In wenigen Monaten hat sich das Schweizer Bankwesen zu einem Risikofaktor für die Funktionstüchtigkeit des internationalen Finanzsystems entwickelt. Wie konnte das bloss geschehen? Eine Analyse von finews.ch-Gründer Claude Baumann.
Wer hätte das je gedacht? Das über Jahrhunderte bewährte Swiss Banking, also die sichere, solide und stabile Geldverwaltung, wird eine Bedrohung für die ganze Welt. So bedrohlich sogar, dass ganze Staatenverbunde die Schweiz ultimativ auffordern, ihre Probleme zu lösen und damit gegen eine allfällige Kernschmelze des Finanzsystems vorzukehren.
So geschehen am vergangenen Mittwoch, als die französische Premierministerin Elisabeth Borne die Schweizer Behörden dazu aufforderte, die Probleme der CS zu lösen, und gleichentags auch die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Mitgliedbanken dazu anhielt, Meldung zu machen, welche Engagements sie bei der CS hätten.
Hochfinanz der Mathematik und Modelle
Die ganze Situation entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Denn seit jeher stützte sich das Swiss Banking auf Werte und Menschen ab, während die internationale, sprich amerikanische Hochfinanz der Mathematik und Modellen verpflichtet ist. Allerdings hielt auch in der Schweiz in den vergangenen 30 Jahren der Glaube an die Berechenbarkeit der Risiken zunehmend Einzug.
Das offenbarte sich besonders gut 2008, als im Sog der globalen Finanzkrise die Risikomodelle der UBS versagten, so dass die komplexen Investment-Konstrukte mit minderwertigen US-Hypothekarkrediten kaum mehr fassbar waren, was wiederum die grösste Bank der Schweiz in Notlage brachte, so dass sie vom Staat respektive mit Steuergeldern gerettet werden musste.
Nacht-und-Nebel-Aktion
Das kommt einem dieser Tage recht vertraut vor. Und gleichwohl ist die Situation nun um einiges anders. Denn vor 15 Jahren galt das Swiss Banking nicht als globale Bedrohung. Nun aber schon. Warum?
Bemerkenswert ist sicherlich, dass die Credit Suisse (CS) in den vergangenen zwei Tagen eigentlich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gerettet werden musste. Wie sich damit offenbart, haben alle Beteiligten, von den Bankverantwortlichen, über die Behördenvertreter in Bern bis hin zu den Politikern, allzu sehr und vor allem allzu lange zugewartet und den mathematischen Modellen vertraut.
Der Mensch und sein Berufsethos
Aufgrund der Erfahrungen mit der UBS vor 15 Jahren lag ihr Augenmerk vor allem auf der finanziellen Verfassung der CS. Und diese, ihrerseits, bekräftigte wiederholt, kapitalmässig ausreichend gerüstet zu sein, um jegliche Turbulenzen an den Finanzmärkten zu meistern. Und daran hat man offensichtlich geglaubt – auch in Bern.
Doch dieser Glaube erwies sich nicht nur als trügerisch, sondern war auch zu kurzgefasst. Denn das (Swiss) Banking ist letztlich doch keine Disziplin, die sich nur modellhaft bemessen lässt. Ebenso wichtig sind die eingangs erwähnten Einflussfaktoren wie der Mensch und dessen Berufsethos sowie Werte wie Zuverlässigkeit, Qualität und Ehrlichkeit.
Damit haben sich die Schweiz und ihre Bankbranche über die Zeit weltweit einen Namen gemacht und sind so zum Massstab der vorbildlichen Vermögensverwaltung geworden. Mehr als jedem anderen Land hat man der Schweiz vertraut. Und genau dieses Vertrauen hat unser Land in den vergangenen Wochen leichtfertig verspielt.
Glückloser Grossaktionär
«Blauäugig ist, wer nicht weiss, dass Banken nicht untergehen, weil sie keine Liquidität oder kein Kapital mehr haben. Sie gehen faktisch schon viel früher unter, dann wenn sich nämlich Zweifel an der Sicherheit der Einlagen breit machen», bringt der Schweizer Finanzprofessor Teodoro Cocca die ganze Problematik auf den Punkt.
Geradezu exemplarisch bestätigte sich diese Feststellung am vergangenen Mittwoch, als der saudische CS-Grossaktionär Ammar Al Khudairy erklärte, die Bank sei ausreichend kapitalisiert und damit auch nicht zusätzliche Mittel benötige. Weil die Welt jedoch nicht mehr daran glaubte, sprich ihm nicht mehr vertraute, obwohl er (vermutlich) Recht hatte, stürzte der Kurs der CS-Aktie innert einiger Stunden um 30 Prozent ab. Kurzum, sobald ein Geldinstitut seine Vertrauenswürdigkeit bekräftigen muss, hat es diese schon längst verspielt. So einfach ist das.
Vertrauensbildende Massnahmen statt neue Bonussysteme
Insofern ist die Rettung der CS überhaupt nicht mit derjenigen der UBS vor 15 Jahren zu vergleichen. Die UBS hatte effektiv das Problem einer zu geringen Kapitalausstattung, während die CS stets solide finanziert war und es auch heute noch ist. Was ihr abgeht, ist das Vertrauen, das sich selbst mit der Hilfe der Schweizerischen Nationalbank nicht mit aller Gewissheit wieder herstellen lässt. Der dramatische Abfluss an Kundengeldern wird nicht schon heute versiegen.
Mehr denn je gefordert ist also das Top-Management der CS, das sich nun definitiv eher auf vertrauensbildende Massnahmen konzentrieren sollte als auf die Einführung neuer Bonussysteme zur persönlichen Bereicherung.