Das widrige Marktumfeld hat die Fintech-Branche hart getroffen. Nähern sich Banken und Fintechs jetzt weiter an? Von mehr Kooperation könnten alle profitieren.
Nur wenige Industriezweige standen in den letzten Jahren so im Rampenlicht wie die Fintech-Branche. Seit dem Pandemiejahr 2020 ist die Anzahl Börsengänge aus dem Fintech-Sektor im Zuge des Digitalisierungsschubs sprunghaft gestiegen. Allein in den USA kamen seither mehr als 30 Fintechs an die Börse. Doch das Marktklima in der einstmals «heissen» Fintech-Industrie hat sich dieses Jahr kräftig abgekühlt.
Etliche High-Flyer wurden auf den harten Boden der Realität zurückgeholt.
Robinhood muss bei sich selber abzwacken
Angesichts der hohen Marktvolatilität und einer drohenden Rezession haben sich Investoren aus Fintech-Startups zurückgezogen. Jetzt liegen bei Fintechs die Pläne für einen Börsengang oftmals auf Eis, während die ehemals überhitzten Bewertungen stark geschmolzen sind. Zahlreiche Fintechs versuchen nun, ihre Kosten zu senken. Dazu gehört teilweise auch der Stellenabbau. Dem Webportal Layoffs.fyi zufolge haben ganz allgemein seit Jahresbeginn über 430 Startups weltweit mehr als 61'600 Stellen abgebaut. Auch etabliertere Unternehmen müssen auf die Sparbremse treten.
Der während der Corona-Krise noch hochgehypte US-Online-Broker Robinhood hat dieser Tage drastische Stellenkürzungen angekündigt: Er baut fast ein Viertel seines Personals ab.
Auf breiter Front abwärts
Wie einschneidend die Marktzäsur ausfällt, zeigt auch ein Blick aufs Börsentableau. In den USA haben Branchengrössen wie Paypal und Block (ehemals Square) im laufenden Jahr zeitweise zusammen rund 300 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung verloren. Auch Unternehmen in Privatbesitz blieben von der Marktmalaise nicht verschont. Die Bewertung des schwedischen «Buy-Now-Pay-Later»-Giganten Klarna beispielsweise fiel nach einer Finanzierungsrunde vom vergangenen Juli drastisch um rund 85 Prozent auf unter 7 Milliarden Dollar.
Daten des Research-Unternehmens CB Insights zufolge sank die Fintech-Finanzierung im zweiten Jahresviertel im Quartalsvergleich um 33 Prozent und im Jahresvergleich um 46 Prozent auf 20,4 Milliarden Dollar. Die Anzahl der Geschäftsabschlüsse fiel derweil um 17 Prozent auf 1’225 im Vergleich zum Vorquartal. Sowohl die Finanzierungen als auch die Abschlüsse notieren damit auf dem niedrigsten Stand seit dem Schlussquartal 2020.
Die Fusionen und Übernahmen in der Fintech-Branche gingen im zweiten Quartal um 30 Prozent gegenüber dem Vorquartal zurück, der stärkste vierteljährliche Rückgang bei Fusionen und Akquisitionen in den letzten Jahren.
Nur eimaliger Rückenwind?
Insbesondere in Sektoren wie «Buy Now Pay Later» (BNPL) hinterfragen Investoren nun die mangelnde Rentabilität vieler Unternehmen und sorgen sich um mögliche Zahlungsausfälle bei Kreditnehmern im Falle einer Rezession. Die Bewertungsabschläge bei Fintechs sind teilweise so massiv, dass das Bewertungsniveau nun oft tiefer liegt als vor der Corona-Pandemie – so, als ob der digitale Rückenwind nur vorübergehend gewesen wäre.
Bewertungskorrekturen aufgrund steigender Zinssätze und der Befürchtungen, dass sich die diskretionären Konsumentenausgaben im Sog einer Rezession zurückbilden könnten, gehören zu einer Flurbereinigung und wirken längerfristig marktbereinigend. Aber den Trend hin zur Digitalisierung nun vollends abzuschreiben, wäre irreführend. Auch das gegenwärtige Jammertal wird früher oder später durchschritten werden. Die Digitalisierung schafft auch künftig neue Wachstumsfelder.
Laufend neue Dienstleistungen
An Innovationskraft mangelt es der Fintech-Branche trotz Krise nicht. Führende Anbieter wie Klarna und Stripe, die es kleinen Unternehmen ermöglicht, digitale Zahlungen zu akzeptieren, sind weiterhin aktiv in der Produkteentwicklung und fügen laufend neue Dienstleistungen hinzu. Affirm hat seine Reichweite durch eine Partnerschaft mit Amazon erweitert. Block baut sein Angebot an Point-of-Sale-Krediten so aus, dass es mit seinem Hauptkonkurrenten Paypal mithalten kann.
Das britische Zahlungsunternehmen Wise spannt inzwischen mit Google Pay zusammen, um Googles Fähigkeiten zu erweitern, internationale mobile Überweisungen zu unterstützen. Die in London ansässige Revolut wiederum will ihre globale Reichweite erhöhen und hat vor kurzem den Revolut Reader eingeführt, die erste Bezahlterminal-Hardware des Unternehmens. Das ermöglicht Revolut unter anderem, mit Block und Paypal zu konkurrieren.
Mehr Kooperation statt Konkurrenzkampf
Für konsumenten- und banknahe Fintechs bieten sich zahlreiche Wachstumschancen. Künftig noch engere Beziehungen und Kooperationen zwischen Banken und Fintechs sind eine Chance, das Dienstleistungsangebot zu Gunsten aller zu erweitern. Viele Fintechs sind deutlich innovativer als die herkömmlichen Finanzinstitute und ihre Lösungen könnten dazu beitragen, bei Banken das Kundenerlebnis stark zu verbessern und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen.
Handkehrum bietet sich Fintechs die Möglichkeit, durch Banking as a Service (BaaS) Zeit und Kosten zu sparen, indem sie Bankgeschäfte unter der Lizenz einer Bank durchführen oder durch Zusammenarbeit Finanz-Dienstleistungen anbieten. Solche Möglichkeiten gilt es, verstärkt zu nutzen.
Wenn Fintechs und Banken künftig noch enger zusammenarbeiten und ihre Dienstleistungen gegenseitig zugänglicher machen, werden nicht nur die Kunden profitieren, sondern auch die involvierten Unternehmen. Mehr Kooperation statt Konkurrenzkampf erscheint daher mit Blick nach vorne vielfach eine der vielversprechendsten Wachstumsstrategien zu sein.