Das Anlageverhalten weiblicher Private-Banking-Kunden in der Schweiz während des Corona-Crashs zeigt deutliche Unterschiede zu vermögenden männlichen Investoren, berichtet Finanzprofessor Teodoro Cocca exklusiv auf finews.ch. Wer schnitt besser ab?

Generell kennt die Forschung, unabhängig von Corona, gut dokumentierte Unterschiede zwischen dem Anlageverhalten von Frauen und Männern. Der grösste Unterschied zeigt sich in einer unterschiedlichen Risikoeinstellung: Frauen sind im Schnitt deutlich risikoaverser als Männer.

Dieser Unterschied steht auch hinter dem zweiten erhärteten Phänomen, dass die Anlagerendite von Frauen in einigen Studien signifikant höher ist als diejenige von Männern. Die höhere Risikoaversion führt zu vorsichtigerem Investieren und zu längeren Haltezeiten von Aktien – eine in der Summe clevere Anlagestrategie. Was aber erklärt genau die Outperformance von Frauen?

Ein gewisses Gespür

Neue Studien versuchen mehr psychologische und kognitive Zusammenhänge zu erforschen und kommen zu bemerkenswerten Schlüssen. Zum Beispiel zeigt sich bei der sogenannten «Theory of Mind»-Forschung, dass Frauen beim Investieren besser als Männer in der Lage sind, aus dem Verhalten anderer Investoren deren wahrscheinliche Handlungsmotive zu erkennen. Umgangssprachlich würde man von einer besseren «Anlage-Intuition» von Frauen sprechen.

Jeder Händler wird sicherlich bestätigen können, dass erfolgreiches Investieren nicht nur eine Frage von Zahlen und Fakten ist, sondern ein gewisses «Gespür» abverlangt. Interessant ist, dass nun genau diese Fähigkeit im Schnitt bei Frauen ausgeprägter zu sein scheint.

Selbstbewusstere Frauen gefordert

Dem gegenüber zu stellen ist allerdings der Umstand, dass generell der Anteil der Frauen, der sich aktiv mit Anlagegeschäften auseinandersetzt und selber an der Börse handelt, deutlich geringer ist als bei Männern. Die obigen wissenschaftlichen Erkenntnisse würden allerdings für viel mehr Selbstbewusstsein der Frauen sprechen und eine aktivere Rolle geradezu fordern. Dieses fehlende Bewusstsein zeigt sich auch beim Wissensstand von Frauen. Dieser fällt in verschiedenen Studien zu Ungunsten der Frauen aus. Kennen sich also Männer tatsächlich besser aus mit Finanzen?

So eindeutig ist das nicht, denn häufig wird in Studien eine Selbsteinschätzung des eigenen Wissens abgefragt. Dabei kann die Tendenz bestehen, das eigene Wissen zu optimistisch einzuschätzen. Da diese Neigung zur Selbstüberschätzung gerade bei Männern besonders ausgeprägt ist, dürfte ein Teil des beobachteten Unterschiedes aus einer zu optimistischen Einschätzung des eigenen Wissens durch die befragten Männer stammen.

Zufriedenere Frauen

Allerdings erklärt dies wohl nicht den ganzen Unterschied. Einige internationale Studien belegen, dass der Wissensstand in konkreten Finanzfragen bei Männern tatsächlich in den meisten OECD-Staaten signifikant höher ist als bei Frauen. Diese geschlechterabhängigen Merkmale haben sich gemäss Befragungsdaten des aktuellen «LGT Private Banking Reports» während der bisherigen Coronakrise in unterschiedlichen Anlegereaktionen und Haltungen niedergeschlagen.

Insbesondere haben Frauen gegenüber Männern generell eine viel passivere Anlagestrategie verfolgt. Frauen haben während des Crashs (Mitte Februar bis Mitte März) wie auch danach während der Erholung deutlich seltener Aktien ver- oder gekauft. Zu ergänzen ist, dass Frauen im Durchschnitt auch eine geringere Aktienquote aufweisen als Männer. Ebenso zeigen sich Frauen tendenziell mit der Leistung ihres/r Kundenberaters/in während der Corona-Krise zufriedener als Männer.

Sorgen um Staatsverschuldung

Hinzuzufügen ist, dass Frauen generell eher zu einem klassischen Beratungsmodell neigen und zum Beispiel viel seltener reine Online-Trader sind und damit die Anlagegeschäfte eher selten völlig selbständig tätigen.

Im Vergleich zu Männern machen sich Frauen mehr Sorgen über die längerfristigen Folgen der Corona-Krise und sehen insbesondere die hohe und steigende weltweite Staatsverschuldung kritischer als Männer. So hatten Frauen während den letzten Monaten auch etwas häufiger als Männer Angst um ihr Vermögen. Anders als Männer gibt ein höherer Anteil der Frauen an, aufgrund der Coronakrise sich künftig bei Anlageentscheidungen noch mehr beraten lassen zu wollen.

Das gleiche Muster liess sich im Nachgang der Finanzkrise 2008 feststellen. Im Vergleich zu Männern haben Frauen die Finanzkrise von 2008 – zumindest bisher – als einschneidender erlebt als die aktuelle Coronakrise.

Was Männer von Frauen lernen sollten

Diese unterschiedlichen Ansichten und Präferenzen von Anlegerinnen passen zu weiteren Erkenntnissen aus der generellen Geschlechterforschung bei Anlageentscheidungen: Frauen reagieren in psychologischen Experimenten auf die Aussicht negativer Ereignisse mit einem viel höheren Niveau an Nervosität und Angstempfindung. Wenn negative Ereignisse intensivere negative emotionale Reaktionen hervorrufen, wird natürlicherweise mit einer höheren Risikoaversion auf eine Gefahrensituation reagiert werden.

Genau dies belegen die Daten zur Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 – die negativen damaligen Ereignisse dürften Anlegerinnen noch in den Knochen stecken und das aktuelle Verhalten stärker prägen als bei Männern.

Heiss laufende Aktienmärkte

Geschlechterunterschiede in der Risikobereitschaft scheinen zudem in der Kognitionsforschung darauf zu beruhen, dass das Risiko möglicher Szenarien unterschiedlich bewertet wird und nicht per se eine Aversion gegenüber Risiko besteht.

Dies würde im Corona-Kontext – wie oben dargestellt – bedeuten, dass Anlegerinnen sich zurzeit risikoaverser zeigen, weil sie die Wahrscheinlichkeit averser Szenarien an den Märkten höher einstufen als Männer. Angesichts der heiss laufenden Aktienmärkte seit Mitte März eine – auch für viele Männer – durchaus zu beachtende Sichtweise.


Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment- als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig. Von 2011 bis 2020 war er Mitglied des Verwaltungsrats der VP Bank in Vaduz und leitete dort den Strategie- und Digitalisierungsausschuss.