Das Corona-Virus hat Schweden ein viel beachtetes Experiment mit der Volksgesundheit beschert und rüttelt nun auch an anderen alten Gewissheiten. Die sozialdemokratische Regierung plant das Undenkbare: Steuersenkungen.
An der am (heutigen) Montag stattfindenden Präsentation des schwedischen Staatsbudgets für 2021 erklärte die sozialdemokratische Finanzministerin Magdalena Andersson: «Das sozialdemokratische Herz macht einen Freudensprung, wenn man das Umverteilungsprofil betrachtet.»
Die wählerstärkste Partei innerhalb der Regierungskoalition hat offenkundig ausgiebig an der Vermarktung des Budgets gefeilt, schliesslich ist die schwedische Sozialdemokratie mitunter dafür berühmt, ihren Bürgerinnen und Bürgern vergleichsweise sehr hohe Steuersätze abzuverlangen – alles im Sinne einer ausgleichenden Gerechtigkeit. Tiefere Einkommens- und Unternehmenssteuern sind da eher nicht Teil des Narrativs.
Klassische Stimulation
Während vielen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts konnte sich die Sozialdemokratie in der Steuerfrage auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens verlassen, der aber im Zuge der Globalisierung arg bröckelte und während der Regierungszeit des Konservativen Fredrik Reinfeldt (2006 bis 2014) wohl auf Dauer ein Ende nahm.
Nun, durch die Corona-Krise, muss selbst eine sozialdemokratische Regierung eine Senkung der Einkommenssteuern verkünden, um der angeschlagenen Wirtschaft auf die Sprünge zu helfen. Die Regierung hofft, mit einem Strauss an Massnahmen, die alles in allem 105 Milliarden schwedische Kronen (etwa 10,5 Milliarden Franken) kosten, 75'000 neue Jobs zu generieren, welche wiederum mehr Steuereinnahmen generieren sollen – klassische Stimulationspolitik in Zeiten der Krise mit anderen Worten. Dabei hilft eine vergleichsweise tiefe Verschuldungsquote des öffentlichen Sektors von gut 42 Prozent des Bruttoinlandprodukts, so tief wie nie seit 1977.
Mehrausgaben für mehr Jobs
Dass die Regierung vor allem darauf pocht, mehr Jobs zu kreieren, liegt daran, dass das Corona-Virus auch in Schweden und trotz des vergleichsweise liberalen Umgangs mit der Pandemie zu massiv mehr Arbeitslosigkeit geführt hat. So ist die Arbeitslosigkeit innerhalb eines Jahres um etwa einen Drittel angewachsen und beträgt nun (im August) 8,8 Prozent, oder 493'500 Personen.
Dies ist für eine grundsätzlich prosperierende Volkswirtschaft wie die schwedische kein Ruhmesblatt. In der Schweiz explodierte die Arbeitslosigkeit ebenfalls als Folge der Krise, aber das Plus von 50 Prozent resultiert trotzdem in einer Rate von «nur» 3,3 Prozent (Statistik des Seco: August 2020).
Zuviel des Guten?
Wenigstens kann Schweden mit einer sehr tiefen Staatsverschuldung punkten, wobei das Land am Polarkreis diesbezüglich leicht besser dasteht als die Schweiz. So kann die Regierung nun auch in der Krise aus dem Vollen schöpfen. Darüber, ob die Geldspritze aber auch wirklich zielführend ist, lässt sich streiten. Die wirtschaftspolitischen Sprecher der schwedischen Grossbanken haben heute ihre Bedenken vor den massiven Extraausgaben angemeldet.
Annika Winsth, die Chefökonomin der Nordea, erklärte gegenüber dem schwedischen Fernsehen, dass die Erholung der Wirtschaft schon im Gange sei und deshalb die grossen Extraausgaben unnötig seien. 105 Milliarden Kronen seien schliesslich sehr viel Geld und da müsse sich die Regierung schon gut überlegen, ob es sinnvoll sei, sie für die Stimulierung der Wirtschaft zu verwenden.
Merkmale einer Minderheitskoalition
Das Budget trägt letztlich deutliche Züge einer breiten Koalitionsregierung. Die Sozialdemokraten sind mittlerweile weit entfernt davon, so wie früher alleine oder zusammen mit einer Kleinpartei regieren zu können und sie mussten sich 2018 für ihre Koalitionsregierung mit den Grünen zusätzlich die Duldung durch die Zentrumspartei und Liberalen erkaufen.
Die Steuersenkungen, welche Teil des heute vorgestellten Budgets der rotgrünen Minderheitsregierung sind, wurden kurioserweise durch die Zentrumspartei und Liberalen schon am 10. September angekündigt. Was einerseits deren Einfluss beweist und anderseits zeigt, dass die Freudensprünge der Sozialdemokraten wohl mit einem gewissen Zähneknirschen einhergehen.