Rezession und Bankenkrise konnten bisher nur durch neue Ungleichgewichte überwunden werden, diagnostiziert der Ökonom Martin Hüfner.
Martin Hüfner, Chefökonom der Schweizer Aquila-Gruppe, früher Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. Er ist Autor des Bestsellers «Achtung: Geld in Gefahr!».
Die Verwirrung ist gross. Immer wieder wird in diesen Wochen die Frage gestellt: Wo stehen wir eigentlich in der Krise? Es gibt viele «green shoots» (grüne Triebe) in der Wirtschaft, die Börsenkurse gehen hoch. Gleichzeitig steigt aber die Arbeitslosigkeit, und die Menschen werden unsicherer.
Nach einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung befürchten knapp 30 Prozent der Deutschen einen sozialen Abstieg. Daher ist es an der Zeit für eine Gesamtschau der Perspektiven von Wirtschaft und Finanzmärkten in den nächsten 12 bis 18 Monaten.
Fallgeschwindigkeit künftig weniger dramatisch
Die wichtigste Botschaft: Es ist Halbzeit in der Krise. Hinter uns liegt ein sehr schlechtes erstes Quartal 2009. In Deutschland hat sich das reale Bruttoinlandprodukt vermutlich um rund 14 Prozent (annualisiert) verringert. In der Eurozone sieht es mit einem Rückgang um 8 bis 9 Prozent nicht ganz so schlimm aus, und in den USA waren es nur 6 Prozent. Zwar wird es im zweiten Quartal weiterhin Rezession geben. Die Fallgeschwindigkeit der Wirtschaft wird aber nicht mehr so dramatisch sein.
Im zweiten Halbjahr werden die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten in einigen Ländern ins Plus drehen. Das ist aber noch kein vom Investorenvertrauen getriebener, sich selbst tragender Aufschwung. Die Besserung ist allein Folge der staatlichen Ankurbelungsmassnahmen. Wenn diese nachlassen, fällt auch die Konjunktur wieder zurück. Zudem: Solange die Wirtschaft langsamer expandiert als das Potenzial (in Europa 1 bis 2 Prozent, in den USA etwas mehr), wird die Arbeitslosigkeit weiter ansteigen, die Gewinne der Unternehmen werden zurückgehen und die Insolvenzen zunehmen.
Noch mehr Wertberichtigungen bei den Banken
Die zweite Halbzeit der Krise wird also kein Spaziergang. Dies auch, weil die Banken noch mehr Wertberichtigungen vornehmen müssen. Die Häuserpreise gehen in den USA und anderen Staaten weiter zurück. Es wird ein Wechselbad der Gefühle durch immer wieder gute und schlechte Nachrichten geben. In der Vergangenheit haben Krisen dieser Dimension im Schnitt rund vier Jahre gedauert. Jetzt haben wir gerade mal zwei hinter uns.
Neue Ungleichgewichte erkauft
Das Problem ist, dass die Überwindung der Krise durch ein neues Ungleichgewicht erkauft wird. Vielleicht ist es noch grösser als der Einbruch durch das Subprime-Debakel vor zwei Jahren. Es besteht darin, dass erstens die Staatsverschuldung in einigen Staaten auf astronomische Höhen ansteigt und dass zweitens die Liquidität in bisher nicht gekanntem Masse aufgebläht worden ist. Vor allem in den USA stellt das öffentliche Defizit alles in den Schatten, was bisher je erreicht worden war.
In Europa ist der Anstieg noch nicht ganz so gross. Aber auch hier sind alle Grenzen der Maastricht-Kriterien für vernünftiges wirtschaftliches Handeln überschritten worden. In Deutschland ist 2010 ein Defizit von mindestens 175 Milliarden Euro ( =7 Prozent des BIP) zu erwarten. Viele Notenbanken haben inzwischen Nullzinsen. Ihre Bilanzen haben sich ausgeweitet wie nie zuvor.
Ingredienzen für einen Verfall der Geldwertstabilität
Staatsverschuldung plus Anstieg der monetären Basis sind traditionell die Ingredienzien für einen Verfall der Geldwertstabilität. Die Angst vor einer Zunahme der Preise ist gerechtfertigt. Alle grossen Inflationen der Geschichte sind durch Staatsverschuldung und lockere Geldpolitik ausgelöst worden. Freilich sollte man auch hier die Kirche im Dorf lassen. Inflation ist möglich, sie kommt aber nicht zwangsläufig. Auch kommt sie nicht sofort, und sie kann verhindert werden.
