Die Nachhaltigkeitsberichte von Banken und Versicherungen verheissen mehr Diversität in Bezug auf die Belegschaft. Die wahre Herausforderung besteht jedoch darin, die Vielfalt so zu praktizieren, dass sie tatsächlich zur Bereicherung beiträgt, schreibt finews.ch-Redaktor Peter Kuster.

Es handelt sich um ein Schlagwort, das in den meisten Nachhaltigkeitsberichten auftaucht, die Schweizer Publikumsgesellschaften für das Geschäftsjahr 2023 erstmals an der Generalversammlung zur Abstimmung vorlegen mussten.

Dahinter steckt aber auch ein Konzept, an dem sich die Geister scheiden: Dass sich nämlich mehr davon zwangsläufig positiv im Geschäftserfolg und damit auch in der Performance der Aktien eines Unternehmens, einer Bank oder einer Versicherung niederschlägt. Die Rede ist von der Diversity oder auf Deutsch eben der Diversität.

Schillernder Begriff

Schon der Begriff selber ist schillernd. Diversität wird heute meist einfach mit Vielfalt gleichgesetzt. Diese wird immer positiv assoziiert, auch weil das Pendant Einfalt ausschliesslich negativ besetzt ist.

Ein Beispiel dafür ist ein anderes Zauberwort, das ebenfalls oft in den Nachhaltigkeitsberichten aufscheint, wenn auch in der Rubrik Umwelt/Ökologie: Biodiversität, also die Vielfalt der Tiere, Pflanzen und ihrer Lebensräume, ein Anliegen, gegen das sich kaum etwas einwenden lässt.

Ein Schlagwort mit Konfliktpotenzial

Doch der Begriff Diversität an sich ist nicht ganz so harmlos und eindeutig: Er weist auch auf Unterschiede und sogar auf Entgegengesetztes hin; nicht umsonst wurden in der DDR unseligen Gedenkens Spione als «Diversanten» bezeichnet, was überhaupt nicht schmeichelhaft gedacht war.

Der Schweizer Gesetzgeber, der die Pflicht zur Ablage von Nachhaltigkeitsberichten ins Obligationenrecht eingepflanzt hat (Art. 964a bis c OR), vermeidet es jedenfalls, das Wort zu gebrauchen. Er verwendet dort sogar nicht einmal den Begriff Nachhaltigkeit, sondern spricht trocken von einem «Bericht über nichtfinanzielle Belange».

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(Bild: Shutterstock)

Darin muss ein Unternehmen «Rechenschaft über Umweltbelange, insbesondere die CO2-Ziele, über Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung der Korruption» geben.

Nüchterner Gesetzgeber, geschwätzige Nachhaltigkeitsberichte

Kein Wort von Diversität also und auch kein Hinweis darauf, was darunter eigentlich genau zu verstehen ist. Hier helfen die Nachhaltigkeitsberichte, insbesondere diejenigen von Banken und Versicherungen (die schon seit Jahren freiwillig solche Berichte publizieren) weiter.

Beim Thema Diversität geht es um die Zusammensetzung der Belegschaft und die unterschiedlichen Lebenserfahrungen, welche die (wie es heute politisch korrekt, aber grammatikalisch grenzwertig heisst) Mitarbeitenden einbringen – und damit zumindest auch implizit um die Meinungsvielfalt.

In diesen Berichten wimmelt es von Diversität oder Diversity, meist flankiert von Equity (Gleichstellung) und Inclusion (Einbezug) – das klingt schon ein bisschen sexier (ein Wort, das man heute eigentlich nicht mehr verwenden dürfte) als der Jargon des Gesetzgebers, der diese Themen unter «Arbeiternehmerbelange» einordnet.

Mit Akribie hin zu einer bunten Welt

Es wird also beispielsweise akribisch gemessen, wie sich der Frauenanteil (insbesondere im höheren Management) über die Jahre entwickelt, wie viele Männer Teilzeit arbeiten, wie viele Nationalitäten für die Firma tätig sind, wie die Altersklassen vertreten sind.

