Der Markt für Banken-Übernahmen ist dieses Jahr in der Schweiz erstaunlich trocken geblieben, sagt Jean-François Lagassé zu finews.ch. Laut dem Leiter Bankenberatung bei Deloitte Schweiz wäre die Pipeline für Deals aber prall gefüllt.
Herr Lagassé, wie jüngst Marktgerüchte und Kursbewegungen gezeigt haben, sind Fusionen von Grossbanken plötzlich wieder ein Thema. Hat sich nach langen Jahren ohne Deal etwas grundlegend verändert?
Eigentlich nicht. Seit der Finanzkrise hat es in Europa keine grenzüberschreitenden Fusionen zwischen Grossbanken mehr gegeben. Auf nationaler Ebene haben wir zwar einige Zusammenschlüsse in Spanien und Italien gesehen. Aber die waren wohl eher aus der Not geboren. 14 Jahre lang hat sich also kaum etwas bewegt – und ich wüsste nicht, warum sich das plötzlich ändern sollte.
Wo liegen denn die Hürden? Weiterhin in der Politik?
Die europäischen Regierungen wollen ihre nationalen Bankenchampions behalten und streben keine europaweite Konsolidierung des Bankensektors an. Die USA hingegen haben diese Konsolidierung während der letzten Finanzkrise durchlaufen: Die vier grössten Banken kontrollieren inzwischen rund die Hälfte des Bankenmarktes in den USA.
Würde sich die offizielle Schweiz zur Wehr setzen, wenn ein ausländisches Institut eine hiesige Grossbank übernehmen wollte?
Der Regulator würde ein solches Gebot sicher genau prüfen und besonders darauf achten, dass die Interessen der Kundschaft und die Stabilität des Finanzplatzes gewahrt sind. So gesehen kommt nur eine sehr begrenzte Zahl von Unternehmen überhaupt für einen solches Gebot infrage.
Es gibt aber kleinere Deals, die stattfinden. Im Juni hat die Graubündner Kantonalbank überraschend die Zürcher BZ Bank übernommen. Im Inland rollt die Konsolidierung also doch?
Es fällt auf, dass es in diesem Jahr viel weniger Transaktionen gegeben hat als gewöhnlich. Im vergangenen Januar hat die Genfer Privatbank Gonet die Lokalkonkurrentin Degroof Petercam übernommen. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um einen Exit des ausländischen Mutterhauses; wir durften diesen Verkauf begleiten. Seither ist es ruhig geblieben – abgesehen von der BZ Bank jetzt. Bei dieser Transaktion dürften vor allem die Nachfolgeregelungen im Zentrum gestanden haben. In den vorangehenden zehn Jahren hatten wird dagegen Jahr für Jahr mindestens zehn Transaktionen unter Banken gesehen.
Ist da gerade ein Trend abgebrochen?
Es gibt eine bestehende Pipeline von Transaktionen. Doch diese materialisieren sich nicht, etwa, weil die Kluft zwischen den Preisvorstellungen von Käuferinnen und Verkäufern immer grösser wird. Und man darf nicht vergessen: 2021 war ein Ausnahmejahr für die Branche. Die Institute haben so viel verdient, dass ihnen der Konsolidierungsdruck weniger hoch erscheint. Aber die Lage könnte bereits wieder zuungunsten der schwächeren Player drehen. Das erste Halbjahr 2022 wird für die Privatbanken nicht so gut ausfallen wie entsprechende Vorjahresperiode.
Was geschieht in der zweiten Jahreshälfte?
Es ist gut möglich, dass einige Auslandsbanken ihre lokale Performance genauer anschauen und sich einen Exit aus der Schweiz überlegen. Ebenso könnten sich kleinere Privatbanken gezwungen sehen, zu fusionieren oder zu verkaufen. Diese Institute sind nicht nur bei der Profitabilität gefordert: Sie sind gleichzeitig mit Investitionen in Digitalisierung, dem Generationenwechsel der Kundschaft sowie neuen Anlagetrends wie Nachhaltigkeit und Privatmarkt-Anlagen konfrontiert.
«Es gibt mehrere mittelgrosse Privatbanken, die Gespräche führen»
Da ihre geringe Rentabilität es ihnen nicht erlaubt, in die oben genannten Themen zu investieren, bleibt ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber grösseren Banken auf der Strecke.
