Vor einem Jahr verstarb der US-Nobelpreisträger Harry M. Markowitz, der Vater der modernen Portfoliotheorie. Pascal Bersier ehrt in seinem Nachruf auf finews.ch dessen Leistungen und reflektiert die noch immer ungenutzten Potenziale seiner Theorien in der Finanzwelt.

Mit seinem bahnbrechenden Werk «Portfolio Selection» legte der amerikanische Ökonom Harry M. Markowitz den Grundstein für ein neues Verständnis von Risiko und Rendite, das bis heute die Grundprinzipien der Anlageberatung und Vermögensverwaltung prägt.

Markowitz wurde am 24. August 1927 in Chicago, Illinois, geboren. Schon früh zeigte sich sein aussergewöhnliches mathematisches Talent, das ihn an die Universität von Chicago führte, wo er unter der Anleitung von Jacob Marschak seine berühmte Dissertation verfasste, die 1952 unter dem Titel «Portfolio Selection» veröffentlicht wurde. Markowitz’ Arbeit revolutionierte die Art und Weise, wie Investoren Risiko und Rendite betrachteten und führte zu einem Paradigmenwechsel in der Finanzwirtschaft. Er verstarb am 22. Juni 2023.

Revolutionäre Erkenntnis

Kernstück der modernen Portfoliotheorie ist das Konzept der Diversifikation. Markowitz zeigte, dass ein optimales Portfolio nicht nur auf die Einzelrenditen der enthaltenen Anlagen, sondern auch auf deren wechselseitige Abhängigkeiten, sprich Korrelationen, fokussieren sollte. Durch die Kombination von Vermögenswerten mit unterschiedlichen Korrelationen kann das Gesamtrisiko eines Portfolios reduziert werden, ohne die erwartete Rendite zu schmälern.

Diese Erkenntnis war revolutionär, denn sie lieferte eine mathematische Grundlage für die Diversifikation und widersprach der bis dahin gängigen Praxis, primär auf Einzeltitel zu setzen.

Praktische Implikationen

Markowitz führte den Begriff des effizienten Portfolios ein – die optimierte Zusammenstellung von Anlagen, die das höchste Rendite-Risiko-Verhältnis bietet. Diese effizienten Portfolios bilden die sogenannte «Efficient Frontier», eine Kurve, die das optimale Verhältnis zwischen Risiko und erwarteter Rendite darstellt. Investoren können basierend auf ihrer individuellen Risikobereitschaft ein Portfolio entlang dieser Kurve wählen, um ihre Rendite zu maximieren.

Markowitz' Theorie war nicht nur theoretisch bahnbrechend, sondern hatte auch praktische Implikationen, die weit über die akademische Welt hinausgingen. Seine Arbeit bildete die Grundlage für die Entwicklung zahlreicher Finanzinstrumente und -strategien, die heute in der Anlageberatung und Vermögensverwaltung angewendet werden. Seine Erkenntnisse führten sogar über die Finanzbranche hinaus zu Anwendungen, welche auf seinem Gedankengut aufbauen.

Erhebliche Diskrepanzen

So entstand vor Jahren die Disziplin des «Human Capital Portfolio Management», in welcher grosse Unternehmen ihre wichtigste Ressource, das Humankapital, zu optimaler Leistung kombiniert. Sogar im Immobiliengewerbe werden zunehmend auf dem Gedankengut von Markowitz aufbauende Ansätze eingesetzt, um Immobilien Portfolios effizienter zu machen. Dennoch gibt es erhebliche Diskrepanzen zwischen der Theorie und ihrer Umsetzung in der Praxis.

Trotz der klaren Vorteile der Diversifikation und der effizienten Portfolios, die Markowitz aufzeigte, wird seine Theorie von vielen Banken und Vermögensverwaltern nur unzureichend umgesetzt. Oft dominieren der Fokus auf Einzelpositionen und kurzfristige Renditeziele die Praxis, umfassendes Risikomanagement wird vernachlässigt und die Korrelationen zwischen Anlageklassen werden nur ungenügend berücksichtigt. Dies führt nicht nur zu ineffizienten Portfolios, sondern auch zu unnötig hohen Risiken für die Anlegerinnen und Anleger.

Weitreichende Folgen

Ein wesentlicher Grund für diese Lücke zwischen Theorie und Praxis liegt an der weitverbreiteten Meinung, dass durch die Selektion von Einzeltitel, also mit dem klassischen Bottom-Up-Ansatz, eine Überrendite gegenüber dem Markt erzielt werden kann. Dies gelingt über eine mittlere Zeitperiode bewiesenermassen lediglich sehr selten. Zudem neigen viele Finanzinstitute dazu, bewährte Praktiken und Produkte zu bevorzugen, anstatt neue, wissenschaftlich fundierte Ansätze zu integrieren.

Die Folgen dieser Nachlässigkeit sind weitreichend. Unzureichend diversifizierte Portfolios sind anfälliger für Marktschwankungen und Krisen, was zu erheblichen Verlusten für AnlegerInnen führen kann. Die Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte haben eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig ein solides Risikomanagement ist und unterstreichen die Relevanz der Arbeiten von Markowitz. Eine konsequentere Anwendung der modernen Portfoliotheorie könnte dazu beitragen, solche Krisen abzumildern und die Stabilität der Finanzmärkte zu erhöhen.

Grundlage für eine stabile und nachhaltige Finanzwelt

Markowitz hinterlässt ein immenses wissenschaftliches Erbe, dessen Bedeutung für die Finanzwelt nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Seine Erkenntnisse zur Diversifikation und zur effizienten Portfoliozusammenstellung haben die Grundlage für die moderne Investmentstrategie geschaffen. Es liegt nun an der Finanzindustrie, dieses Erbe vollständig zu würdigen und seine Prinzipien konsequent in die Praxis umzusetzen.

Dass die Finanzbranche diese längst bekannten und bewährten Prinzipien nicht vollständig oder gar nur ansatzweise in der Konstruktion von Anlageportfolios einsetzt, ist besonders in der heutigen Zeit sehr fraglich. Nicht nur dass die Häufigkeit von Krisen stetig steigt und damit die Portfoliokonstruktion per se an Wichtigkeit zunimmt, sondern auch dass mit der enorm gestiegenen Auswahl an Anlageprodukten wie ETF’s, Indexfonds und Zertifikaten die Umsetzung immer einfacher wird.

Die Arbeiten von Markowitz erinnern uns laufend daran, dass fundierte wissenschaftliche Theorien und deren konsequente Anwendung in der Praxis die Grundlage für eine stabile und nachhaltige Finanzwelt bilden können. Wir sind ihm zu grossem Dank verpflichtet und werden sein Vermächtnis in Ehren halten.


Pascal R. Bersier 517

Pascal R. Bersier ist Finanzexperte und Dozent. Er unterrichtet an verschiedenen Schulen die Lehre von Harry M. Markowitz. Im Jahr 2015 gründete er die Finanzboutique Brevalia. Das Team setzt seit der Gründung die moderne Portfoliotheorie in der Vermögensverwaltung konsequent ein, um eine adäquate und risikoreduzierte Rendite für die Kunden zu erzielen.