Unlängst noch waren Investment- und Private Banker die Helden der Branche, das Retail-Geschäft galt nur als Last. Nun hat allerdings der Wind gedreht.

Frage: Gibt es heute in Westeuropa mehr oder weniger Bankfilialen als vor zehn Jahren?

Antwort: Es gibt etwa zehn Prozent mehr.

Frage: Welcher Anteil der Gewinne des weltweiten Banking werden im Retail-Banking erzielt?

Antwort: 54 Prozent. Und selbst in Westeuropa beträgt die Quote 51 Prozent.

Frage: Was verbindet die – gemessen an der Eigenkapitalrendite – stärksten Banken der Welt?

Antwort: Ihre Erträge speisen sich zu einem hohen Anteil aus dem Retail-Banking.

Diese Fakten entnehmen wir dem aktuellen «Economist». Das Wirtschaftsblatt widmet dem sonst so wenig beachteten Kleinkunden-Gewerbe einen «Special Report», mitsamt grossem Internet-Dossier, Online-Debatte, Umfrage. Und bemerkenswert ist bereits die Eingangsthese.

Sie lautet: Dem Retail-Banking gehört die Zukunft, hier dürfte in den nächsten zehn Jahren die Musik spielen.

Oder in den Worten des «Economist»: «Das Retail-Banking wird in den kommenden Jahren das aufregendste Feld im Bankgeschäft sein».

Es ist denn wohl auch mehr als Zufall, dass mit der «Zeit» ein weiteres europäisches Renommier-Blatt gerade in diesen Tagen ins gleiche Horn stösst. Unterm Untertitel: «Ade, Geldautomat, tschüs, Onlinebanking – Banken holen ihre Kunden zurück in die Filialen» analysiert die Hamburger Wochenzeitung ein erstaunliches Phänomen: nämlich dass Häuser wie HypoVereinsbank und Commerzbank die persönliche Kundenbetreuung intensivieren und Kunden mit neuem Engagement zum Filialbesuch locken wollen (online nicht verfügbar).

Was geschieht da? Zwei Phänomene schlagen offenbar durch. Das erste lautet: Onlinebanking ist gut – aber mittlerweile wird klar, dass es die gute, alte Filiale nicht ersetzt, sondern aufwertet.

Warum verschwanden mehr Buchläden als Bankfilialen?

Interessanterweise verschwanden durch die Web-Revolution weitaus mehr Buch- oder Plattenläden als Bank-Niederlassungen. 

Offenbar wünschen die meisten Kunden weiterhin, dass irgendwo ein greifbarer Ort vorhanden ist, an dem sich ihr Geld befinden könnte, und sie wünschen den persönlichen Kontakt; die reine Virtualität ist vielen unheimlich.

Zugleich fällt auf, wie wenige reine Online-Banken sich durchsetzen konnten – viele mussten sich unters Dach einer Universalbank flüchten.

Retail-Banking: Der Fels in der Brandung

Das zweite Phänomen: In den aktuellen Zeiten der Unsicherheit werden die stetigen (oder anders: weniger volatilen) Erträge aus dem banalen Kundengeschäft plötzlich zur Stütze der ganzen Branche. Auf der Gegenseite führt die internationale Schuldenproblematik dazu, dass in den stark Finanzmärkte-abhängigen Bereichen des Investment- und Private Banking weniger Gewinne zu holen sind – und dies wohl noch jahrelang.

Die relative Bedeutung des Retail-Banking steigt also. Gleichzeitig wird dieses Geschäft spannend, weil die Entwicklung hier ebenfalls turbulent sein dürfte. Zum Beispiel:

  • Konkurrenz entsteht durch neue, branchenfremde Zahlungs- und Kreditsysteme
  • die wachsende Bedeutung der Mobilgeräte fürs Bankgeschäft wird auch die Kommunikation umkrempeln
  • es gibt mehr Transparenz bei Kredit- und Debitkarten-Kosten (was den Margendruck auch hier steigern dürfte)
  • die Kunden werden ihrer Bank zunehmend untreu, Loyalität muss neu geschaffen werden.
  • Und auf der anderen Seite (darauf weist der «Economist» im dieswöchigen Editorial hin) eröffnen sich den Banken im Zeitalter der Präzisionswerbung neue Wege, ihre Kundendaten in eine Goldgrube zu verwandeln – natürlich anonymisiert.

Bemerkt sei allerdings: Gerade gestern ergab erstmals eine grosse repräsentative Umfrage in den USA, dass eine Mehrheit von 52 Prozent die Online-Banking-Site ihrer Bank als erste Anlaufstation erachten; und dass 48 Prozent der Befragten meinten, sie könnten vollständig auf eine Filiale verzichten.

Die Sache bleibt also tatsächlich spannend. – Was erwarten Sie?

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