Das Muster des edlen Industriellen, der gegen die bösen Banken kämpft, gehört seit Langem zum Inventar der öffentlichen Debatte in der Schweiz. Spätestens durch die Übernahme der Credit Suisse ist die UBS über das helvetisch akzeptierte Mittelmass hinausgewachsen und dadurch erst recht zur Zielscheibe geworden. Auf der Strecke bleibt die Fairness, findet Florian Schwab, Publishing Director bei finews.ch.

Klischees und Stereotype machen das Leben einfach. Im klassischen Hollywood-Film aus der Epoche des Kalten Krieges ist der Bösewicht gerne ein grössenwahnsinniger sowjetischer Psychopath. Und in den mittelalterlichen Sagen des alemannischen Sprachraumes präsentiert sich der Teufel gerne camoufliert in Gestalt einer Geiss.

Mindestens seit dem Untergang der Swissair bewegt sich auch die öffentliche Finanzplatz-Debatte in der Schweiz entlang eines Stereotyps: Wer als Industrieller die Banken angreifen will, dem fliegen jederzeit die Mikrophone, Titelseiten und Kommentarspalten der Zeitungen zu.

Seit dem Swissair-Grounding

Der böse Banker, der gefühlskalt die Helden der Industrie abserviert: Diese prototypische Rollenverteilung verfolgt die Banken seit Marcel Ospel (1950-2020) und dem Untergang der Swissair. 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, sagte Swatch-Übervater Nicolas G. Hayek (1928–2010) am Tag der Industrie: «Die heutige Börsenfinanzmentalität hat nur ein Ziel: Geld, Geld und nochmals Geld, so schnell, so viel wie möglich und um jeden Preis.»

Heute stösst sein Sohn Nick Hayek ins gleiche Horn. «An der Börse zählt nur der kurzfristige Profit», klagte der aktuelle Swatch-Uhrenkönig bei der Präsentation der Ergebnisse für das Jahr 2023, die leider weniger gut ausfielen als erwartet.

Schlagzeilen auf Bestellung

Ebenfalls lobte er die Credit Suisse: «Die Credit Suisse ist ein wichtiges Unternehmen nicht nur für die Welt, sondern auch für die Schweiz», denn sie habe die Schweizer Industrie unterstützt.

Seit gut einem Jahr ist das Leitmotiv «gute Industrielle, böse Banker» wieder allgegenwärtig. Ohne masslos zu übertreiben, scheint es, als erhalte jeder unzufriedene UBS-Firmenkunde aus der Industrie auf Wunsch seine Schlagzeile im «Blick», seine Airtime auf den SRF-Kanälen.

Public Relations aus dem Bilderbuch

Die Temperatur im Dampfkochtopf der öffentlichen Meinung weiter aufgedreht hat am vergangenen Sonntag Swissmem, der Verband der Schweizer Maschinenindustrie, unter seinem Direktor Martin Hirzel.

In einer bilderbuchmässigen PR-Aktion bediente er die «NZZ am Sonntag» mit einer hausgemachten Umfrage (Artikel bezahlpflichtig), wonach 23 Prozent der Industrie-Firmen über schlechtere Konditionen seit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS klagten.

Stakkato und Trommelwirbel

Die Schlagzeile des zugehörigen Kommentars fiel aus wie bestellt. «Die Grossbank hat das Vertrauen ihres wichtigsten Partners im Inland verspielt: der Industrie.»

Und das Stakkato der Schlussfolgerungen wirkt wie ein Trommelwirbel im Schauspielhaus: «Dass der CEO beim Jahrestreffen der Industrie nach der Rede gleich wieder abrauscht, wirkt nicht vertrauensbildend. Auch das ständige Schlechtreden der CS wird langsam ermüdend. In der Schweiz machte diese nicht alles falsch. Die UBS muss erst noch beweisen, dass sie es besser kann.»

Breitensport bei der NZZ

Der Volkssport des UBS-Bashings ist offenbar sogar in die Falkenstrasse vorgedrungen.

Da wir in einem freien Land leben, ist es vielleicht dennoch erlaubt, drei kleine Fragezeichen zu setzen:

  1. Wo waren die Industriebarone und ihre publizistische Phalanx in den kritischen Tagen und Stunden, als die zweite Grossbank der Schweiz politisch vermittelt in die Arme der UBS niedersank? Könnte es vielleicht sein, dass es dannzumal ein wenig an strategischem Weitblick und Entschlossenheit aufseiten unserer sehr geschätzten (und vermögenden) Uhrmacher, Auto-Zulieferer und Nischen-Weltmarktführer mangelte?
  2. Ist es komplett undenkbar, dass die Credit Suisse im Firmenkundengeschäft, auch in der Schweiz, mit einem teilweise ungesunden Risikoappetit unterwegs war, den jeder neue Eigentümer im eigenen Interesse korrigieren müsste?
  3. Wäre es, gerade vonseiten der Uhrenindustrie, nicht gescheiter, den Schulterschluss mit der Finanzindustrie zu suchen? Man repräsentiert schliesslich gemeinsam Export-Schwergewichte, die, zumindest theoretisch, in der Welt für ähnliche Werte stehen: absolute Zuverlässigkeit, Erfindergeist, Exaktheit, Swissness. Schweizer Privatbankiers sind grandiose globale Ambassadoren für Uhrenmarken wie Rolex, Patek Philippe, Hublot, Audemars Piguet, Blancpain, Breguet oder Omega – und umgekehrt.

Es ist offensichtlich, dass sich die UBS derzeit im Firmenkundengeschäft auf einem heiklen Rasierklingen-Ritt zwischen der von den Aktionären zurecht erwarteten Margen- und Risikooptimierung und den Erwartungen der Öffentlichkeit bewegt. Kommunikativ ist ihr dieser bis anhin schlecht gelungen, wie finews.ch am Montag ausführlich darlegte.

Gefesselte Hände

Andererseits kämpft die letzte Schweizer Grossbank auch mit gefesselten Händen um die öffentliche Meinung. Jeder Schreiner und Sanitär kann via «Blick» laut «Foul» rufen, während es der Bank durch das Bankkundengeheimnis und andere berufsethische Überlegungen selbstverständlich verboten ist, im Einzelfall mit gleicher Münze zurückzuzahlen.

Somit wäre angezeigt: ein bisschen Fairness für die UBS!