Julius Bär hat ein solides Halbjahres-Ergebnis präsentiert. Handelt es sich dabei um den Anfang einer neuen Wachstumsphase, oder ist CEO Boris Collardi mit seinem Latein bald am Ende?
1. Welche Signale sendet die kürzliche Reorganisation aus?
Vergangene Wochen gab Julius Bär eine Reorganisation ihrer Geschäftsbereiche bekannt, wie auch finews.ch berichtete. Warum diese erfolgte, blieb vorerst wenig nachvollziehbar, zumal auch diverse Top-Manager von Bord gingen.
Nun wird klar, dass vor dem Hintergrund der geringen Kundenaktivitäten, der schwachen Entwicklung in Asien, des schwierigen Börsenumfelds und der steigenden Kosten besondere Anstrengungen nötig sind. Offensichtlich kam es im Vorfeld der erwähnten Reorganisation zu Meinungsdifferenzen, die letztlich zu den personellen Veränderungen führten.
2. Werden es die neuen Kundenberater richten?
Bei der Personal-Rekrutierung gibt Julius Bär offensichtlich Gas. Insgesamt sollen sich in diesem Jahr bereits über 200 Kundenberater (brutto) für die Gruppe entschieden haben – basierend auf schon unterschriebenen Arbeitsverträgen. Das ist löblich, hat allerdings seinen Preis, wie diverse Finanzanalysten am Montag unisono feststellten.
Ob die Rechnung mit dieser Personal-Offensive aufgeht, ist ungewiss. Sie erinnert an frühere Zeiten, als der einstige CEO Alex Widmer ebenfalls eine solche Strategie verfolgte. Damals ging sie nicht auf.
3. Braucht es in der Neugeld-Akquisition eine neue Strategie?
Die Nettoneugeld-Zuflüsse (NNM) lagen mit einem Plus 3,7 Prozent leicht über den Erwartungen, aber dennoch unter der Zielspanne von 4 Prozent bis 6 Prozent. Schon im zweiten Halbjahr 2015 erreichte Julius Bär mit 3,9 Prozent das Ziel nicht.
Immerhin vermeldet die Bank, die NNM hätten sich gegen Ende des Berichtszeitraums beschleunigt. Währungseffekte, Abflüsse auf Grund von Selbstdeklarationen in Frankreich und Italien sowie eine unbefriedigende Situation im lateinamerikanischen Geschäft erschweren allerdings die weitere, positive Entwicklung.
4. Was, wenn Asien weiter schwächelt?
Im Marketing-Jargon kommt es dynamisch daher, wenn vom «deleveraging» bei der asiatischen Klientel die Rede ist. Im Klartext bedeutet dies aber, dass im Wachstumsmarkt Asien die Kunden entweder Vermögen abziehen oder im Sog der Börsen-Turbulenzen Geld verloren haben.
Das ist zweifelsohne ein schlechtes Omen. Denn als «zweiter Heimmarkt» von Julius Bär galt diese Region in den vergangenen zehn Jahre als wichtige Ertragsquelle. Sollte der Wind nun gedreht haben, könnte dies bei Julius Bär zu signifikanten Ertragsrückgängen führen.
5. Wie lassen sich die Kunden zum Handeln bewegen?
Julius Bär räumte es in der Pressemitteilung vom Montag unumwunden ein: Angesichts des volatilen Börsenumfelds unternehmen die Kunden wenig bis gar nichts mehr, was sich wiederum auf die Gebühren- und Kommissionseinnahmen auswirkt. Damit steht die Zürcher Bank nicht alleine da; alle Geldhäuser sind mit dieser einschneidenden Entwicklung konfrontiert, die seit nunmehr gut 18 Monaten andauert.
Manche Banken sind darum auf Beratungs-Modelle umgeschwenkt, mit denen sie den Kunden eine Art Rundum-Service auf Honorar-Basis anbieten – so auch Julius Bär mit «Your Wealth»; doch verlässliche Erfahrungswerte fehlen noch, da das Angebot relativ neu ist.
6. Gewähren die Börsianer Boris Collardi eine Gnadenfrist?
Die Julius-Bär-Aktie hat nach Bekanntgabe der Semesterzahlen 2016 in einem leicht positiven Markt deutlich zugelegt. Boris Collardi geniesst offenbar weiterhin das Vertrauen der Anleger, obschon sich die kritischen Stimmen mehren.
Dem CEO muss man zugute halten, dass ihm bisher kein Fehler in seinem strategischen Marschplan unterlaufen ist; allerdings ist er zunehmend einem garstigen Umfeld ausgesetzt und kann nicht mehr länger auf die Impulse grosser Akquisitionen zählen, wie dies in den vergangenen Jahren der Fall war.
7. Haben die Übernahmen die Kapitalquote der Bank geschwächt?
Die Kapitalquoten sind stärker als erwartet gesunken. Die CET1-Ratio (vollständig angewandt) erreichte einen Wert von 10,2 Prozent gegenüber 12,2 Prozent im Gesamtjahr 2015. Der Grund für die rückläufigen Kapitalquoten sind die Akquisitionen, insbesondere jene von Kairos Investment Management in Italien.
Die Übernahme der Commerzbank (Luxemburg) wurde am 4. Juli vollzogen; sie wird entsprechend die Kapitalquote im zweiten Halbjahr 2016 belasten. Damit liegt das Augenmerk ganz klar auf den Kosten.
Mit anderen Worten: Die Kapitalquote ist ein wichtiger Indikator für die Solidität einer Bank; Julius Bär ist nach wie vor gut unterwegs. In dem momentan schwierigen Umfeld dürfen Anleger und Kunden aber auf keinen Fall anfangen, an der Stärke der Bank zu zweifeln.