Die Übernahme der Genfer Reyl Gruppe durch die italienische Grossbank Intesa Sanpaolo vom Jahr 2020 hat gezeigt, dass hierzulande auch mittelgrosse Privatbanken zum Verkauf stehen.
Richtig, und es gibt mehrere Akteure, die derzeit Gespräche führen. Bei der Reyl-Transaktion waren wir ebenfalls involviert – jener Deal war aber eine absolute Ausnahme bezüglich Struktur und Governance.
Inwiefern?
Es ist sehr selten, dass eine grosse Bankengruppe einer Minderheitsaktionärin erlaubt, die Marke zu behalten und ihr erst noch die Leitung über einen ganzen Geschäftszweig anvertraut. Nun denken sich natürlich viele familiengeführte Schweizer Banken: Wenn wir so eine Kombination finden, wären wir sehr interessiert.
Wie stehen die Chancen dazu?
Es gibt nicht so viele mögliche Kombinationen.
Mit wie vielen Deals rechnen Sie im Swiss Private Banking bis zum Jahresende?
Es ist gerade sehr schwierig, hier eine Voraussage zu machen. Sicher mit deutlich weniger als zehn.
Ein Feld für Übernahmen ist in den vergangenen Monaten plötzlich ganz weit aufgegangen: Angesichts der Lizenz-Deadline Ende Jahr kommt die Konsolidierung unter den unabhängigen Vermögensverwaltern in Bewegung. Was ist hier noch zu erwarten?
Wir reden Jahr schon seit 20 Jahren über diese Konsolidierung. Nun hat sie zumindest im Ansatz begonnen. Interessanterweise sind fast nur grössere Akteure mit mindestens 1 Milliarde Franken an verwalteten Vermögen in die Konsolidierungen involviert – sie repräsentieren weniger als 5 Prozent der unabhängigen Vermögensverwalter in der Schweiz.
«Wir haben in den vergangenen zwölf Monaten rund 15 Deals gezählt»
Für kleinere Institute ist die Lizenzierung nicht einfach und sie sind sehr darauf bedacht, ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Zudem hat ihre Kundschaft oft eine sehr enge Bindung an den individuellen Vermögensverwalter beziehungsweise Vermögensverwalterin. Das ist ein grosses Risiko, das nach unserer Erfahrung Käufer auch schon abgeschreckt hat. Trotzdem: Es sind weitere Deals in Vorbereitung. Wir sind erst am Anfang dieser neuen Welle.
Wie viele Transaktionen haben Sie gezählt? finews.ch hat über grössere Transaktionen wie etwa die Käufe von Reyl Intesa Sanpaolo, Quaestor Coach, der Bank Syz und Focus Financial berichtet.
Wir haben in den letzten zwölf Monaten rund 15 Deals gezählt. Längst nicht alle sind publik geworden.
Was wird Ende Jahr geschehen, wenn die Deadline der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma abläuft?
Wenn Vermögensverwalter bis jetzt nicht mit dem Bewilligungsprozess begonnen haben, wird es schwierig. Ich könnte mir vorstellen, dass die Finma strafrechtliche und aufsichtsrechtliche Sanktionen gegen diejenigen verhängt, die ihre Anträge verspätet einreichen oder ihr Tätigkeit fortsetzen, ohne über die entsprechenden Genehmigungen zu verfügen. Für solche Vermögensverwalter gibt es aus meiner Sicht drei mögliche Lösungen: Mit regulierten Konkurrenten fusionieren, die eigenen Kundengelder den Banken anbieten und eine Vereinbarung über die Aufteilung der Gebühren treffen – oder den Betrieb einstellen.
Die Banken wären also Gewinner dieser forcierten Konsolidierung?
Das ist durchaus denkbar. Für Banken bietet sich über die Verbindung mit Vermögensverwaltern auch die Möglichkeit, die eigenen Produkte und Dienstleistungen an einen weiteren Kundenkreis zu vertreiben. Grössere regulierte Vermögensverwalter werden ebenfalls von dieser Konsolidierung profitieren. Was ich aus Erfahrung sagen kann: Für jeden unabhängigen Vermögensverwalter, der zum Verkauf steht, gibt es 50 potenzielle Käufer.
