Auf den ersten Blick passt die Schweiz perfekt ins Beutemuster des US-Präsidenten. Doch sie weist einige Merkmale und Stärken auf, die den Schaden, den US-Zölle direkt oder indirekt anrichten könnten, in Grenzen halten. Voraussetzung dafür ist, dass es nicht weltweit zu einer Spirale von Vergeltungsmassnahmen kommt.

Es vergeht derzeit kaum ein (Werk-)Tag, ohne dass US-Präsident Donald Trump einem anderen Land mit Einfuhrzöllen droht. Ein wichtiges Motiv für ihn ist offenbar, dass viele Handelspartner mehr Waren in die USA exportieren als sie aus den USA importieren – und dass Amerika dadurch ausgenutzt werde.

Die ökonomische Theorie legt nahe, dass Zölle für alle beteiligten Länder, egal ob mit Handelsüberschuss oder -defizit, schädlich sind, weil sie den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen hemmen.

Schlägt, wer die Zollkeule schwingt, auch zu?

Doch was bedeutet es für die Schweizer Wirtschaft, wenn Trump die Zollkeule nicht nur schwingt, sondern mit ihr auch zuschlägt?

In einer vor wenigen Tagen auf Englisch (und am Montag auch auf Deutsch) veröffentlichten Studie («Trump's tarrifs and Switzerland») widmen sich die Ökonomien der UBS genau dieser Frage. In ihrem Basisszenario gehen sie davon aus, dass die USA eine aggressive Handelspolitik betreiben und Zölle selektiv erheben. Im Risikoszenario einer sehr aggressiven Politik werden sie hingegen flächendeckend und auf Dauer eingeführt, mit der Gefahr von Vergeltungsmassnahmen der anderen Staaten und damit einer protektionistischen Spirale.

Hoher Handelsbilanzüberschuss mit grossem Pharmaanteil

Die Schweiz ist auf den erste Blick ziemlich exponiert, weist sie doch gegenüber den USA einen grossen Handelsbilanzüberschuss auf. Zudem hat Trump die Pharmaindustrie besonders aufs Korn genommen. Fast ein Fünftel aller Schweizer Exporte geht in die USA, 60 Prozent davon Pharmaprodukte und 20 Prozent aus der MEM-Branche (Maschinen, Elektronik- und Metallindustrie), inklusive Uhren.

Und doch gibt die UBS Entwarnung, weil die Schweiz gegenüber den USA im Dienstleistungshandel ein grosses Defizit aufweist, die Leistungsbilanz damit ziemlich ausgeglichen ist – China, Mexiko und auch die EU weisen demgegenüber auch in dieser Disziplin grosse Überschüsse auf.

Leistungsbilanz im Gleichgewicht

Erst im vergangenen November habe die (allerdings noch von Joe Biden geführte) US-Regierung der Schweiz bescheinigt, dass der gegenseitige Austausch von Waren und Dienstleistungen im Gleichgewicht sei, halten die Ökonomen fest. Sie erinnern auch daran, dass Schweizer Unternehmen in den USA 300 Milliarden Franken (direkt-)investiert haben und dort zwischen 300'000 und 400'000 Beschäftigte haben.

US-Zölle könnten der Schweizer Wirtschaft über vier Kanäle direkt und indirekt zusetzen.

  1. Zölle auf Schweizer Güter reduzieren direkt die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen, was die Nachfrage dämpft. Der Effekt dürfte aber begrenzt bleiben, weil die ein grosser Teil der Schweizer Exporte auf Waren entfällt, bei der die Nachfrage wenig auf Preisveränderungen reagiert, also unelastisch ist.
  2. Ein direkte Folge von Zöllen könnte auch sein, dass Produktion und Forschung längerfristig in die USA verlagert werden. Dieser Kanal habe das Potenzial, der Schweiz am meisten zu schaden, schreiben die UBS-Ökonomen, die dabei auch an die Ankündigung von Trump denken, die Unternehmenssteuern zu senken. Dies könnte die Attraktivität des Standort USA insbesondere für die Pharmaindustrie zusätzlich erhöhen.
  3. Indirekt würde unser Land auch leiden, wenn Zölle «bloss» die EU treffen sollten. Denn Schweizer Unternehmen sind wichtige Zulieferer für die Exportbranchen in Europa, namentlich die (ohnehin schon kriselnde) Automobilindustrie.
  4. US-Zölle reduzieren auch das Wirtschaftswachstum weltweit und besonders in Europa. Die Schweizer Industrie, die bereits jetzt unter der Konjunkturschwäche auf dem Kontinent stöhnt, würde dadurch nochmals indirekt getroffen.

Im Basisszenario veranschlagen die UBS-Ökonomen für das laufende Jahr ein Wachstum des Schweizer Bruttoinlandprodukts von 1,5 Prozent. Wenn sich hingegen das Risikoszenario materialisiert, wird die Wirtschaft «deutlich langsamer» wachsen.

Mehr oder weniger Inflation?

Ambivalent sind im Risikoszenario auch die Effekte der Zölle auf die Inflation. Weltweit höhere Zölle treiben die Preise in die Höhe, die Wachstumsabschwächung hingegen wirkt preissenkend. Die UBS rechnet damit, dass in der Schweiz letzterer Effekt stärker ist, so dass dies (zusammen mit einer möglichen Frankenstärke gegenüber dem Euro, aber nicht dem Dollar) weitere Zinssenkungen der Schweizerischen Nationalbank in diesem Jahr noch wahrscheinlicher macht.

Zölle verringern den Wohlstand aller beteiligten Länder, weil sie die Vorteile einer international arbeitsteiligen Wirtschaft und eines freien Welthandels reduzieren; von der Gefahr eines Abgleitens in den Protektionismus ganz zu schweigen. Nur schon die Androhung von Zöllen sät Unsicherheit.

Die alte und immer noch aktuelle Ratio der Uruguay-Runde

Und doch sind Zölle im Vergleich zu den sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen wie Ausbildungs-, Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltstandards (welche oft de facto Vorschriften für die Produktion im Ausland darstellen), Subventionen für einheimische Produzenten oder Einfuhrkontingente das kleinere Übel. Denn Zölle sind einigermassen einfach zu handhaben, transparent – und können in Verhandlungen auch relativ rasch wieder zurückgefahren werden.

Es ist denn auch kein Zufall, dass bei der 1994 abgeschlossenen Uruguay-Welthandelsrunde des General Agreement on Tarrifs and Trade (GATT) u.a. (so weit als möglich) die Umwandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in Zölle beschlossen worden war. Leider fristet die Nachfolgeorganisation, die in Genf domizilierte World Trade Association (WTO) seit Jahrzehnten ein Schattendasein, weil der von ihr inkarnierte multilaterale Ansatz zur Förderung eines möglichst freien Handels schon länger in einer Sackgasse steckt.

Multilateraler Ansatz steckt in der Sackgasse

Donald Trump ist durchaus zuzutrauen, dass er die Zollkeule taktisch einsetzt, um mit den wichtigsten US-Handelspartnern aus seiner Sicht vorteilhafte bilaterale Abkommen abzuschliessen. Das dürfte die Weltwirtschaft und damit auch die Schweiz nicht allzu sehr belasten.

Dass aber ausgerechnet er der kecke Prinz sein könnte, der das schöne Dornröschen WTO und damit den multilateralen Ansatz der Handelsliberalisierung wachküssen könnte, gehört jedoch wohl definitiv ins Reich der Märchen.