Die beiden Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf sprechen sich vehement dagegen aus, dass Staaten und Notenbanken Bitcoin als Reserve halten sollten. Sie üben dabei scharfe Fundamentalkritik  – und bewegen sich mit ihren Argumenten teilweise doch auf sehr unsicherem Grund. 

Sie können es einfach nicht lassen und haben es wieder getan. Die beiden notorischen Bitcoin-Kritiker Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf haben vergangene Woche in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» erneut eine Breitseite gegen die Kryptowährung abgefeuert.

Die Botschaften haben ein gewisses Gewicht, weil das Duo für die Europäische Zentralbank (EZB) tätig ist. Bindseil ist dort Generaldirektor des Geschäftsbereichs Marktinfrastruktur und Zahlungsverkehr, Schaaf arbeitet als Berater in diesem Bereich.

Schub für Bitcoin als Reserve für Staaten und Zentralbanken

Aufhänger des jüngsten Rundumschlags sind verschiedene Vorstösse, die darauf abzielen, dass Staaten oder Zentralbanken Bitcoin als Reserve(währung) halten sollen. Der am Montag ins Amt eingesetzte Donald Trump liebäugelt mit dem Aufbau eines Bitcoinbestands beim Finanzministerium und hat die Branche im Vorfeld der Wahl mit weiteren Versprechen umworben.

Aber auch in Europa tut sich einiges. Eine EU-Parlamentarierin fordert eine strategische Bitcoinreserve für Europa. Christian Lindner, der Vorsitzende der deutschen FDP, schlägt vor, dass die EZB und die Deutsche Bundesbank die Kryptowährung in ihre Reserven integrieren.

«Schwammig, funktioniert nicht, wirtschaftlich riskant»

Und in der Schweiz läuft seit Anfang Jahr die Unterschriftensammlung für die «Volksinitiative für eine finanziell starke, souveräne und verantwortungsvolle Schweiz» (Bitcoin-Initiative), die der Schweizerischen Nationalbank (SNB) vorschreiben will, einen Teil der Währungsreserven auch in Bitcoin zu halten. Ein Erfolg dieser Initiative hätte primär eine Signalwirkung, da die künftige Bitcoin-Quote nicht weiter quantifiziert wird.

Gleich im ersten Abschnitt ihres Meinungsbeitrags machen Bindseil und Schaaf klar, was sie von diesen Vorstössen halten: «Die Vorschläge sind zwar noch schwammig, aber es ist jetzt schon abzusehen, dass sie nicht funktionieren, wirtschaftliche Risiken bergen und Vermögen umverteilen.»

Bitcoin macht Bankensystem nicht überflüssig, sondern wird von ihm absorbiert

Als strategische Reserven für Länder tauge der Bitcoin nicht, weil ein realwirtschaftlicher Bedarf fehle. Die ursprüngliche Vision einer globalen digitalen Währung, die für Zahlungen eingesetzt werde, habe sich nicht erfüllt. Damit trifft das Duo tatsächlich einen wunden Punkt.

Das Vorhaben, mit Bitcoin ein alternatives Zahlungssystem zu schaffen und die Banken damit überflüssig zu machen, ist bisher in der Praxis gescheitert. Die Dynamik verläuft derzeit ganz andersherum: Das traditionelle Bankensystem verleibt sich die Kryptowährung ein, d.h., baut die Infrastruktur auf, die den Handel und die Verwahrung vereinfacht, und behandelt Bitcoin in der Asset Allocation immer mehr als eigenständige, zunehmend etablierte Anlageklasse.

Wer im Glashaus sitzt...

Leider gehen Bindseil und Schaaf darauf gar nicht erst ein, sondern vermischen valable Argumente mit Polemik: Bitcoinzahlungen blieben auch 16 Jahre nach Einführung umständlich, teuer und langsam. Die Abhängigkeit von einer «unkontrollierbaren Technologie» (ein Wesensmerkmal, das durchaus auch positiv bewertet werden kann), dem Mining, «der undurchsichtigen Preisbildung auf einem unregulierten, konzentrierten und vor Kursmanipulation ungeschützten Markt» berge für einen Staat erhebliche Risiken. Besonders beim letzten Punkt sitzen die Autoren selber im Glashaus – schliesslich übt die EZB in der Eurozone das staatliche Geldmonopol aus.

Und natürlich fehlen auch die Evergreen-Kritikpunkte hoher Energieverbrauch und Missbrauch für Geldwäscherei, Steuerhinterziehung und Terrorismusfinanzierung nicht – die magere Evidenz dafür wird nicht substanzieller, wenn die Argumente in der Endlosschlaufe wiederholt werden.

