An einigen Finanzmärkten machen sich Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Alte Probleme sind nicht vom Tisch. Wie geht es weiter? Einschätzungen von Dan Morris.
Im Januar 2013 herrschte Euphorie unter den Anlegern. Viele Investoren setzten zum ersten Mal seit langem wieder auf Aktien. «Wir verzeichneten rekordhohe Zuflüsse», erklärt Dan Morris (Bild links), Global-Market-Stratege von J.P. Morgan Asset Management, gegenüber finews.ch.
Kein Wunder, dass schon bald der Begriff «Risk-on-Modus» in der Branche die Runde machte – also eine neu entfachte Bereitschaft, beim Anlegen grössere Risiken einzugehen.
Neue, alte Probleme
Doch inzwischen ist bereits wieder eine gewisse Ernüchterung eingekehrt, zumal die Börsenhausse weniger realwirtschaftlich getrieben ist, als vielmehr durch die diversen Massnahmen und Ankündigungen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der amerikanischen Notenbank Federal Reserve (Fed). Kommt hinzu, dass die Probleme in Spanien und Italien wieder aufflammen und Frankreich mit seiner Neuverschuldung das Defizitziel nicht einhalten wird.
Vor diesem Hintergrund fragen sich zahlreiche Anleger, wie nachhaltig die steigenden Börsenkurse im laufenden Jahr sind. Aus Sicht von Dan Morris ist es wichtig, eine globale Sicht einzunehmen. Und unter diesen Prämissen gibt sich der Stratege von J.P. Morgan Asset Management weiterhin zuversichtlich.
Viele Bewertungen auf Einstiegs-Niveau
Aus mehreren Gründen: Erstens dürften die Beschlüsse der Zentralbanken mittelfristig weiter einen positiven Einfluss auf die Börse haben, zumal der finanzielle Stimulus vor allem Aktienanlagen favorisiert, während die Obligationenpreise eher unter Druck kommen könnten, wie Morris weiter ausführt. «Und trotz der bisherigen Avancen sind viele Bewertungen noch immer auf einem attraktiven Einstiegs-Niveau», stellt Morris weiter fest und ergänzt:
Zweitens geht Morris davon aus, dass die ganze Kontroverse um die «Fiscal Cliff» in den USA, und welche die Märkte vor allem zu Jahresbeginn erheblich verunsichert hat, schon bald aus den Schlagzeilen verschwinden dürfte. «Das ist rein politisches Geplänkel, ein Kräftemessen zwischen den Republikanern und Demokraten», sagt Morris.
Trendumkehr in China
Drittens weist der J.P.-Morgan-Stratege darauf hin, dass viele US-Unternehmen auf ein gesundes Gewinnwachstum fokussiert seien. Ein Gewinnwachstum, das durch die weiteren wirtschaftlichen Fundamentaldaten noch beschleunigt werden könnte.
Galt China im letzten Jahr zusehends als zunehmender Risikofaktor im Urteil der Anleger, so sieht Morris diesen Trend gekehrt. Bereits im 4. Quartal 2012 sei das wirtschaftliche Wachstum wieder gestiegen gegenüber dem Vorjahr (4. Quartal 2011), betont der Experte. Die Frage nach einem Soft- oder Hard-Landing in China werde damit obsolet (vgl. Grafik).
Zinssenkungen in Schwellenländern
Allerdings, so Morris weiter, müsse sich die Wirtschaft im Reich der Mitte noch weiter wandeln, weg vom reinen Export in die westlichen Industriestaaten und stattdessen hin zum Binnenkonsum. «Das ist auch der Plan der Regierung in Peking. China hat noch einen langen Weg zurückzulegen, so dass sich dies erst mittelfristig im Wachstum niederschlagen wird.»
Trotzdem, für Morris steht fest, dass sich die Situation in China massiv entspannt hat respektive kein grösseres Risiko mehr für Anleger darstellt wie das im Vorjahr noch zeitweilig der Fall war. Positiv sei überdies, dass in den Schwellenländern diverse Zentralbanken ihre Zinsen gesenkt hätten.
Temporäre Phänomene in Europa
Aber auch mit Blick auf Europa gibt man sich bei J.P. Morgan Asset Management erstaunlich zuversichtlich. «Das Erholungspotenzial ist auf Grund der Massnahmen der EZB bereits gross», sagt Morris, zumal viele erstklassige Unternehmen hohe Gewinne realisieren würden, was sich ja bereits im letzten Jahr an der Börse manifestiert habe.
Die jüngsten Turbulenzen stuft Morris als temporäre Phänomene ein. Er räumt zwar ein, dass der Euro eine fast schon übermässige Stärke erlangt habe, was gleichzeitig aber auch zeige, dass sich das Gesamtbild im Euro-Raum deutlich verbessert habe.
Korrekturen als Zukauf-Möglichkeiten
Nach den Avancen, die eigentlich schon im vergangenen Sommer einsetzen, schliesst Morris nicht aus, dass sich in den nächsten Monaten eine gewisse Konsolidierung einstellen könnte, zumal die anstehenden Wahlen in Italien, der Parteigelder-Skandal in Spanien sowie die Verschuldungsprobleme in Frankreich vorerst eine anhaltend positive Entwicklung beeinträchtigen könnten.
Dennoch betont der J.P.-Morgan-Stratege, dass europäische Aktien im internationalen Vergleich nach wie vor günstig seien und allfällige Korrekturen in den nächsten Monaten durchaus als Zukauf- oder Einstiegsmöglichkeiten genutzt werden könnten. Sollte EZB-Präsident Mario Draghi – was nicht ausgeschlossen ist – eine weitere Lockerung der Geldpolitik vorsehen, dürfte dies die europäische Börse sicherlich noch zusätzlich beflügeln, hält Dan Morris abschliessend fest.