Dabei gilt der Grundsatz «je vielfältiger und bunter desto besser», was in den Regenbogenfahnen der LGBT-Bewegung, die im Pride-Monat Juni auch die Hauptsitze vieler Schweizer Unternehmen, Banken und Versicherungen schmücken, besonders augenfällig zum Ausdruck kommt.

Aus Sicht des Aktionärs oder auch eines Kunden einer Bank können das durchaus interessante und relevante Informationen sein. Viele institutionelle Anleger investieren nur noch in eine Publikumsgesellschaft, wenn die externen Spezialisten ihre Häkchen unter die ESG-Kriterien setzen, das heisst genügend ökologische, soziale oder unternehmensorganisatorische Zielgrössen erfüllt werden.

Gefährliche Fallhöhe der Diversitätsstrategien

Zugegeben, bis zu einem bestimmten Grad gehören ein bisschen Klappern und wohlklingende Worthülsen zum Handwerk der Investor Relations und des Marketings.

Dennoch sollten sich die Verfasser der Nachhaltigkeitsberichte stets auch der Fallhöhe bewusst sein, die zwischen Anspruch und Wirklichkeit bestehen kann, etwa dann, wenn Mitarbeiter die Unternehmenskultur ganz anders erleben, als es die Diversitätsstrategie verspricht.

Der Stresstest mit der Realität zeigt zudem auf, dass auch die These, wonach mehr Diversität namentlich in den Leitungsgremien die Leistung und damit auch den Wert einer Publikumsgesellschaft verbessert, auf eher wackeligen Füssen steht.

Die besten Argumente der beiden Lager

Jüngst befeuerte ein Artikel im «Wall Street Journal», der die wissenschaftlichen Grundlagen dieser These in Frage stellte, die Kontroverse weiter. Leider haben sich die Fronten in den letzten Jahren verhärtet, weil sie zunehmend vom Furor des neuen Kulturkampfs (Stichwort Wokeism) überlagert worden ist, was nicht unbedingt zu einer produktiven und gesitteten Austragung des Meinungsstreits beitrug.

Auf der einen Seite stehen diejenigen, die davon überzeugt sind, dass sich die gesellschaftliche Vielfalt in den Unternehmen spiegeln muss, u.a. damit diese in der Lage sind, die Entwicklungen und Trends in ihren Absatzmärkten zu verstehen und rechtzeitig zu agieren.

Für dieses Lager besteht zwischen Diversität und Performance eine positive Beziehung. Abgesehen vom monetären Argument sei Diversität auch aus Gründen der Reputation wichtig – und belege, dass alle, ungeachtet ihrer Herkunft und ihrer Ausprägung, über gute Aufstiegschancen verfügten und wir nicht als Kastengesellschaft funktionierten.

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(Bild: Shutterstock)

In die Sackgasse?

Auf der Gegenseite stehen diejenigen, die mit dem Argument operieren, dass die im Wettbewerb stehenden Unternehmen Diversität im Eigeninteresse ohne grosses Tamtam fördern würden, wäre diese tatsächlich ein substanzieller Performancetreiber. Meinungsvielfalt habe nichts mit äusseren Merkmalen wie Hautfarbe, Geschlecht oder Alter der Mitarbeiter zu tun.

Zudem sei mehr Vielfalt nicht immer besser; ein bestimmtes Mass an Homogenität sei mitunter sogar nötig, damit ein Unternehmen überhaupt funktionieren könne. Und das Denken in Diversity-Kategorien führe am Schluss in die Sackgasse einer modernen Stammesgesellschaft.

Weder Kasten noch Stämme

Beide Seiten haben zumindest teilweise überzeugende Argumente. So wäre in der Tat weder eine Kasten- noch eine Stammesgesellschaft schweizerisch. Und eine gewisse Homogenität kann unter Umständen für die Performance tatsächlich günstig sein – etwa wenn man an die (zugegebenermassen auch dank des gestrengen Bankkundengeheimnisses) gloriosen Zeiten des Privat Banking zurückdenkt, als beispielsweise arabische wie jüdische Kunden ihre Gelder zu Schweizer Banken trugen.