Inflation wird nur entstehen, wenn es Knappheiten auf den Gütermärkten gibt, wenn also die Nachfrage schneller wächst als das Angebot. Das wird nicht vor dem Jahr 2011 der Fall sein (und auch dann nur, wenn es in den westlichen Industrieländern nicht zu japanischen Verhältnissen kommt).
Ein schmaler Grat für die Politik
Bis dahin haben die Notenbanken die Möglichkeit, die überschäumende Liquidität einzusammeln, und die Staaten können die öffentlichen Defizite zurückführen. Beides wird zumindest versucht werden. Die Notenbanken werden im zweiten Halbjahr 2009 keine weiteren Lockerungen mehr einleiten. Im Verlauf von 2010 werden sie dann die Zinsen erhöhen und wieder Wertpapiere aus ihren Beständen an den Markt geben.
Die Staaten werden die beschlossenen Programme noch abwickeln, aber keine neuen Ankurbelungsmassnahmen mehr starten. Die Steuern werden nicht weiter gesenkt, sondern tendenziell erhöht. Die Ausgaben werden wo möglich begrenzt. Das dämpft den konjunkturellen Auftrieb (in Japan wurde er Ende der 1990er Jahre ganz gestoppt). Insofern ist es ein schmaler Grat für die Politik. Dies hilft jedoch, die inflationären Gefahren zumindest zu mildern. Auf Dauer muss man sich aber auf höhere Preissteigerungsraten einstellen.
Wachstum fällt auf Dauer aus
Rezession und Bankenkrise fordern aber auch auf anderen Gebieten ihren Preis. Das Wirtschaftswachstum wird auf Dauer ausfallen. Der Staat greift stärker in die Wirtschaft ein. Die Globalisierung wird nicht mehr im bisherigen Masse voranschreiten. Die Eigenkapitalunterlegung der wirtschaftlichen Aktivität wird steigen (=weniger Leverage), und die Umverteilung zugunsten der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen wird sich nicht so fortsetzen.
Schon jetzt gibt es Obergrenzen für manche Managergehälter. Das Risikobewusstsein auf den Märkten wird zunehmen. Es wird wieder mehr Bescheidenheit geben, und traditionelle Werte von Mass und Mitte werden wiederentdeckt. Das Leben wird nicht leichter, in mancher Hinsicht aber hoffentlich gesünder und nachhaltiger.
Erhebliche Turbulenzen für Anleger
Für den Anleger: Wir stehen vor erheblichen Turbulenzen. Die Aktienmärkte sind in den letzten zwei Monaten weit gelaufen. Eine Konsolidierung ist fällig. Danach wird es unter Schwankungen wieder nach oben gehen. Gute Aktien sind als Sachwerte auch ein verlässlicher Schutz gegen Inflation. Aber wenn die Zinsen steigen, wird das die Aktien belasten. Auf lange Sicht werden die Kurssteigerungen bei niedrigerem Wachstum der Wirtschaft, geringeren Gewinnmargen und stärkeren Staatsinterventionen nicht mehr so gross sein.
Auf den Obligationenmärkten herrscht Ruhe vor dem Sturm. Wenn die Notenbanken die Zügel anziehen und eine Inflation zu befürchten ist, werden auch die Renditen wieder nach oben gehen. Es könnte eine inverse Zinsstruktur geben, in der die kurzfristigen Zinsen über die langfristigen steigen. Bis es dazu kommt, sind Unternehmensanleihen eine gute Zwischenanlage.
Alternative Anlagen wieder gefragt
Bei Turbulenzen auf den Märkten werden auch wieder alternative Anlagen gefragt. Dazu gehören Gold (als Schutz gegen Inflation), Rohstoffe (deren Preise bei einer konjunkturellen Erholung zunächst ansteigen) und Hedge-Fonds (welche die Unvollkommenheiten der Märkte in solchen Phasen nutzen können, auch wenn sie sicher stärker reguliert werden).