Die Wählerinnen und Wähler des Kantons Genf werden am kommenden Abstimmungssonntag gleich über zwei Initiativen im Bereich Steuern ihr Votum abgeben. Während die Linke Solidarität von den Vermögenden einfordert, fürchtet die Rechte einen Reichen-Exodus und Löcher in der Staatskasse.
Die Initiative «Für einen befristeten Solidaritätsbeitrag auf grosse Vermögen» sieht eine Steuererhöhung von 0,25 Prozentpunkte auf steuerpflichtige Vermögen von über 3 Millionen Franken vor. Diese Sondersteuer soll auf zehn Jahre befristet sein.
Darüber hinaus stehen noch zwei unbefristete Massnahmen zur Abstimmung. So ist eine Verdreifachung der Sozialabzüge auf Vermögen geplant sowie eine Erhöhung des Maximalsteuersatzes um 1 Prozent.
Hohe Belastung im Quervergleich
Mit den zusätzlichen Einnahmen sollen die Sozialleistungen und der ökologische Übergang finanziert werden. Die mittleren und unteren Einkommensgruppen seien überdurchschnittlich belastet worden, führen die Befürworter der Initiativen ins Feld. Menschen mit hohen und sehr hohen Einkommen könnten dabei mit einem «kleinen Effort» einen Beitrag leisten.
Die Gegner der Initiative befürchten jedoch, dass eine Steuererhöhung wohlhabende Einwohner dazu veranlassen könnte, den Kanton oder auch gleich die Schweiz ganz zu verlassen.
Laut dem Thinktank Avenir Suisse ist die Genfer Vermögenssteuer von etwa 1 Prozent pro Jahr bereits jetzt eine der höchsten in der Schweiz. Der vorübergehende Solidaritätsbeitrag würde sie laut Genfer Regierung effektiv auf 1,5 Prozent anheben. Zum Vergleich: In der Stadt Zürich ist die Vermögenssteuer auf 0,7 Prozent begrenzt.
Keine Insel
Obwohl Genf mit seiner natürlichen Umgebung, seiner Wirtschaft und seiner Lebensqualität nach wie vor viele wohlhabende Einwohner aus dem Ausland und aus der Schweiz anzieht, werde seine Attraktivität durch die Welle der kantonalen Initiativen im Steuerbereich auf die Probe gestellt, erklärte Edouard Cuendet, Geschäftsführer von La Place Financière Genève, gegenüber finews.ch. Die Organisation vertritt die Finanzbranche im Kanton.
«Genf ist keine Insel. Die Verbreitung und Häufigkeit dieser Initiativen fördern ein Gefühl der Unsicherheit», fügte er hinzu.
Kleine bis mittelgrosse Unternehmen
Auch die Besitzerinnen und Besitzer kleiner und mittlerer Unternehmen, die im Kanton Genf registriert sind, könnten ebenfalls Teil des Exodus sein und der lokalen Wirtschaft langfristigen Schaden zufügen, argumentieren sie und warnen vor einem «Norwegen-Syndrom».
In Norwegen hatten Anhebungen der Steuern auf Aktienvermögen und Dividenden im vergangenen Jahr dazu geführt, dass viele sehr wohlhabende Personen das Land verlassen haben. Viele davon haben sich auch neu in der Schweiz angesiedelt.
Einige wenige grosse Steuerzahler
Ausserdem wird ein grosser Teil des Einkommens im Kanton Genf von einigen wenigen grossen Steuerzahlern erwirtschaftet. Nur 4,2 Prozent der Steuerzahler zahlen 48,4 Prozent der kantonalen Einkommenssteuer. Eine Abwanderung gerade unter der einkommens- und vermögensstärksten Bevölkerungsgruppe führe zu einer Lücke, die von den im Kanton verbleibenden Steuerzahlern gefüllt werden müsste, schreibt «La Tribune de Genève» (Artikel bezahlpflichtig) unter Berufung auf Aussagen aus einer Sitzung des lokalen Steuerausschusses.
Darüber hinaus wurde gegen die geplante Revision der Schätzungen von Wohneigentum das Referendum ergriffen. Das betrifft Wohnraum, der nicht vermietet wird, also selbstgenutzte Einfamilienhäuser, Villen oder Stockwerkeigentum. Da die letzte Schätzung einiger Immobilien aus dem Jahr 1964 stammt, liege der Steuerwert derzeit unter dem Verkehrswert, was nicht mit Bundesrecht vereinbar ist. Die Reform komme nur den Reichsten zugute, und würde einen Einnahmerückgang für den Kanton und die Gemeinden bedeuten.
Den Ast absägen, auf dem sie sitzen
Denis Pittet, geschäftsführender Teilhaber von Lombard Odier und Vorsitzender der Stiftung der Place Financière Genève, schreibt auf der Website der Organisation, dass der Genfer Staatshaushalt 2022 mit einem Rekordüberschuss von 727 Millionen Franken nicht nur zeige, dass die Stadt es nicht nötig habe, ihre Kassen zu füllen, sondern dass - wenn die Reichen weggingen - die Steuerlast dem Sozialmodell des Kantons erheblich schaden könnte.
Sie werden es bedauern, dass sie den Ast absägen, auf dem sie sitzen, könnte man zusammenfassend sagen.