Er werde nie im Leben mehr ins Banking zurückkehren, sagt der frühere CEO der Zürcher Kantonalbank zu finews.ch. Nach seinem Abschied vor gut einem Jahr hat Martin Scholl den Schalter komplett umgelegt und ist nun begeisterter Startup-Investor. Fintechs, sagt der Ex-Banker, würde er aber niemals Geld geben.
Herr Scholl, wir haben uns zuletzt an Ihrem Abschiedsanlass mit Medienvertretern gesehen. Als nächstes wollten Sie mit Ihrer Frau nach New York fliegen und damit eine Reise nachholen, für die Sie während den 16 Jahren als CEO der Zürcher Kantonalbank ZKB nie Zeit gefunden hatten. Wie ist es Ihnen ergangen?
Wir wohnten sechs Wochen in Manhattan. Es war eine Art Heimkehr: Meine Frau und ich hatten einst dort gelebt und gearbeitet – sie für eine Finanzboutique, ich für den damaligen Bankverein. Vergangenen September sind wir nun dorthin zurückgekehrt, wo wir vor 34 Jahren gestartet sind. Insofern passte das gut als Ausgangspunkt für diesen neuen Lebensabschnitt.
Aber als Ruheständler konnten Sie es wesentlich gemütlicher nehmen?
Wir haben 400 Kilometer zu Fuss zurückgelegt! Manhattan muss man als Fussgänger erleben. Wir besuchten alle die Orte, die wir von früher her kannten, und haben neue dazu entdeckt. New York hat sich schon stark zum Besseren gewandelt.
«Ich habe wirklich keine Lust mehr, über Vergütungsreports zu streiten»
Als ich Ende der 1980er-Jahre dort war, war dies eine gefährliche Stadt, in der man sich mit offenen Augen bewegen musste.
Kaum waren Sie zurück, so hatte man als Beobachter das Gefühl, haben Sie sich das Leben nach dem Banking mit diversen Mandaten in Verwaltungsräten eingerichtet. War das von langer Hand vorbereitet?
Ich bin wegen meines herannahenden Austritts bei der ZKB nicht in Panik geraten. Ich habe mir stattdessen ganz genau überlegt, was ich beruflich noch machen möchte: Nichts, womit ich in der Öffentlichkeit stehe, keine Rückkehr zu einem börsenkotierten Unternehmen.
Hatten Sie denn Angebote?
Diese gab es. Aber ich habe wirklich keine Lust mehr, über Auditberichten zu brüten, über Vergütungsreports zu streiten und an ewig langen Sitzungen teilzunehmen, bei denen es nur abschnittweise um unternehmerische Themen geht.
Sie schildern das CEO-Leben ja in finsteren Farben.
Nein, das war schon in Ordnung so; es war sogar hervorragend! Das ist die Corporate World. Ich habe in diesem Umfeld immer gerne gearbeitet und mich an keinem Tag je gefragt: was mache ich eigentlich hier? Aber ebensogut konnte ich nach meinem Austritt bei der ZKB den Schalter umlegen.
Das heisst?
Ich will mit inspirierenden Leuten und in einem unternehmerischen Umfeld aktiv sein. Das Team von Verve Ventures kenne ich schon lange, mein Mandat dort begann sich aber erst im vergangenen Herbst abzuzeichnen.
«Sie haben eine Vision, eine Mission, beschränkte Mittel und keine Zeit für ‹Bullshit›»
Das gleiche gilt für Belvédère Asset Management – und eigentlich auch für die Betreiberin des Innovationspark Zürich, IPZ Property, obwohl dort schon zuvor Gespräche stattfanden.
Und was ist mit einer Rückkehr ins Banking?
Nie im Leben.
Ist denn das Metier so wenig inspirierend?
Banking steht im Mittelpunkt des Wirtschaftskreislaufes und ist auf jeden Fall inspirierend. Dieses Kapitel ist aber abgeschlossen. Jetzt hat eine andere Zeit begonnen: Wenn man sich wie etwa Verve in der Welt der Startups bewegt, ist dies in verschiedenen Dimensionen bereichernd. Ich habe in der Startup-Welt noch nie Leute getroffen, die ich uninteressant fand. Sie haben eine Vision, eine Mission, beschränkte Mittel und damit keine Zeit für ‹Bullshit›.
Sondern?
Sie konzentrieren sich darauf, mit ihren Technologien einen Beitrag zu leisten, um die Herausforderungen der heutigen Zeit zu lösen. Sei dies in den Bereichen Energie und Ressourcen, Bio- und Medtech, Industrial Automation oder Future of Computing. Selbstverständlich wollen sie damit Geld verdienen, was ich ja auch will.
Glauben Sie, dass Technologie alle unsere Probleme löst?
