Das einstmals wertvollste Startup Europas bäckt in der Zwischenzeit wieder kleinere Brötchen. Doch gerade hierzulande ist das Wachstum des Bezahldienstes und «Buy now pay later»-Anbieters Klarna enorm, wie Schweiz-Chef Christian Kehr im Gespräch mit finews.ch verrät. Selbst ChatGPT oder Airbnb spielen im Geschäftsmodell nunmehr eine Rolle.
Als Klarna im Mai vergangenen Jahres aufgrund der aus dem Ruder laufenden Kosten einen grossangelegten Stellenabbau ankündigte, war die Ernüchterung enorm. Global strich das Unternehmen 10 Prozent der Stellen. Das dies Wirkung zeigte, liess sich bereits an den Quartalszahlen des schwedischen Konzerns für die ersten drei Monate von 2023 ablesen.
Dabei konnte Klarna den operativen Verlust gegenüber dem Vorjahr halbieren und das Transaktionsvolumen (Gross Merchandising Volume, GMV) erhöhte sich um 17 Prozent. Zudem gewann die Firma neue wichtige Partner, darunter Airbnb. Auch mit ChatGPT kooperiert Klarna mittlerweile. Wer über das KI-Portal nach einem Produkt Ausschau hält, dem werden die Ergebnisse der Suche auf Klarna angezeigt.
Schweizer Zahlen verdoppelt
Klarna-Schweiz-Chef Christian Kehr (Bild: Klarna)
«In der Schweiz haben wir die Zahlen in den vergangenen zwölf Monaten verdoppeln können», sagt Christian Kehr (Bild oben), der Schweiz-Chef von Klarna im Gespräch mit finews.ch. «Die Anzahl aktiver Nutzerinnen und Nutzer der Klarna-App ist im Vergleich zum Vorjahr um fast 50 Prozent gestiegen», wie weiter zu erfahren war. Konkrete Werte gibt das Unternehmen allerdings nicht bekannt. Stattdessen verrät Kehr: «Bei Buy now, pay later (BNPL) liegt der durchschnittliche Bestellwert bei 130 Franken.»
Top-Kunde von Klarna: ON
Die steigenden Zinsen hätten das Geschäftsmodell nicht grundlegend verändert, erklärt Kehr weiter. Klarna verdient weiterhin sein Geld hauptsächlich über Gebühren, die das Unternehmen von den Händlern generiert. Das dies bei höheren Finanzierungskosten stärker auf die Marge drückt ist allerdings klar.
Insgesamt arbeitet Klarna mit 13'000 Händlern in der Schweiz zusammen. Bei dem starken Wachstum hätten auch neue Gross-Accounts geholfen. So hat das Unternehmen im vergangenen April eine Zusammenarbeit mit dem Schuhhändler Dosenbach des deutschen Deichmann-Konzerns angekündigt. Apropos Schuhe: Eine der grössten Kundinnen Klarnas hierzulande sei die Sportschuhmarke «ON».
Als Erfolg wertet Kehr auch, dass Klarna bei Luxus-Marken wie Richemont mit seinem BNPL- und Finanzierungs-Angeboten zum Zuge kommt: «Bei BNPL sind wir klar der Marktführer in der Schweiz.»
Totales Einkaufs-Erlebnis
Klarna setzt dabei nicht mehr nur auf dieses Geschäftsfeld als Wachstumstreiber. Die App hat sich mit neuen Funktionen zu einer umfassenden Einkaufs-Anwendung entwickelt, wie Kehr betont. Dort können die Kundinnen und Kunden Produkte suchen und Preise vergleichen.
Neu ist auch die Übersicht über die getätigten Käufe und Bestellungen. «Wir bieten eine komplette Shopping-Journey und unterstützen die Marken dabei, ihre digitalen Verkaufskanäle zu verbessern», sagt der Manager weiter. «Viele unserer Kunden zahlen ihre Waren über Klarna PayNow sofort und nehmen BNPL gar nicht in Anspruch. Das Bezahlen über Klarna geht oft schneller, einfacher und flexibler als mit der Kreditkarte, da man keine Formulare und Masken ausfüllen muss.»
In den Händen halten
Zudem seien die Schweizer Kundinnen und Kunden den Rechnungskauf gewohnt. «Das Bezahlen über Klarna bietet eine hohe Flexibilität, etwa wenn man das Produkt erst einmal in den Händen halten oder anprobieren will, bevor man es bezahlt.» Auch belege die stabile tiefe Ausfallrate, dass BNPL nicht dazu beitrage, dass sich Konsumenten übermässig verschulden würden, unterstreicht Kehr.
Finanzierungen machten nur einen kleinen Anteil am Geschäft aus, erklärt Kehr. Global betrachtet liege dieser bei rund 3 Prozent. Zudem hat das Unternehmen eine neue B2B-Lösung lanciert, und man arbeite mit den Händlern daran, wie man die Kundendaten sinnvoll nutzen könne. «Unser Angebot umfasst viel mehr als nur die Bezahlfunktion. Wir bieten eine übersichtliche Rechnungskontrolle, Kundendienst und natürlich den Shop. Die meisten Händler haben nur eine digitale Version eines Rechnungskaufs», sagt Kehr.
Baby-Boomer als wichtigste Neukunden
Auch das Image, wonach Klarna vor allem etwas für Kunden den Generation-Z sein soll, stimme schon lange nicht mehr, sagt der Manager. «In Deutschland beträgt das Durchschnittsalter unserer Kundinnen und Kunden 45 Jahre, und die am schnellsten wachsende Altersklasse der Kunden ist die der 55- bis 60-jährigen.» Das liegt klar im Baby-Boomer-Territorium der Geburtsjahrgänge 1955 bis 1970. Unter die Generation Z fallen diejenigen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind. Sie gelten als die ersten, die mit dem Smartphone aufgewachsen sind.
Klarna ist in 45 Ländern aktiv und hat eigenen Angaben zufolge weltweit rund 150 Millionen Kunden sowie rund 500'000 angeschlossene Händler. Das schwedische Unternehmen hatte in den vergangenen Jahren, befeuert durch den Online-Shopping-Boom während der Corona-Pandemie, ein explosionsartiges Wachstum gesehen, worauf dann 2022 die Ernüchterung folgte.
Von 46 Milliarden Dollar auf 6,7 Milliarden Dollar
Die Bewertung des Unternehmens hatte in einer Finanzierungsunde 2021 ganze 46 Milliarden Dollar betragen. Klarna war damit das wertvollste Startup Europas. Im vergangenen Jahr brach die Bewertung bis auf 6,7 Milliarden Dollar ein.
Der am stärksten wachsende Umsatz-Bereich sind inzwischen die Einnahmen über Werbeplätze. Im vergangenen Jahr wurden über die App 600 Millionen Leads für die Handelspartner generiert, und die Marketing-Einnahmen stiegen um 130 Prozent. In den USA würden von den 100 grössten Detailhändlern mehr bei die Kundenakquise und beim Marketing mit Klarna zusammenarbeiten, als beim Bezahldienst, unterstreicht Kehr.