Die Anleger haben die jüngsten Ankündigungen der Europäischen Zentralbank als klares Signal zum Einstieg in den Ausstieg gewertet. Doch was heisst das? Die Antwort von Franz Wenzel.

Franz Wenzel ist Anlagestratege für institutionelle Kunden bei AXA Investment Managers. Er schreibt monatlich abwechselnd mit Stephan Heitz eine Kolumne für finews.ch.

Ende Juni war es wieder einmal so weit: Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte zu ihrer jährlichen Zentralbankkonferenz ins portugiesische Sintra eingeladen. In seiner Rede hatte sich EZB-Präsident Mario Draghi optimistisch zum Wachstum geäussert und angedeutet, dass das selbstauferlegte Inflationsziel wieder erreichbar sei.

Die Marktteilnehmer hatten dies als klares Signal zum Einstieg in den Ausstieg aus der sehr expansiven Geldpolitik gewertet. Die negativen Auswirkungen an den Märkten liessen nicht auf sich warten. Der Euro zog deutlich an und die Rendite von zehnjährigen deutschen Bundesanleihen stieg von rund 25 Basispunkten auf annähernd 60 Basispunkte.

Programm auf den Prüfstand stellen

In der Tat wird gerne die Frage gestellt, inwieweit die EZB ihre aktuelle Geldpolitik überhaupt ändern sollte, zumal die Inflationsrate gegenwärtig deutlich unter der selbst definierten Zielgrösse von 2 Prozent liegt.

Die EZB ist gut beraten, ihr Anleihekaufprogramm auf den Prüfstand zu stellen. Mit beinahe 2 Prozent, Tendenz steigend, liegt das Wachstum in der Eurozone deutlich über dem langfristigen Potentialpfad. Die Schuldenkrise, die damals mit ein Auslöser der berühmten Formel «whatever it takes» von Draghi war, ist wohl auf absehbare Zeit kein Thema mehr.

Ein umgekehrter Greenspan-Put

Ferner sind die technischen Modalitäten zu nennen, die die EZB als Maximalgrenzen definiert hat, um den Vorwurf der Staatsfinanzierung zu vermeiden, hält sie doch heute bereits 26 Prozent des ausstehenden Volumens von Bundesanleihen. Last, but not least ‒ Geldpolitik wirkt zeitversetzt mit einer Verzögerung von bis zu zwei Jahren. Diesen Vorlauf muss eine vorausschauende Geldpolitik ins Kalkül ziehen.

Diese Neuausrichtung wird gerne als straffere Geldpolitik definiert und mit einem «umgekehrten Greenspan-Put» verglichen. Der Begriff wurde nach dem Börsencrash von 1987 geprägt, als der damalige US-Notenbankpräsident Alan Greenspan die Zinsen senkte und die Märkte mit Liquidität versorgte.

Schnelles Urteil der Märkte

Diese Art von Geldpolitik hat sich bis heute fortgesetzt und in den Aufkaufprogrammen diverser Zentralbanken ihren bisherigen Höhepunkt erreicht.

Das Urteil der Märkte war schnell gefällt: Weniger Liquidität ist schlecht. Das scheint voreilig. Es gilt zu differenzieren. Die Rettungsmassnahmen, die vor exakt fünf Jahren angekündigt und in den Folgejahren umgesetzt wurden, erscheinen heute nicht mehr zeitgemäss, auch wenn dies den Finanzmärkten missfallen mag.

Die Antwort ist Nein!

Der Einstieg in den Ausstieg ist vorprogrammiert. Bedeutet dies unmittelbar höhere kurzfristige Zinsen? Die Antwort hierauf ist Nein! Die EZB kann es sich ruhig erlauben, die Zinsen weiterhin unter null zu halten, da echter Inflationsdruck, also steigende Lohnstückkosten, auf absehbare Zeit sehr unwahrscheinlich ist.

In diesem Spannungsfeld werden wir uns in den kommenden Quartalen wohl oder übel bewegen. Für die langfristigen Zinsen bedeutet dies, dass ein weiterer Anstieg programmiert ist. Die Frage muss vielmehr lauten: Wie schnell?

Sicherlich wünschenswert

Einmal mehr werden die Verantwortung und die Feinabstimmung der Notenbank obliegen. Bisher haben es die Währungshüter in Frankfurt geschafft, den Zinsanstieg am langen Ende zu kontrollieren, wenngleich um den Preis höherer Volatilität.

Eine steilere Zinsstrukturkurve ist sicherlich wünschenswert, um einen Teil der durch die EZB-Politik bedingten Marktverzerrungen auszubügeln. Eine höhere Volatilität kann allerdings nicht im Sinne der Geldpolitik sein. Vor diesem Hintergrund wird man davon ausgehen können, dass die EZB alles daransetzen wird, eine Politik der ruhigen Hand, verbunden mit einer entsprechenden Kommunikation, sicherzustellen, um ein «Bund Tantrum» à la 2015 zu vermeiden.

Weitere Bilanzausweitung der SNB

In diesem Zusammenhang bleibt der Fokus der Schweizerischen Nationalbank auf eine stabile Wechselkurspolitik ausgerichtet. Im Endeffekt bedeutet dies nichts anderes, als die Notenbankbilanz weiter auszuweiten und den Märkten Liquidität zuzuführen. Das lange Zinsende von Schweizer Staatsanleihen wird sich dagegen im Rhythmus der deutschen Bundesanleihen bewegen..


wenzel franz 134 192Franz Wenzel gehört seit Oktober 2016 dem Team ‹Multi Asset Client Solutions› von Axa Investment Managers an. Seit Mai 2012 koordinierte er als Chefstratege die Abteilungen makroökonomische Forschung und Investment-Strategie. Zwischen 2005 und 2010 war er stellvertretender Direktor der Abteilung Research & Investment. Wenzel stiess Ende 1997 als Senior Investment Strategist zu Axa IM und war verantwortlich für die makroökonomische Analyse der Eurozone und daran angrenzender Länder. Ab 2000 beschäftigte er sich schwerpunktmässig mit dem weltweiten Aktienmarkt und Rohstoffen als Anlageklasse.

Zuvor hatte er drei Jahre als Chief Investment Officer für das Bankhaus Metzler in Frankfurt/Main gearbeitet. Zu Beginn seiner Karriere war er als Marktstratege und Produktentwickler bei der Commerzbank in Frankfurt/Main tätig gewesen. Von 1985 bis 1988 hatte er einen Lehrauftrag im Fach Banking and Finance an der Universität Würzburg, Deutschland, wo er 1989 in Betriebswirtschaft promovierte.