Wie erklären Sie sich die riesige Nachfrage?
Wenn es externen Vermögensverwaltern gelingt, andere zu übernehmen, dann gewinnen sie zusätzlich einen Skalenvorteil. Grosse Vermögensverwalter, die professionell organisiert sind, stellen eine echte Alternative zu Privatbanken dar.
Was das gesamte Swiss Banking angeht, wird derzeit viel von einer Zeitenwende gesprochen. Die Diskussion um die Neutralität der Schweiz und der erwartete Abstieg der Schweiz als führendem Offshore-Zentrum stimmen wenig zuversichtlich für die Zukunft. Was erwarten Sie?
Die Schweiz hat erklärt, die Sanktionen der OECD gegenüber Russland zu übernehmen. Damit hat sich das Land für ein Lager entschieden; zumindest die russischen Vermögen fliessen nun aus der Schweiz ab und werden anderswo gebucht, etwa in Nahost oder in Asien.
«Konzerne wie die UBS, Credit Suisse, Pictet, EFG oder Julius Bär werden von dieser Entwicklung profitieren»
Mit der Tendenz zur Deglobalisierung werden wir auch in der Vermögensverwaltung wieder mehr regionale Ansätze sehen, mit Hubs für die jeweils umliegende Region.
Dann bliebe dem Schweizer Bankenplatz ja nur das umliegende Europa, das relativ wachstumsschwach und aus Schweizer Sicht voller Handelshindernisse ist?
Die Schweizer Privatbanken werden wohl weiterhin für Superreiche interessant sein, die ihre Vermögen geographisch diversifizieren möchten und denen politische und wirtschaftliche Stabilität wichtig sind. So wird etwa vermutet, dass zahlreiche Staaten wegen der sich abzeichnenden Rezession und den steigenden Schuldzinsen bald zu Steuererhöhungen greifen müssen. Länder mit teils tiefer Besteuerung wie die Schweiz gewännen so an Anziehungskraft für wohlhabende Personen.
Aber?
Auch unsere Projektionen zeigen, dass der Schweizer Offshore-Finanzplatz in wenigen Jahren überholt werden könnte von der wachsenden Konkurrenz. Das europäische Umland der Schweiz mit ihren Kernmärkten Europa, Afrika und Naher Osten generiert, wie Sie richtig bemerkten, wenig neue Vermögen. Grosse internationale Bankenkonzerne wie die UBS, die Credit Suisse, Pictet, EFG oder Julius Bär, die etwa in Asien schon lange präsent sind, werden von dieser Entwicklung aber klar profitieren.
Müssten kleinere Akteure also erneut in die Wachstumsregionen vorstossen? Viele haben sich ja gerade erst zurückgezogen und ihre Kundenportefeuilles segmentiert.
Diesen Instituten fehlen oft die finanziellen Mittel zu einer Expansion. Sie müssen vor allem in Digitalisierung und Technologie investieren, ihre Service- und Produktfähigkeiten ausbauen und nicht zuletzt auch für neue Mitarbeitende attraktiv bleiben.
Reden wir bei diesen Projektionen eigentlich nur von tieferem Wachstum oder tatsächlich vom Verlust von Kundenvermögen?
Wir rechnen mit einem jährlichen Volumenwachstum bei den Schweizer Privatbanken von 6 Prozent. Damit liegt der Privatbankenplatz hinter globalen Konkurrenten wie den USA oder Luxemburg zurück, die in den vergangenen Jahren schneller gewachsen sind. Demgegenüber hat die Schweiz als Vermögensverwaltungszentrum während der Pandemie sehr gut abgeschnitten. Die Netto-Neugelder sind in dieser Zeit schneller gewachsen; viele haben in turbulenten Zeiten einen sicheren Hafen für ihr Geld gesucht.
Jean-François Lagassé ist Leiter Bankenberatung bei Deloitte Schweiz und Verantwortlicher für den Bereich Wealth Management auf globaler Ebene bei der Big-Four-Beratungsfirma. In dieser Funktion hat er hierzulande eine Vielzahl von Bankenübernahmen begleitet. Das macht Lagassé zu einem der besten Kenner der Szene. Der Westschweizer ist seit 14 Jahren für Deloitte tätig; zuvor wirkte er bei der Konkurrentin Pricewaterhouse Coopers (PwC).