Bonuszahlungen sollten längst passé sein, findet Kurt Schiltknecht. Auch Verwaltungsräte sollten das endlich begreifen, sagt der Ökonom zu finews.ch.
Kurt Schiltknecht ist Publizist, Kolumnist, Verwaltungsrat der BZ Trust und der Schiltknecht Consulting Group
Herr Schiltknecht, wie beurteilen Sie den Zustand unseres Finanzplatzes?
Er durchläuft eine schwierige Periode. Neben der Bankenkrise verunsichern die Diskussionen über die Abgeltungssteuer und den automatischen Informationsaustausch die Kunden und Finanzhäuser gleichermassen. Hinzu kommen die Verzerrungen und lähmenden Unsicherheiten an den Finanzmärkten als Folge der zu expansiven Geldpolitik der Notenbanken.
«Nicht jedem Druck des Auslands nachgeben»
Welchen «ärztlichen» Rat erteilen Sie dem «Patienten»?
Den schweizerischen Banken bleibt nichts Anderes übrig als noch mehr als bisher auf die Qualität der Dienstleistungen zu setzen. Zur Qualität gehören auch hohe Eigenmittel, denn in einer krisengeschüttelten Welt nehmen diese einen hohen Stellenwert ein. Dieser Aspekt ist im bonusgetriebenen Bankgeschäft vernachlässigt worden und in Vergessenheit geraten.
Die Bankbranche gehörte bis vor kurzem zu den volkswirtschaftlichen Säulen der Schweiz. Wird das so bleiben?
Sie wird sich deutlich verändern. Finanzhäuser, die bisher vor allem auf das Bankgeheimnis gesetzt haben, werden einen schwierigen Stand haben. Wegen der schrumpfenden Kundengelder wird es zu Bankschliessungen, Zusammenschlüssen und Übernahmen kommen.
Langfristig hat der Schweizer Finanzplatz nach wie vor gute Chancen, erfolgreich zu bleiben. Dafür sprechen die stabile Wirtschaft, eine starke Währung und gut geschultes Personal. Allerdings müssen die Politiker und die Aufsichtsbehörden klare Rahmenbedingungen schaffen und nicht jedem Druck des Auslands nachgeben.
«Hektik im Bundesrat ist Gift für die Banken»
Für einen Finanzplatz gibt es nichts Schlimmeres als Unsicherheit über die künftige Rechtsordnung und Rechtssprechung. Die Hektik, mit der der Bundesrat und das Parlament zurzeit Wirtschaftspolitik betreiben, ist nicht nur Gift für die Banken, sondern auch für die ganze Wirtschaft.
Ist die Schweiz aus heutiger Sicht «overbanked»?
Der Bankensektor wird in den nächsten Jahren schrumpfen. Die Leidtragenden werden die kleinen und mittleren Banken sein. Diese leiden nicht nur unter dem Verlust von Kunden, sondern auch unter den bürokratischen Kosten der Bankenregulierung und der Abgeltungssteuer.
Der Aufwand für die Überwachung und Überprüfung der Kunden nimmt im Verhältnis zu den verwalteten Vermögen vor allem bei den kleineren Banken ein Ausmass an, das die Erträge aus dem Kundengeschäft stark dezimiert.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass die Politiker von den Banken erwarten, dass sie alle Probleme der Steuerhinterziehung, der Drogen- und Maffiagelder lösen oder zumindest verhindern können. Die Idee, diese Probleme vor allem mit Hilfe der Banken lösen zu können, verkennt die Wirklichkeit.
«Einige Kantonalbanken sind zu klein»
Ihre Prognose zur Zukunft unserer vielfältigen Bankenwelt?
Ohne ein überdimensioniertes Investmentbanking und mit vernünftigen Rahmenbedingungen haben die Grossbanken sehr gute Chancen, erfolgreich zu sein. Die jüngsten Massnahmen der beiden Banken zur Reduzierung des Investmentbanking gehen in die richtige Richtung. Sie stimmen mich etwas optimistischer.
Einige Kantonalbanken sind zu klein, um im härter werdenden Wettbewerb überleben zu können. Es wird zu Zusammenschlüssen oder Übernahmen kommen. Gut geführte Privatbanken haben immer eine Chance, da die Zahl der Reichen in der Welt weiter zunehmen und das Bedürfnis nach guter Vermögensverwaltung hoch bleiben wird. Die grössten Veränderungen erwarte ich im Regionalbanken-Bereich. Hier werden Zusammenschlüsse und Übernahmen die Norm sein.
Rechnen Sie mit Entlassungen?
Es werden sicher noch einige Tausend Bankangestellte ihren Arbeitsplatz verlieren.
Welche Zäsur erwarten Sie bei den Löhnen und Boni der Banker?
