigung zurzeit nicht einsatzbereit, und dies zu einem Zeitpunkt der grössten militärischen Bedrohung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.
Für diesen Zustand sind weitestgehend die Schweizer Regierung und das Parlament verantwortlich, die seit dem Ende des Kalten Krieges im Jahr 1989 die Friedensdividende in Sozialausgaben, Subventionen und Umverteilungen verschwendet haben, anstatt in kritische Infrastrukturen Sicherheit, Cyber, Energie, Verkehr und Ausbildung und Wissenschaft zu investieren.
4. Nationale Sicherheit durch glaubwürdige Gesamtverteidigung
Was ist zu tun, um eine glaubwürdige innere und externe Sicherheit und Abschreckung sicherzustellen? Der aktuelle Plan in Bern ist, dass das Armeebudget erst per 2035 auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) ansteigt, was nicht einmal ansatzweise reicht, um eine einsatzbereite Armee sicherzustellen, sondern die Armee relativ und absolut weiter abschwächt und demoralisiert.
Warum, ist die Frage? Im Politbetrieb in Bern ist der Ansatz, nicht zu fragen, was der finanzielle Aufwand für eine einsatzbereite Armee und glaubwürdige Gesamtverteidigung ist, sondern was im Bundeshalt am Ende des Jahres noch übrig bleibt – denn Wählerstimmen für Politikerinnen und Politiker sind zum Thema Armee genauso wenig zu gewinnen wie zum Thema Finanzplatz.
Im Vergleich stehen die eurssß die Schweiz ihre Sicherheit und Verteidigung bereits heute in Richtung Nato ausgelagert hat. Es ist realistischerweise davon auszugehen, dass die Rechnung dafür der Schweiz eher früher als später präsentiert wird.
5. Schweiz – Sicherheitspolitisches Trittbrettfahren
Die Schweiz ist geografisch in einer überaus glücklichen Lage und in gleich mehreren Ringen umgeben von stabilen, wohlhabenden, demokratischen und kulturell nahestehenden Nachbarstaaten.
Die Schweiz ist aber seit drei Jahrzehnten in einem stetigen Ausmass zur sicherheitspolitischen Trittbrettfahrerin unserer europäischen Nato-Nachbarn und des atomaren Schutzschildes und der militärischen Logistik-Drehscheibe und des Aufmarschgebietes der USA in Deutschland geworden. Die kürzlich angelaufene und seit 1988 erste umfassende Nato-Verteidigungsübung «Steadfast Defender 2024» ist beste Manifestation.
6. Finanzierung der Armee - kein Finanzielles Problem
Die sofortige und nachhaltige Finanzierung einer glaubwürdigen Landesverteidigung ist für die Schweiz überhaupt kein finanzielles Problem – es ist eine reine Frage des politischen Willens und der Prioritäten.
Das Problem ist, dass die politischen Entscheidungsträger im Silodenken und deren Buchhaltungen gefangen bleiben anstatt mit gesamtheitlichen Lagebeurteilungen, Planungen, Strategien und Zielsetzungen zu arbeiten – oder mit anderen Worten: Die Armee erhält, was nach der Bedienung aller Partikularinteressen und deren Lobbyisten und Berücksichtigung der Schuldenbremse übrig bleibt - zu wenig, um zu überleben und zu viel um zu sterben.
Die Finanzierung eines Staatshaushaltes geschieht über drei Elemente: Einnahmen erhöhen, Ausgaben kürzen und/oder Verschuldung. Die zu empfehlende Rezeptur aus sozialmarktwirtschaftlicher Sicht sind so einfache wie klare Reformen: Subventionen abschaffen, Kartelle und Preisbindungen verbieten, Energie- und Verkehrssektoren liberalisieren und das Rentenalter erhöhen.
Das Resultat wäre ein deutlich höheres Wirtschaftswachstum und grösserer Wohlstand inklusive eine glaubwürdige Landesverteidigung.
7. Schweizer Rüstungsindustrie – eine Sicherheitspolitische Notwendigkeit
Russlands militärischer Angriff auf die Ukraine hat auch Europas Rüstungsindustrie überrascht. Diese ist einerseits noch immer zu fragmentiert und vor allem deutlich unter den benötigten Kapazitäten – zum Beispiel die ungenügende Produktion von Munition, dies ganz im Gegensatz zu Russland, das bereits voll auf Kriegswirtschaft umgestellt hat.
Moderne Kriegsführung ist einerseits konventioneller Kampf der verbundenen Waffen, aber zunehmend auch hybrid und betrifft damit nicht nur die territoriale Integrität sondern kritische Infrastrukturen wir Energie, Cyber, Verkehr und Telekommunikation.
Europa und die Schweiz benötigen dringend eine leistungsfähige und effiziente Rüstungsindustrie, welche der Zeitenwende in der Geopolitik und damit fundamental veränderten Bedrohungslage gerecht wird. In diesem Zusammenhang sind auch eine offene Diskussion und eine demokratische Entscheidungsfindung zum Thema Rüstungsexporte in Kriegsgebiete überfällig.
8. Kollektives Politik-Versagen
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSOA) lancierte 1989 die Initiative zur «Abschaffung der Armee», die von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger abgelehnt wurde. Nichtsdestotrotz haben ausschliesslich bürgerliche Verteidigungsminister (Bundesrat Ueli Maurer) und eine unheilige parlamentarische Allianz von rechten und linken nationalistisch-populistischen Mehrheiten die Armee bis zum heutigen desolaten Zustand heruntergewirtschaftet.
9. Diskussion und Demokratie
Die Schweiz ist zu Recht stolz auf ihre demokratische Tradition, diese muss aber immer gelebt und sporadisch auch wiederbelebt werden. Landesverteidigung und Souveränität sind auf das engste miteinander verbunden, und es gilt, deren Sicherung offen, sachlich, faktisch und gesamtheitlich zu diskutieren und durch demokratische Entscheide zu legitimieren. Die Schweiz hat drei Handlungsalternativen:
- unmittelbar und eigenständig militärisch rehabilitieren durch massives nachrüsten und aufwachsen – mindestens 2 Prozent des BIP ab 2024 – und damit den erforderlichen Beitrag an die nationale und kollektive Sicherheit Europas leisten
- operativ deutlich näher an die Nato zu rücken oder der Nato beizutreten
- die Nato für deren kollektive Sicherheitsleistung finanziell zu entschädigen.
10. Eidgenössische Volksinitiative «Für eine wehrhafte Schweiz»
Es schient im heutigen politisch polarisierten und paralysierten Umfeld, dass das Ziel, eine glaubwürdige Landesverteidigung wiederzuerlangen am besten über eine Volksinitiative «Für eine wehrhafte Schweiz» zu erreichen wäre.
Deren Hauptelement wäre es, jährlich mindestens 2 Prozent des BIP für Armeeausgaben in der Verfassung festzuschreiben. Ein diesbezüglich vorbildliches Beispiel hat Polen bereits gesetzt, wo es gesetzlich verankert wurde, ab 2023 3 Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben.