Ein Berater der ehemaligen Credit Suisse hatte einem Kunden noch im Frühjahr 2023 versichert, es gebe keine starken Mittelabflüsse und motivierte ihn zum Kauf von AT-1-Bonds – mit einschneidenden Folgen. 

Nur drei Tage bevor der Bundesrat am 19. März 2023 das Massnahmenpaket verabschiedete, das den Weg ebnete für die Übernahme der Credit Suisse (CS) durch die UBS, hatte ein Berater der CS einem Kunden in einer Mail suggeriert, es sei alles betens und versichert, es gebe keine signifikanten Mittelabflüsse. 

Dies berichtet «Antigua News». Das Online-Portal, das vom Tessiner Anwalt Dario Item herausgegeben wird, war in der juristischen Auseinandersetzung rund um Pflichtwandel-Anleihen schon in der Vergangenheit immer aufgefallen, dass es gut informiert und dokumentiert ist. 

Risikomanagement-Experte wird aufs Eis geführt

Bei dem Mann handelt es sich um einen Risikomanagement-Experte, der seit langem eine offene Bankbeziehung mit der Credit Suisse (CS) in Zürich unterhält. Über die einstige Grossbank tätigte er regelmässig Aktiengeschäfte.

Am 16. März 2023 schrieb er seinem Kundenberater bei der CS. Er teilte ihm mit, dass er in AT1-Anleihen investieren möchte und bittet ihn, einige CS-Anleihen zu finden, die unter ihrem Nennwert gehandelt werden. Er hatte die Situation analysiert und alle öffentlichen Erklärungen von CS-CEO Ulrich Körner und Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann, der Finma, der Schweizerischen Nationalbank und der Finanzministerin Karin Keller-Sutter gelesen. Angesichts dessen erschien ihm die Panik auf den Märkten übertrieben.

Die Antwort seines Kundenberaters liess nicht lange auf sich warten und bestärkte ihn in seinen Überzeugungen. Der Berater schreibt (und setzt einen seiner Kollegen bei der CS in CC):

«Was für eine Woche! Ich kämpfe immer noch damit, diese Stressbewegung zu verstehen. Grundsätzlich gesehen gehören die Kennzahlen der CS zu den besten weltweit, und zumindest auf unserer Seite haben wir im ersten Quartal signifikante Mittelabflüsse gesehen. Der LCR hat sich sogar von 144 auf 150 verbessert. Persönlich bin ich aus zwei Gründen sehr verärgert:

  1. Die Medien haben ihre Berichte über CS falsch formuliert und damit etwas ausgelöst, das in keiner Weise mit den Fundamentaldaten korreliert. Ich hörte heute Morgen im französischen Radio, dass die CS angeschlagen sei, und das macht mich ehrlich gesagt wütend.
  2. Obwohl die CS gestern von der SNB und der Finma Rückendeckung erhalten hat, hätte dies früher geschehen können, um den Druck zu mindern. Dasselbe gilt für unsere Hauptaktionäre, die erneut auf die starke finanzielle Position und die laufende Umstrukturierung und deren Vorteile hätten hinweisen können. Dies hätte geholfen, das Vertrauen zu bewahren und unbegründete Gerüchte zu zerschlagen.»

Vier Minuten später meldet sich der Kundenberater nochmals. Er hatte festgestellt, dass ihm ein Tippfehler unterlaufen war, der zu Missverständnissen führen könnte: «EIN UNERWÜNSCHTER TIPPFEHLER: Ich meinte, auf unserer Seite haben wir keine signifikanten Mittelabflüsse im Q1 gesehen.»

Drei Tage später die Hiobsbotschaft

Nach diesen beruhigenden Aussagen des CS-Mitarbeitenden entscheidet sich der Kunde, nominal 200’000 Dollar einer AT1-Anleihe der Credit Suisse (ISIN USH3698DDQ46) zu einem reduzierten Preis von 93’077,55 Dollar (inklusive Gebühren und Zinsen) zu kaufen.

Nur drei Tage später, am 19. März, erfuhr er jedoch, dass er sein Geld verloren hatte. Wie viele andere Investoren war er völlig fassungslos. Er konnte nicht verstehen, wie die AT1-Anleihen abgeschrieben wurden, obwohl die Credit Suisse und die Schweizer Behörden behaupteten, die Bank erfülle alle regulatorischen Anforderungen.

Der Kunde konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass die Realität eine ganz andere war.

Wahre Lage wurde verschleiert

Tatsächlich geht aus dem Finma-Bericht vom 19. Dezember 2023 mit dem Titel «Lessons Learned from the CS Crisis» (Seite 36) hervor, dass die Abflüsse in der Woche vom 13. bis 17. März 2023 erheblich waren: 1,6 Milliarden Franken am Montag, 13. März; 2,7 Milliarden Franken am Dienstag, 14. März; 13,2 Milliarden Franken am Mittwoch, 15. März; 17,1 Milliarden Franken am Donnerstag, 16. März, und 10,1 Milliarden Franken am Freitag, 17. März. Diese massiven Abflüsse führten dazu, dass «Gegenparteien zusätzliche Sicherheiten verlangten».

Es ist offensichtlich, dass der Berater der Credit Suisse dem Kunden nicht die Wahrheit gesagt hat. Er ist laut Antigua News kein Einzelfall. «Tatsächlich haben auf allen Ebenen des Unternehmens Menschen offensichtlich die wahre Lage der Credit Suisse in der Woche des 13. März 2023 verschleiert», schreibt das Portal.