Hohe Volatilität und tiefe Liquidität – nah und?

Sachlich etwas besser begründet sind die Einwände, die gegen Bitcoin als Währungsreserve von Zentralbanken sprechen. In der Tat weist das Asset eine hohe Volatilität auf, und die Liquidität ist relativ gering. Ob die damit verbundenen Verlustrisiken, wie von den beiden Autoren behauptet, die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken gefährden würden, ist hingegen fraglich.

Die Jahresergebnisse von Zentralbanken, die in traditionelle Anlageklassen investiert sind, weisen schon heute aufgrund der Marktpreisbewertung enorme Ausschläge nach oben und unten auf, wie etwa ein Blick auf die Abschlüsse der SNB in den letzten Jahren zeigt (ohne dass deren Reputation darunter sichtbar gelitten hätte).

Was denken heute «die meisten Ökonomen»?

Bindseil und Schaaf weisen ferner darauf hin, dass «die meisten Ökonomen davon überzeugt sind, dass es sich beim Bitcoin um eine Spekulationsblase handle, die irgendwann platzen wird». Bitcoin generiere anders als gängige Finanzanlagen keine laufenden Erträge und stifte keinen gesellschaftlichen Nutzen; «im Gegenteil werden Ressourcen in unproduktive Aktivitäten und Umverteilung geleitet».

Ob heute noch «die meisten Ökonomen» unterschreiben würden, dass Bitcoin reine Spekulation darstellt, ist zumindest zweifelhaft. Zu einer soliden ökonomischen Bildung gehört nämlich auch die Einsicht, dass sich der Nutzen nicht unbedingt objektiv definieren und einfach messen lässt. Was nützlich ist und damit einen Wert hat, entscheiden letztlich die Marktteilnehmer, die dafür auch eigenes Geld einsetzen – und nicht ein von einer Zentralbank entlöhntes Duo.

Selbst ein ewig steigender Bitcoinpreis wäre ein Desaster

Selbstverständlich kann es an einem Markt zu Fehlbewertungen und spekulativen Blasen kommen. Allerdings wurde der Bitcoin in seiner Geschichte schon oft totgesagt – doch langfristig zeigt der Preisverlauf eindeutig stark nach oben.

Der Einsicht, dass sich der Bitcoin bislang gegenüber ökonomisch (mehr oder weniger) fundierten Argumenten als weitgehend resilient erwiesen hat, können sich auch Bindseil und Schaaf nicht ganz verschliessen. «Selbst in dem ökonomisch unplausiblen Szenario eines ewig steigenden Bitcoinpreises drohen erhebliche soziale Schäden» mutmassen sie daher mit Verweis auf eine im vergangenen Jahr publizierte eigene Studie.

Volkswirtschaft als Nullsummenspiel

Wohlstandseffekte durch Bitcoin seien ein Nullsummenspiel, d.h., Gewinne von früh investierten Anlegern gingen auf Kosten der Nachzügler, was die «Gesellschaft destabilisieren» könnte. Hier bewegen sich Bindseil und Schaaf, irregeführt von ihrem subjektiven, vernichtenden Urteil über den Nutzen von Bitcoin, auf ziemlich glitschigem Terrain – die Zeiten, in denen das Gros der Ökonomen die Wirtschaft als Spiel betrachtete, in dem der eine gewinnt, was der andere verliert, liegen glücklicherweise schon einige Jahrhunderte zurück.

«Wenn der Staat als Käufer im grossen Stil auftritt, pumpt er die Spekulationsblase weiter auf und vergrössert den finanziellen und gesellschaftlichen Schaden, der irgendwann unweigerlich eintritt», mahnen die beiden Verfasser.

Anmassung von Wissen

Ein Schelm, wer bei solchen Sätzen an die noch nicht so lange zurückliegenden umfangreichen Käufe von Staatsanleihen denkt, mit denen die EZB das allgemeine Zinsniveau über Jahre massiv nach unten drückte und massgeblich zur Rückkehr der zweifelsohne massiv umverteilenden Inflation beitrug?

Dennoch: In Zeiten, in denen dem Bitcoin die Türen im Weissen Haus, bei immer mehr Banken und institutionellen Anlegern weit offenstehen, sind die kritischen Beiträge von Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf willkommen. Sie regen dazu ein, die eigenen Positionen zu überprüfen und zu schärfen – und nicht, wie die beiden Autoren, den Kardinalfehler zu begehen, heute schon mit Sicherheit wissen zu wollen, was morgen der Volkswirtschaft dienlich und nützlich sein wird und was nicht.