Die Folgen der Coronakrise für die Unternehmen sind noch gar nicht abzuschätzen. Doch Thorsten Pauli von der Bank of America sagt im Gespräch mit finews.ch klar: Es wird wieder zu Transaktionen kommen. Investmentbanker wie er spielen nun eine neue Rolle.
Was für ein Unterschied zur Finanzkrise von 2008: Damals standen Demonstranten mit Transparenten an der Wall Street, auf denen die Investmentbanker in ihren Glastürmen aufgefordert wurden: «Springt doch!»
Damals waren es die gierigen Händler und eine verantwortungslose Risikomentalität in den Investmentbanken gewesen, die eine Mitschuld an der globalen Wirtschaftskrise trugen. Die aktuelle Coronakrise ist eine ganz andere: Banken spielen eine stabilisierende Rolle, vergeben Notkredite und streichen teils sogar die Boni zusammen.
Eine völlig andere Geschichte
Die grossen Investmentbanken stecken mitten im Krisenmanagement drin und betreiben mit ihren Geschäftskunden Schadenbegrenzung. So mancher tut dies derzeit in 16-Stunden-Tagen aus dem Homeoffice, wie zum Beispiel Thorsten Pauli (Bild unten), der bei der Bank of America den Bereich Equity Capital Markets in der Schweiz, Deutschland und in Österreich leitet.
Pauli erlebte die letzte grosse Wirtschaftskrise noch als Investmentbanker bei der UBS. Das sei in vielerlei Hinsicht eine völlig andere Geschichte gewesen, sagt Pauli im Gespräch mit finews.ch.
«Die Investmentbanken werden diese Mal stärker dazu beitragen, dass sich die Lage der Unternehmen und der Wirtschaft wieder normalisiert. Denn dieses Mal sind die Banken nicht die Verursacher, sie sind Partner in der Krise.»
Sicherung von Liquidität
Berichte, wonach gerade das Beratungsgeschäft bei den Investmentbanken völlig eingebrochen sei, kann Pauli nicht bestätigen. Er selber sei fast rundum die Uhr in Konferenzgesprächen und pflege intensiven Kontakt mit seinen Kunden.
Die Dialoge würden sich in erster Linie um eines drehen, sagt er: «Die Sicherung von Liquidität und die Sicherung des Zugangs zum Kredit- und zum Emissionsmarkt.» Er schätzt, dass Unternehmen derzeit weltweit über 500 Milliarden Dollar an Kredit- und Liquiditätsgesuche gestellt haben. Etwa 10 Prozent davon behandelt die Bank of America, die inzwischen auch in der Schweiz eine führende Rolle in Kapitalmarkttransaktionen eingenommen hat.
Weniger Hebel als 2008
Beteiligt ist die US-Bank beispielsweise an der rund 6 Milliarden Dollar schweren Kapitalaufnahme von Carnival Cruise Lines. Der Kreuzfahrtanbieter sitzt mit seinen Schiffen wegen Corona auf dem «Trockenen». Der Deal sieht die Ausgabe von Bonds, Wandelanleihen und neue Aktien vor – Carnival braucht die Milliarden um die nächsten zwölf Monate zu überstehen.
«Wer jetzt frisches Aktienkapital braucht, hat vorher nicht unbedingt Fehler begangen», beobachtet Pauli. Die Unternehmen seien im Unterschied zur Finanzkrise von 2008 viel weniger geleveraged. «Man kann ihnen in einem Negativzinsumfeld aber nicht vorwerfen, über zu wenig Liquidität zu verfügen. Und das Ausmass dieser Coronakrise war nicht vorhersehbar.»
Einfluss der Krise noch unbekannt
Unternehmen wie Fluggesellschaften oder Kreuzfahrtanbieter waren unter den ersten gewesen, die sich neue Kreditlinien und Cash-Polster verschafft haben – die Coronakrise hat sie auch zuerst getroffen. Grundsätzlich stünden die Unternehmen erst am Anfang, um den Einfluss der Krise auf die Geschäftsentwicklung abzuschätzen, so Pauli. «Aber sicher ist: Transaktionen werden kommen.»
Die Bank of America ist mit ihrer über 2,4 Billionen Dollar schweren Bilanz und über 500 Milliarden Dollar an Liquidität prädestiniert, auch grösseren Kreditgesuchen zu entsprechen. Doch ist der Bedarf so gross, dass die Unternehmen an die Kapitalmärkte gehen werden müssen, um ihn decken zu können – und Reserven für noch unbekannte Risiken zu bilden.
Kapital aufnehmen, um zuschlagen zu können
Doch wo Risiken sind, warten auch Chancen. Viele Marktkommentatoren gehen bereits jetzt davon aus, dass die Coronakrise in gewissen Branchen eine Konsolidierungs- und Übernahmewelle auslösen wird. «Was ich beobachte: auch gesunde Gesellschaften decken sich jetzt mit Kapital ein, um sich bietende Chancen nutzen zu können, möglicherweise auch im M&A-Bereich», sagt Pauli dazu.
«Noch stecken wir aber zu früh in der Krise, um eine belastbare Prognose für eine kommende Konsolidierung zu machen.» Für Investmentbanken ist die Coronakrise demnach ein tiefer Teich, der zum Fischen einlädt.