In den Büchern der Banken finden sich so wenig faule Hypokredite wie selten zuvor. Das ist Anlass zur Freude – wäre da nicht ein Haken an der Sache, wie Recherchen von finews.ch zeigen.

Als Raiffeisen Schweiz im vergangenen August die Semesterzahlen publizierte, leistete sich Chef Patrik Gisel einen kurzen Exkurs zu den Kreditausfällen. «Dass wir die Volumenausweitung nicht mit höheren Risiken erkaufen mussten», kommentierte er, «macht uns besonders stolz. Die Wertberichtigungen für Ausfallrisiken sind auf rekordtiefe 213 Millionen Franken gesunken.»

Dies sagte Gisel, nachdem das führende Hypothekarinstitut des Landes von der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in ihren Warnungen zu den Risiken am Immobilienmarkt wiederholt namentlich erwähnt worden war. Nun konnte der Raiffeisen-Chef dagegenhalten: Seht her, unsere Ausfälle sind so tief wie nie.

Der Hausse geht der Schnauf aus

Damit steht Raiffeisen nicht alleine da. Auch bei anderen Inlandbanken sind die Ausfälle auf Hypothekarkrediten erfreulich tief. Erstaunlich ist das nicht. Die seit Jahren hartnäckig tiefen Zinsen haben ein Umfeld geschaffen, in dem Schuldner minimaler Belastung ausgesetzt sind. Gleichzeitig erlebt das Land einen Immobilien-Boom sondergleichen.

Doch nun geht der Hauspreis-Hausse offenbar der Schnauf aus. Die Credit Suisse (CS) spricht in einer aktuellen Studie zum Immobilienmarkt vom «Ende einer Ära bei den Eigenheimpreisen». Das Preiswachstum sei nach 14 Jahren Anstieg zum Erliegen gekommen.

Gleichzeitig werden die Leerstände zum Medienthema – und die SNB liess vergangene Woche erstmals eine Normalisierung der Geldpolitik anklingen. Kurzum, die Zeiten minimaler Belastung könnten enden. In diesem Umfeld sind die rekordtiefen Kreditausfall-Quoten der Banken nicht nur trügerisch, weil rückwärtsgerichtet. Mit Blick auf die Zukunft könnten sie den Geldhäusern sogar gefährlich werden.

Ohne Ausfallrisiko kein Polster

Der Grund dafür ist in den Bilanzen der Banken zu suchen. Genauer: Bei der Art und Weise, wie diese Bücher geführt werden.

Die Schweizer Retailbanken hätten in den vergangenen Jahren sehr tiefe Kreditausfälle auf Hypotheken zu verzeichnen gehabt, erklärt Philipp Rickert (Bild unten), Bankenexperte und Geschäftsleitungs-Mitglied der Beratungsunternehmen KPMG Schweiz. Der Haken daran: Gemäss dem Schweizer Rechnungslegungs-Standard für Banken sei es jenen Häusern nicht möglich, pauschale Kreditrückstellungen für zukünftig erwartete Kreditausfälle zu tätigen, ohne dass bereits ein Ausfallrisiko ersichtlich sei, so der Experte.

Rickert 500

«Entsprechend sind die erfassten Rückstellungen heute auf einem tiefen Niveau angelangt», folgert Rickert. Mit anderen Worten: Weil die Zeiten bis dato so gut waren, ist es den Banken nicht erlaubt, umfangreiche Polster für einen künftigen Anstieg von faulen Krediten aufzubauen. Das ist, wie wenn man von der Polizei die Anweisung bekäme, beim Fahren nur in den Rückspiegel zu blicken.

Verluste modellieren

Die von der SNB erhobenen Bankdaten unterstreichen diese Tendenz. Zwischen Juni 2007 und Juni 2017 sind die Rückstellung aller Banken von 19,2 auf 8,5 Milliarden Franken gesunken. Die Reserven für allgemeine Bankrisiken gingen derweil von 17,9 Milliarden auf 522 Millionen Franken zurück.

Natürlich: Auf Anweisung der SNB und der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) haben die Institute ihre Kapitalbasis deutlich verstärkt und müssen ihre Hypothekar-Ausleihungen mit einem zusätzlichen Eigenkapital-Puffer sichern. Die meisten Retailbanken weisen denn auch üppige Eigenkapital-Quoten aus.

Dennoch nehmen die Banker das Problem mit den Polstern nicht auf die leichte Schulter. Mit der Einführung des angepassten Rechnungslegungs-Standards IFRS 9 wird bei Abschlüssen ab 2018 bei der Bestimmung von Kreditrückstellungen ein Expected-Loss-Modell eingeführt, sagt KPMG-Experte Rickert. «Auch für den Schweizer Rechnungslegungsstandard für Banken wird zurzeit ein ähnliches, wenn auch leicht vereinfachtes Modell diskutiert.»

Zinsschock als Risiko

Was bis zum Ende jener Verhandlungen im Hypogeschäft geschieht, kann niemand wissen. Auf die freie Fahrbahn im Rückspiegel zu vertrauen, ist indes eine verhängnisvolle Strategie.

Rickert: «Wenn es zu einem grossen und schnellen Zinsschock sowie zu einer Rezession käme, müsste damit gerechnet werden, dass dies deutliche Spuren in den Kreditbüchern und den Eigenkapitalsituationen der Banken hinterlassen würde.»