Konjunktur, Währung, Finanzmärkte, Reformen: Raphael Vannoni von der Bankiervereinigung über prägende Entwicklungen im Reich der Mitte.
Raphael Vannoni ist Leiter Economic Analysis bei der Schweizerischen Bankiervereinigung
Im Sog der Staatsschuldenkrise in der Eurozone und des drohendes Fiscal Cliffs in den USA ist die Volksrepublik China in den Medien etwas verschwunden. Doch wie sieht die wirtschaftliche Situation im Reich der Mitte aus? Ist noch mit Konjunkturanreizen aus Südostasien zu rechnen? Wird sich eine Öffnung Chinas abzeichnen?
An seiner Rücktrittsprache sagte Parteichef Hu Jintao, Chinas Entwicklung sei unausgewogen, unkoordiniert und nicht nachhaltig. Auf konkrete Massnahmen ging Hu allerdings nicht ein. Dennoch legt dies die Vermutung nahe, dass sein Nachfolger Xi Jinping politische Reformen – insbesondere im Finanzsystem – einführen könnte.
1. Konjunktur
Im dritten Quartal 2012 ist das volkswirtschaftliche Wachstum auf Jahresbasis auf 7,4 Prozent gefallen – so tief wie seit ersten Quartal 2009 nicht mehr. Die Inflationsrate betrug im Oktober 2012 sehr tiefe 1,7 Prozent. Dies können grundsätzliche Zeichen einer Eintrübung der Konjunktur sein. Für 2013 erwartet der Internationale Währungsfonds ein BIP-Wachstum von 8,2 Prozent. Allgemein ist aber anzumerken, dass chinesische Statistiken mit Vorsicht zu geniessen sind, wie auch schon hochrangige Parteiangehörige mitteilten.
2. Währung
Nach wie vor wird die chinesische Währung nicht frei gehandelt und ist noch immer unterbewertet. 2005 wurde das feste Peg zum Dollar aufgehoben und in ein System mit einem Währungskorb transferiert. Seit diesem Sommer hat der Renminbi gegenüber dem US-Dollar wieder etwas aufgewertet (+0,6 Prozent), gegenüber dem britischen Pfund und dem Euro jedoch abgewertet (–1,7 Prozent beziehungsweise –1,5 Prozent).
3. Finanzmarkt
Seit mehreren Monaten wendet die chinesische Zentralbank kurzfristige Offenmarktoperationen (Reverse Repurchase Agreements) an, um den Finanzmarkt mit Liquidität zu versorgen. Da aber zur selben Zeit Repos in einem grösseren Mass auslaufen, erfolgt Netto ein Abfluss von Liquidität. Angesichts der tiefen Inflationsrisiken wäre aber eine expansivere Geldpolitik ohne weiteres durchführbar.
Allgemein ist trotz einer gewissen Konstante in der chinesischen Politik mit einer allmählichen Öffnung und damit Reformen zu rechnen. Analysten der Bank HSBC sprechen von einer Revolution des chinesischen Finanzsystems über die nächsten Jahre. HSBC erwartet, dass der Renminibi in den nächsten fünf Jahren frei konvertierbar sein wird. Über die nächsten drei Jahre wird mit einer marktwirtschaftlichen Freigabe der Zinsen gerechnet.
Auch wenn nicht klar ist, ob es tatsächlich zu einer «Revolution» kommen wird, gilt es diese Opportunitäten anzupacken und sich für die Zukunft – die ganz klar im Osten stattfinden wird – zu wappnen.
Namentlich geht es darum, den Anschluss an die Internationalisierung des Renminbi nicht zu verpassen und eine entsprechende Strategie zu entwickeln. Die Bankiervereinigung ist sich dieser Bedeutung bewusst und hat entsprechend eine Initiative gestartet, um in Zukunft als Hub für Offshore-Renminbi-Geschäfte zu fungieren.