Sie wurden dort von diskreten Herren mittleren Alters empfangen, die alle ähnlich sozialisiert worden waren, sich aber von ihren Kunden in vielerlei Hinsicht deutlich unterschieden – und vielleicht gerade deswegen als besonders vertrauenswürdig galten.

Das gar nicht diverse alte «Swiss Banking»

Dass der Finanzplatz so erfolgreich war (und teilweise immer noch ist), lag also nicht an der Diversität der Bankiers. Entscheidend waren – neben dem Ruf der Stabilitätsinsel Schweiz und der Vertrauenswürdigkeit – die Fähigkeit, sich in die Kunden hineinzuversetzen, Empathie zu zeigen und individuell passende Lösungen zu bieten. Traditionelle Tugenden, die aber weiterhin gepflegt und geschärft werden müssen, wenn der Schweizer Finanzplatz auch künftig erfolgreich sein soll.

Zurück zur Kontroverse. In der Corporate World und speziell im Finanzsektor dominiert heute auch hierzulande klar das erste Lager. Die vernünftige Strategie für Verantwortungsträger, die damit nicht übereinstimmen, lautet meistens: Schweigen. Allerdings sind die zweifelnden Stimmen etwas lauter geworden, und die internationalen Entwicklungen, zum Beispiel der Ausgang der US-Wahlen, könnten die Kritiker beflügeln.

Realität wird für Entspannung sorgen

Womöglich entkrampft sich die Debatte aber mit der Zeit auf ganz natürliche Weise, weil doch allmählich auf beiden Seiten mehr Realitätssinn Einzug halten wird.

Wer sich zum Beispiel mit offenen Augen in den Primarschulen in der Stadt und in der Agglomeration umsieht oder Diplomfeiern von weiterführenden Schulen unterhalb der universitären Stufe besucht, weiss, dass sich die ethnische Zusammensetzung der arbeitsfähigen Bevölkerung in der Schweiz in den kommenden Dekaden in einem Tempo verändern wird, dass die hohe Kadenz der letzten 30 Jahre noch übertreffen wird.

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(Bild: Shutterstock)

Wertvolle Integrationsleistung

Mit anderen Worten: Diversität ist ein Fakt und damit keine taugliche Zielsetzung unternehmerischen Handelns. Die grosse Herausforderung für die Leitungsorgane und die verschiedenen Führungsebenen von Banken, Versicherungen und Unternehmen besteht deshalb nicht darin, Diversität zu forcieren.

Vielmehr sind die Kräfte darauf zu konzentrieren, die zwangsläufig zunehmende Diversität der Belegschaft so zu managen, dass die Unternehmenskultur und die Corporate Identity bewahrt bleiben. Damit erbringt die Wirtschaft nebenbei auch eine wertvolle gesellschaftliche Integrationsleistung.

Nebenschauplatz LBGT-Thematik

Nützliche Orientierungspunkte bilden dabei – gerade auch im Interesse einer tatsächlich gelebten, für das längerfristige Gedeihen eines Unternehmens unabdingbaren internen Meinungsvielfalt – die erwähnten traditionellen Tugenden des Swiss Banking, das in Bezug auf jede Äusserlichkeit farbenblinde altbewährte Leistungsprinzip und die wohltuende Nüchternheit des Gesetzgebers im OR.

Wenig zielführend sind dagegen Quoten, hochtrabende Diversitätsstrategien, alles über einen Kamm scherende internationale Standards und die Fixierung auf kulturkampfträchtige Nebenschauplätze wie die LBGT-Thematik.

Nur wenn es dem Schweizer Finanzsektor gelingt, die Herausforderungen, die mit der schon vorhandenen und noch wachsenden Diversität der Bevölkerung verbunden sind, zu meistern, kann die Vielfalt auch tatsächlich zur nachhaltigen Bereicherung werden.