Die in den vergangenen Jahren durch den Kauf von Anleihen stark aufgeblähte Bilanz der Europäischen Zentralbank rückt zunehmend ins Blickfeld der Notenbanker. Nun ist erstmals ein Abbau der Bestände spruchreif.
An einer Veranstaltung des Institute of International Finance (IIF) in Washington bekräftigte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, dass unter den derzeitigen Umständen die Zinsen das wirksamste und angemessenste Werkzeug zur Eindämmung der Inflation sind.
Für mindestens so viel Beachtung sorgte aber ein anderes Thema: Die Währungshüter der EZB äusserten sich zu den Unsummen an Obligationen, die sich die Notenbank auf ihre Bilanz geladen hat, wie die Nachrichtenagentur «Reuters» meldet. Durch Anleihenkäufe ist die Bilanz der EZB in den vergangenen Jahren auf fast neun Billionen Euro angeschwollen.
Neue Zeitrechnung
Dabei rückt jetzt auch ein Abbau der massiven Anleihenbestände in den Blick. Das Herunterfahren der Bestände wird in der Fachwelt als quantitative Straffung (QT) bezeichnet. Die Euro-Wächter hatten kürzlich auf ihrem Treffen in Zypern erstmals über das Thema gesprochen.
Vieles dreht sich um den Zeithorizont und um die Geschwindigkeit, wie dem Bericht von «Reuters» zu entnehmen ist. Laut Lagardes EZB-Ratskollegen, dem niederländische Notenbankchef Klaas Knot, könnte sich die EZB beim Abbau ihrer Anleihenbestände an der US-Notenbank orientieren. Ein Prozess wie QT soll vorhersehbar, graduell und sogar ein bisschen langweilig sein, sagte Knot gegenüber Bloomberg TV. Sobald der Weg zur Normalisierung der Schlüsselzinsen abgeschlossen sei, werde das Herunterfahren der Anleihenbestände Teil des Instrumentenmixes.
Neutrales Zinsniveau unter zwei Prozent
Auch nach Ansicht von Frankreichs Notenbankchef François Villeroy de Galhau sollte nicht zu lange mit der Verringerung der Anleihebestände gewartet werden, wenn die Zinsen erst einmal das sogenannte neutrale Niveau erreicht haben, das eine Volkswirtschaft weder anheizt noch bremst.
Dieses Niveau liege gemäss Schätzungen bei etwas unter zwei Prozent, sagte Villeroy auf einer Veranstaltung der Columbia Universität in New York. Zunächst sollten Villeroy zufolge dann die Gelder aus den mehrjährigen grossen Kreditsalven der EZB - in der Fachwelt TLTRO genannt - von den Banken zurückgezahlt werden. Danach könne der Bilanzabbau dadurch eingeleitet werden, dass auslaufende Anleihen aus dem früheren Kaufprogramm APP nicht mehr vollständig ersetzt werden. Gemäss Villeroy könnte damit bereits 2024 begonnen werden.