Natürlich müssen Menschen die technologischen Entwicklungen nicht nur akzeptieren, sondern auch adaptieren. Die letzten zwei Dekaden haben gezeigt, wie gut Menschen dies können. Der Kern praktisch jeder grossen Firma ist die Technologie. Gerade im Bereich Energie können wir nicht auf Verhaltensänderungen der Menschheit setzen; das wird weder reichen noch klappen.
Als Startup-Investor haben Sie auch ein finanzielles Interesse, dass wir Ja zur Technologie sagen, oder?
Wie dargelegt, ist Technologie alternativlos, wenn wir uns weiterentwickeln wollen. Ich kenne nicht viele Menschen, die sich die alten Swisscom-Telefonkabinen zurückwünschen und dafür ihr liebstes Gadget zurückzugeben bereit wären. Für mich persönlich ist es auch das Ziel, mit den Zukunftsthemen Schritt zu halten und sich mit drängenden Themen auseinanderzusetzen – dies in der Hoffnung, im Kopf fit zu bleiben. Aber natürlich geht es auch darum, weiter Geld zu verdienen.
«Das ist nicht etwa der Tod des Startup-Gedankens»
Über die Plattform von Verve, wo ich selber als Aktionär beteiligt bin, tätige ich viele Startup-Investitionen. Bei Verve geschieht dies innerhalb eines genau festgelegten Prozesses. Das ist in der Regel besser, als auf die Geheimtipps von Kollegen zu vertrauen.
A propos Kollegen: An Verve Ventures ist die ZKB beteiligt, und beim Fintech Finfinder.ch, wo sie als Berater wirken, sind Ehemalige der ZKB-Gründungsmitglieder. Da taucht rasch der Vorwurf der Seilschaften auf.
Niemand im gesamten Verve-Team hat einen ZKB-Hintergrund. Das gilt auch für die IPZ Property und Belvédère Asset Management. Ich kenne so viele Leute, dass da wohl immer eine Verbindung gefunden würde. Die ZKB hält tatsächlich eine Minderheitsbeteiligung an Verve. Allerdings sitze ich nicht als Vertreter der Bank im Verwaltungsrat; die Manager von Verve sind Persönlichkeiten genug, dass sie sich frei für oder gegen den Scholl entscheiden konnten.
Sie kennen viele Leute: da kommen die Anfragen und Angebote bestimmt noch und nöcher. Nehme Sie noch weitere Aufgaben an?
Nein, jetzt ist es einmal gut.
Angesichts der Zinswende und der wirtschaftlichen Unsicherheiten ist einige Luft aus dem Startup-Hype entwichen. Im Finanzbereich bekunden etwa Fintechs zunehmend Mühe, an frisches Kapital zu gelangen, ein erfolgreicher Namen wie der Hypothekenvermittler Moneypark wird vom Versicherer Helvetia integriert. Wie bewerten Sie das als Profi-Investor?
Bei Startups im Allgemeinen ist es so, dass die Geldgeber selektiver geworden sind. Das Timing von Jungfirmen, die dieses oder nächstes Jahr frisches Kapital aufnehmen müssen, ist vor diesem Hintergrund nicht ideal. Die Verhandlungsmacht hat sich mehr zu den Investoren verschoben. Es kann nun auch vorkommen, dass Firmen bei einer neuen Finanzierungsrunde tiefer bewertet werden als zuvor. Aber wer Geld erhält, kann sein Unternehmen zumindest weiterentwickeln. Dies, während weniger fitte Startups aus dem Rennen fallen werden. Aber das ist nur eine Marktphase und nicht etwa der Tod des Startup-Gedankens.
Und was geschieht spezifisch mit Fintechs?
Ich investiere nie in Fintechs. Ich glaube nicht an deren Versprechen. Zwischendurch gibt es vielleicht einen Ausnahmeerfolg wie das deutsch-schweizerische Insurtech Wefox. Aber die Chance, dass ich als Privatinvestor hier frühzeitig mit dabei bin, ist sehr gering. Schon zu meinen Zeiten bei der ZKB war ich gegenüber Finanz-Startups skeptisch.
«Nie. Da können sie jedes Sitzungsprotokoll lesen»
Denn mit einem Innovations-Budget vom mehr als 300 Millionen Franken konnten wir jede Innovation, die da draussen entstand, nach Bedarf replizieren. Ich befürchtete deshalb nie, dass die Banken mit ihrer Geschichte, ihrer Finanzkraft und ihrer Vertrauensbasis ernsthaft durch Fintechs gefährdet sein könnten.
Jetzt haben wir den Vorteil, auf die Geschichte zurückzublicken. Aber hatten Sie im Jahr 2015, als der Fintech-Boom abhob, wirklich nie Angst, dass es der ZKB wie Kodak ergehen könnte?
