Ein neues Verfahren zeigt exemplarisch, wie auch die Schweizer Justiz zunehmend Fälle beurteilen muss, die aufgrund investigativer Recherchen entstanden sind. Finanzthemen sind davon regelmässig betroffen, und die Gemengenlage ist höchst komplex.
Anfang dieser Woche hat die in Zug ansässige Kolmar Group beim dortigen Kantonsgericht eine Klage wegen angeblicher Persönlichkeitsverletzung gegen Public Eye und Trial International sowie zwei Mitarbeiterinnen dieser Organisationen und einen freien Journalisten eingereicht, wie einer Mitteilung vom Freitag zu entnehmen ist. Sie verklagt die beiden Organisationen auf 1,8 Millionen Dollar.
Dieser rechtliche Schritt erfolgt dreieinhalb Jahre nach Veröffentlichung eines gemeinsamen Berichts, der die Beteiligung des Unternehmens am Handel mit libyschem Diesel in den Jahren 2014 und 2015 aufdeckte, als das Land mitten in einem bewaffneten Konflikt steckte. Das Verfahren illustriert den zunehmenden Druck, dem investigative Medienschaffende und NGOs, die Themen von öffentlichem Interesse recherchieren, auch in der Schweiz ausgesetzt sind, wie die beiden NGOs schreiben.
Im Gegensatz dazu erklärte die Kolmar Group auf Anfrage von finews.ch, sie bringe niemanden zum Schweigen und respektiere auch die Funktion von NGOs in der Gesellschaft. Die Kolmar Group verteidige sich aber rechtlich gegen Anschuldigungen, die falsch und unrechtmässig seien und die erheblichen Schaden verursachten.
In unruhigen Gewässern
Gemäss Angaben von Public Eye und Trial International sind die 1,8 Millionen Dollar der höchste Betrag, der je in der Schweiz von einer NGO für eine angebliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte gefordert wurde. Im Zentrum der Klageschrift steht der Bericht «Schmuggel von libyschem Dieselöl: Ein Schweizer Händler segelt in unruhigen Gewässern» von März 2020, der auf mehr als einjährigen Recherchen zwischen der Schweiz, Malta und Sizilien beruht.
Vor dem Hintergrund des zweiten Bürgerkriegs in Libyen wird darin die Beteiligung der Kolmar Group am Handel mit libyschem Diesel zwischen 2014 und 2015 dokumentiert. Unter anderem wurde die Route von drei Öltankern von der libyschen Küste zurückverfolgt, die ihre Ladung ganze 22 mal in Tanks löschten, die der Zuger Händler damals in Malta gemietet hatte.
Wie die Kolmar Group weiter erklärte, verschweigen Public Eye und Trial International die Tatsache, dass die Autoren des von ihnen im Jahr 2020 veröffentlichten Artikels von den zuständigen Schweizer Strafverfolgungsbehörden angeklagt wurden und sich demnächst vor dem Strafgericht wegen Verleumdung und sogar vorsätzlicher Verleumdung verantworten müssen.
Verdacht auf Kriegsverbrechen
Laut den Dokumenten, die Public Eye und Trial International damals erhielten, handelte es sich dabei um Diesel aus einem transnationalen Schmuggelnetz, der aus der Plünderung libyscher Ölraffinerien stammte. Der staatlich subventionierte und für die eigene Bevölkerung bestimmte Treibstoff wurde von Schmugglern mit Hilfe einer bewaffneten Gruppe in Libyen abgezweigt, von libyschen Fischerbooten auf von zwei maltesischen Geschäftsleuten gecharterte Schiffe umgeladen und nach Malta transportiert.
Zwei Monate nach Veröffentlichung des Berichts reichte Trial International im Mai 2020 bei der Bundesanwaltschaft (BA) eine Strafanzeige ein, der kurz darauf eine Meldung der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS) folgte. Im November 2020 eröffnete die BA dann ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des «Verdachts auf Kriegsverbrechen durch Plünderung».
Bereits das nächste Kapitel
Die von der Kolmar Group nun angestrengte Zivilklage ist das nächste Kapitel eines schon über drei Jahre dauernden Rechtstreits. Nur wenige Tage nach der Anzeige durch Trial International reichte der Rohstoffhändler bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Bern eine Klage gegen die Verfasserinnen und Verfasser ein und beschuldigte sie der «Verleumdung, ja sogar der üblen Nachrede».
Dies, obwohl die Firma nicht auf die wiederholte Bitte der NGOs vor Veröffentlichung des Berichts um Stellungnahme reagiert hatte, um dann unmittelbar nach der Publikation eine Gegendarstellung zu verlangen. Nach einem ersten Nichteintretensentscheid wurde eine Beschwerde des Händlers aus prozessualen Gründen doch noch gutgeheissen. Der Fall ist weiterhin hängig.
Verhärtete Fronten
Durch ihre zivilrechtliche Forderung von 1,8 Millionen Dollar Schadenersatz erhöht die Kolmar Group den finanziellen Druck. Die NGOs bestreiten Kolmars Behauptungen und werden sich entschieden dagegen wehren, wie weiter zu erfahren war.
Die Kolmar Group gibt sich zuversichtlich, dass die Zivilgerichte, bei denen eine Entschädigung beantragt wurde, die Schwere und den unrechtmässigen Charakter der Angriffe anerkennen und die Rechtsmässigkeit der rechtlichen Schritte, die das Unternehmen zur Wiederherstellung des guten Rufes unternommen hat, ebenso anerkennen werden, wie es die Strafbehörden bisher getan haben.