Erstmals stehen zwei Banken wegen Fehlverhaltens vor dem Bundesstrafgericht in Bellizona. Dabei geht es um zwei unterschiedliche Fälle. Der Ausgang der Verfahren gegen die Credit Suisse und die Falcon Private Bank schafft Präzedenzfälle für die künftige Haftbarkeit von Unternehmen in der Schweiz. 

Der Schweizer Bankensektor steht vor einem weiteren grossen Schritt, transparenter zu werden. Denn in der hiesigen Rechtsgeschichte kommt es zu einer Premiere: Mit der Credit Suisse (CS) und der Falcon Private Bank (Falcon) stehen zwei juristische Personen vor Gericht. 

In der Vergangenheit haben Banken versucht, dies vor allem aus Reputationsgründen zu vermeiden.

Geldwäscherei und Kokain

Doch diesen Montag beginnt am Bundestrafgericht in Bellinzona die Anhörung in einem Strafverfahren gegen Falcon und ihren fast zwei Jahrzehnte lang amtierenden CEO Eduardo Leemann. Dabei geht es um Geldwäscherei.

Leemann bestreitet jegliches Fehlverhalten, und die Bank, die nach einer behördlichen Untersuchung im Jahr 2016 seither abgewickelt wird, weist die Vorwürfe organisatorischer Mängel zurück.

«Erstaunt» über die Anklage

Der grössere Fall – die Verstrickung der CS mit dem «Kokainkönig» von Bulgarien – ist für Februar angesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft der CS und einer ehemaligen Führungskraft vor, mehr als 100 Millionen Franken an Drogengeldern abgezweigt zu haben, die in Immobilien in Bulgarien und in der Schweiz geflossen sind.

Die CS erklärte, sie sei «erstaunt» über die Anklage. Sie weist jedoch die Vorwürfe zurück und will sich dagegen zur Wehr setzen.

Unbeantwortete Fragen

Der Ausgang der Strafverfahren gegen Falcon und die CS ist nach Ansicht von Simone Nadelhofer, Partnerin der Schweizer Anwaltskanzlei Lalive in Zürich, in einem weiteren Sinne von Bedeutung.

«Einige rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Haftung von Unternehmen sind noch unbeantwortet und wurden noch nie vor Gericht geprüft», sagte sie gegenüber finews.ch.

Ausgeweitete Praxis des Strafbefehls

Es ist zum Beispiel unklar, welche Sanktionen den Unternehmen drohen, wenn sie von einem Strafgericht für schuldig befunden werden. Die Gerichtspraxis ist diesbezüglich noch wenig erprobt.

Die hiesige Bundesanwaltschaft hat in den vergangenen Jahren ihre Praxis bei vereinfachten Verfahren, die für geringfügige Übertretungen gedacht sind, stillschweigend auf Fälle mit weit grösserer Tragweite ausgedehnt. Die Verurteilung per Strafbefehl ist im Zusammenhang mit strafrechtlicher Unternehmenshaftung inzwischen Usus – Gerichtsentscheide gab es hingegen kaum.

Verbesserungen dringend gefordert

Unternehmen würden in der Schweiz für Straftaten kaum strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Zu diesem Schluss kam denn auch eine Studie von Transparency Schweiz.

Die Regelung, der Vollzug und die Transparenz des Unternehmensstrafrechts müssten dringend verbessert werden, hiess es darin, wie auch finews.ch berichtete.

Vergleiche gibt es hier nicht

Am nächsten kam die Schweizer Justiz in einem Gerichtsurteil 2016, als es um eine Barauszahlung von 4,6 Millionen Franken durch einen Postbeamten ging. Dabei hatte es sich um Gelder krimineller Herkunft gehandelt.

Diese Episode wird zwar in der juristischen Fachwelt häufig zitiert, ist aber für grosse Unternehmen wie die CS, die in milliardenschwere Fälle verwickelt ist, nicht unbedingt ausschlaggebend.

Fehlende rechtliche Handhabe

Anders als in den USA und in Grossbritannien gibt es in der Schweiz keine rechtliche Handhabe für Staatsanwälte und Unternehmen, teure, öffentliche Prozesse zu vermeiden, indem sie sich auf Vergleiche und Geldstrafen einigen.

Die UBS und die CS haben im Laufe der Jahre in den USA Strafen in Milliardenhöhe gezahlt, nachdem sie zahllose, sogenannte Deferred Prosecution Agreements (DPA) für Fälle abgeschlossen hatten, die von der Beihilfe zum Steuerbetrug bis hin zur Manipulation von Devisenmärkten reichten.

Klarheit notwendig

Frankreich hat vor vier Jahren ein ähnliches System eingeführt – die «Convention judiciaire d'intérêt public» (CJIP). Sie ist vor allem auf die Schwierigkeiten der UBS mit den Pariser Staatsanwälten zurückzuführen.

Der ehemalige Schweizer Generalstaatsanwalt Michael Lauber setzte sich für ein ähnliches System ein, doch der Bundesrat verwarf es 2019, weil er es für «fragwürdig und systemfremd» hielt.

Mutmassliches Fehlverhalten

Mittlerweile sind Unternehmen an DPAs interessiert, weil mutmassliches Fehlverhalten – etwa durch Whistleblower – heute automatisch eine strafrechtliche Untersuchung nach sich zieht.

Rechtsanwältin Nadelhofer sagte, man würde es begrüssen, wenn die Schweizer Justiz Klarheit über die Rechtspraxis bei Wirtschaftskriminalität schaffen würde. «Aber die Frage ist, ob man das erste Unternehmen sein will, das gegen Anklagen kämpft und einen rechtlichen Präzedenzfall für andere schafft», fügte sie an.