Nie. Da können sie jedes Sitzungsprotokoll lesen mit all den Leuten, die schier verzweifelt sind und den Scholl für einen Ewiggestrigen hielten. Im Jahr 2023 zeigt sich nun, dass sich die Disruptions-Ambitionen in Luft aufgelöst haben. Fintechs sind zwar noch da und haben ihre Berechtigung. Ganze Aspekte des Bankwesens haben sie aber bisher nie übernommen. Dies insbesondere auch deshalb, weil die Banken in Bezug auf Digitalisierung die richtigen Antworten gefunden haben.
Wenn schon nicht Fintechs – was sind denn Ihre heissen Tipps als Startup-Investor?
Der Bereich Energie und Ressourcen ist derzeit viel versprechend, etwa mit dem Genfer Startup Transmutex, dass eine neue Form von Kernreaktor entwickelt und dabei Uranabfälle wiederverwendet. Erste Anlagen im Ausland sind dort im Gespräch. Und wenn sie kommt, wäre das wohl ein Mondschuss. Turn2X, eine Jungfirma aus Deutschland, wiederum verwandelt Strom aus erneuerbaren Energien in Flüssiggas und macht diesen so besser transportierbar. Auch im Medizinalbereich gibt es viele interessante neue Geschäftsmodelle. Generell gilt aber: Vorsicht mit heissen Tipps. Im Startup-Bereich geht es meines Erachtens darum, systematisch ein breit diversifiziertes Portfolio aufzubauen. Ansonsten handelt es sich um reine Spekulation.
Nicht gerade ein Mondschuss, aber immerhin ein so noch nie dagewesenes Unterfangen ist die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS. Welche Gedanken haben Sie sich dazu aus der Ferne gemacht?
Als ich Ende der 1970er-Jahre meine Karriere im Banking begann, gab es fünf Grossbanken – jetzt gib es nur eine. Hingegen sind von 26 Kantonalbanken seither noch 24 übrig, und auch die meisten Regionalbanken sind noch da.
«Die beste Versicherung gegen Bankenkrisen bleiben gut geführte Banken»
Insofern scheinen wir hierzulande schon ein Problem mit dem Geschäftsmodell Grossbanken zu haben, auch wenn die Institute aus verschiedenen Gründen verschwunden sind. Der Bankenplatz ist meiner Meinung nach deswegen stark, weil er höchst vielfältig und breit abgestützt ist. Diese Vielfalt leidet nun weiter, und das wird auch für den Wirtschaftsstandort ein Problem werden.
Doch mit dem Verschwinden der Credit Suisse avanciert ja die ZKB zur Nummer drei im Land. Firmen könnten sich vermehrt an die Staatsbank wenden.
Ich kann natürlich nicht mehr für die ZKB sprechen. Bis hin zu börsenkotierten, mittelgrossen Firmen mag das funktionieren. Doch oberhalb dieser Grenze vermögen die ZKB und auch die anderen Kantonalbanken die Lücke nicht vollständig zu füllen, welche die CS hinterlässt. Die Midcaps sind nun darauf angewiesen, dass Auslandsbanken gewisse Dienste neu anbieten und dies auch langfristig tun. Die Situation ist für sie gerade etwas unangenehm.
Als ehemaligem Staatsbanker wird Ihnen ins Auge gesprungen sein, dass den Schweizer Grossbanken neu eine staatlich garantierte Notfallliquidität zugesichert werden soll, der so genannte Public Liquidity Backstop. Was halten Sie davon?
Auffallend ist ja, dass jene Institute, die seit der Finanzkrise Hilfe vom Staat erhalten haben, nie dafür zahlten. Dies im Gegensatz zu den Kantonalbanken, welche ihre Staatsgarantie gegenüber den Kantonen abgelten. Insofern erscheint es mir zwingend, dass diese Leistung des Staats bezahlt würde. Die beste Versicherung gegen Bankenkrisen bleiben aber gut geführte Banken mit den richtigen Leuten und guter DNA.
Trifft das auf die UBS zu?
Ich denke schon, dass die UBS-Führung aus der Vergangenheit gelernt hat. Man stand einmal am Abgrund – und will dies nie wieder erleben. Es wird aber eine besondere Herausforderung sein, die Lehren aus dieser Erfahrung an kommende Generationen von Managern weiterzugeben.
Martin Scholl war über 40 Jahre lang für die Zürcher Kantonalbank (ZKB) tätig und wirkte von 2007 bis Ende August 2022 als deren CEO. Seither betätigt sich der 61-jährige Dübendorfer als Startup-Investor und hat diverse Mandate angenommen: Scholl sitzt in den Verwaltungsräten der Wagniskapital-Geberin Verve Ventures, des Vermögensverwalters Belvédère Asset Management sowie von IPZ Property, der Betreiberin des Innovationsparks Zürich. Zudem wirkt er als Berater des Fintechs Finfinder.ch.