Die Saläre der Bankangestellten waren im Vergleich zu den Gehältern in anderen Branchen seit langem zu hoch. Das war eine Folge des Bankenbooms und deshalb nicht ungewöhnlich. Als der Pharmasektor im Vergleich zu den anderen Branchen florierte, waren auch dort die Saläre überdurchschnittlich hoch. Allerdings kam es nicht zu den im Bankensektor beobachteten Auswüchsen.
«Ich bin nach wie vor für das Bankgeheimnis»
Die Struktur der Bonuszahlungen sollte schon lange der Vergangenheit angehören. Vor allem Optionen sind viel zu teuer und begünstigen allzu risikoreiche Strategien. Bonuszahlungen fördern nicht nur die Leistung, sondern verändern auch die Risikowahrnehmung. Auch Verwaltungsräte sollten dies endlich begreifen.
Das Schweizer Bankgeheimnis ist gegenüber den USA «dank» Fatca bereits stark aufgeweicht. Haben Verhandlungen mit anderen Staaten über eine Abgeltungssteuer überhaupt noch eine Chance?
Ich bin nach wie vor für das Bankgeheimnis. Allerdings darf es Steuerumgehungen nicht decken. Die Schweiz sollte versuchen, mit möglichst vielen Ländern eine einigermassen einheitliche Lösung zu finden. Deshalb sollten die Steuerabgeltungsabkommen nicht überstürzt abgeschlossen werden. Bei jedem Abkommen sollte darauf geachtet werden, dass die Privatsphäre der Bankkunden geschützt bleibt.
Wann fällt das Bankkundengeheimnis auch gegenüber Schweizer Kunden?
In einer modifizierten Form – kein Schutz bei Steuerhinterziehung – hoffentlich nie.
Im März stimmt das Schweizer Volk über die «Minder-Initiative» ab. Was wären aus Ihrer Sicht die Folgen einer Annahme dieser Vorlage?
Auch bei einem Ja wird die Schweizer Wirtschaft nicht zusammenbrechen. Leider haben es die für die Lohnexzesse verantwortlichen Führungskräfte versäumt, mit einer Modifikation der Managerentschädigungen den Boden für eine unemotionale Abstimmung zu schaffen.
«Es gibt schlimmere Vorlagen als die Minder-Initiative»
Im Übrigen muss doch auch betont werden, dass die Zahl der Lohnexzesse ausserhalb des Bankensektors gering ist. Es gibt andere Initiativen wie zum Beispiel jene zur rückwirkenden Erbschaftssteuer oder der Lohninitiative 1:12, sowie Eingriffe in die Preisbildung, die mir für die Wirtschaft bedrohlicher erscheinen.
Eine letzte Frage: Bankaktien «nein danke» oder «zu diesen Kursen ja gerne»?
Die Banken sind zwar auf dem Weg zur Besserung, aber noch lange nicht über dem Berg. Vor allem die Finanzinstitute im Euroraum werden die sich abzeichnende Rezession noch zu spüren bekommen. Bei Banken in diesem Wirtschaftsraum würde ich zur Vorsicht raten.
Im Grossen und Ganzen haben die Aktienmärkte bereits auf die Verbesserungen reagiert. Wer an eine rasche Erholung der Wirtschaft glaubt, kann auch bei den heutigen Kursen wieder in Bankaktien investieren.
«Ich würde amerikanische Bankaktien ins Auge fassen»
Da die amerikanische Wirtschaft sich etwas zu erholen scheint, würde ich insbesondere amerikanische Bankaktien ins Auge fassen. Aber auch Dividendenpapiere von Banken, die wie die HSBC einen starken Fuss in Asien und Südamerika haben, können langfristig eine interessante Anlage sein.
Entscheidend ist letztlich, ob eine Bank die Zeichen der Zeit erkannt und ihre Strategie bereits konsequent modifiziert hat. In dieser Beziehung lassen sich noch beträchtliche Unterschiede ausmachen.
Kurt Schiltknecht befasst sich seit seinem Studium vorwiegend mit monetären Fragen, zuerst in der Forschung, dann als Leiter des volkswirtschaftlichen Bereichs der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und als a.o. Professor an der Universität Basel. Er war am Institut für Wirtschaftsforschung der ETH, bei der OECD und an der Wharton School of Economics tätig.
In den letzten 20 Jahren hat der 1941 geborene Schiltknecht in leitender Funktion und als Verwaltungsrat bei der Nordfinanz Bank, der Bank Leu und dem BZ Trust gearbeitet und dabei vielfältige Erfahrungen im Bankgeschäft, in der Industrie sowie in der Betrugsaufklärung gesammelt. In seinem Buch «Corporate Governance – Das subtile Spiel um Geld und Macht» vertritt er die Meinung, dass eine funktionierende Marktwirtschaft bessere Resultate hervorbringt als eine Fülle von einschränkenden Corporate-Governance-Regulierungen.