Statt sich geordnet aus dem Finanzsystem zurückzuziehen, verstärken die EU-Staaten ihr Engagement. Mit bedenklichen Folgen, so Martin Hess von der Bankiervereinigung.
Martin Hess ist Leiter Wirtschaftspolitik bei der Schweizerischen Bankiervereinigung
Nur dank Staatseingriffen bisher unbekannten Ausmasses konnte 2008 der Kollaps des globalen Finanzsystems verhindert werden. Während die Schweiz und die USA ihre Programme rasant zurückfahren, ist in der EU ein Exit in weiter Ferne. 2012 stiegen die neu bewilligten staatlichen Hilfen für Finanzinstitute auf gewaltige EUR 430 Mrd. Dies sind 57% mehr als 2011 und bedeutet den höchsten Stand seit 2009.
Staatsvöllerei ...
Ökonomisch ist diese Staatsvöllerei nicht zu begründen. Der überhand nehmende Dirigismus in der Politik ist alleine dafür verantwortlich. In Missachtung jeglicher Marktmechanismen versuchen politische Entscheidungsträger in der EU mit grossem Eifer, tiefgreifende Probleme mit geborgtem Geld zuzuschütten - und machen sie dadurch noch schlimmer. In der Begründung der Massnahmen wimmelt es jeweils von "sollte", "hätte", "könnte" und "würde". Es lebe der Konjunktiv.
... mit gravierenden Folgen
Ende 2012 waren von den 76 grössten Bankengruppen in der EU gemäss IWF deren 19 grösstenteils oder vollständig in Staatsbesitz. Analysen haben ergeben, dass vom Staat gerettete Banken risikoreicher wirtschaften als jene, die nie Staatshilfe in Anspruch genommen haben. Mit entsprechenden Konsequenzen. Die Verluste aus dem Staatsengagement im Finanzmarkt belaufen sich alleine in Grossbritannien mittlerweile auf über acht Milliarden Euro. Angesichts der offensichtlichen Fehlentwicklungen kam anfangs Juni das Mea Culpa des IWF für sein unbedachtes Griechenland-Engagement überraschend spät.
Nicht unser Problem. Doch!
Wegen der hohen Staatsschulden in der EU setzen die im Bankensystem finanziell engagierten Staaten alles daran, die diesbezüglichen Verluste zu minimieren. Und zwar mit ganz konventionellen Rezepten des Protektionismus aus früheren Jahrhunderten. Mit nichttarifären Handelshemmnissen (z.B. MiFID 2) oder Abgaben (z.B. Finanztransaktionssteuer).
Es besteht die Gefahr, dass die Schweizer Banken, die nicht von der Staatunterstützung profitieren, aber der Instabilität und dem Protektionismus in der EU unterworfen sind, auf unsicherem internationalen Terrain mit ungleich langen Spiessen kämpfen:
- Sie sind nicht an den Honigtöpfen der internationalen Staatengemeinschaft.
- Sie stehen vor grossen Hürden im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr.
- Sie tragen hohe Kosten durch die verschärfte Regulierung, von der das Ausland in grossem Ausmass profitiert.
Kein «new normal»
Es ist wichtig, die gegenwärtige Situation in der EU deutlich anzuprangern. Wie der berühmte stete Tropfen drohen die sich hinziehenden Staatsinterventionen bald zum "new normal" zu werden. Man muss kein Asket sein, um das Ende der Staatsvöllerei zu fordern. Bereits vor Jahrhunderten wusste man in Dänemark: "Füllerey tödtet mehre als der der Hunger" (dän. Sprichwort).