In den vergangenen Monaten wurden Hunderte Fonds neu in ESG-Fonds umbenannt. Doch die Einstufung nach den neuen SFDR-Regeln könnte eine Flut an Überprüfungen nach sich ziehen.
Die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) der EU soll die Transparenz darüber erhöhen, wie Finanzinstitute Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen in ihre Investmententscheidungen und -empfehlungen integrieren. Seit deren Einführung im vergangenen Jahr sind in der EU rund 700 Fonds in die Klasse nach Artikel 8 eingestuft worden, wie die Nachrichtenagentur «Bloomberg» unter Berufung auf das Finanzdaten-Unternehmen Morningstar schreibt.
In diese Klasse eingestuft werden Fonds, die einige ökologische, soziale und Governance-Attribute aufweisen. Nach Schätzungen der Analysten von Morningstar machen diese Fonds inzwischen etwa die Hälfte des gesamten in der EU domizilierten Fondsvermögens aus, was rund 3,8 Billionen Dollar entsprechen würde.
Offene Tür für Nachfragen
Vermögensverwalter wollten Artikel-8-Fonds im Angebot haben, da es Druck von den Vertriebskanälen gebe, sagte Ciara O'Leary, Partnerin bei der Anwaltskanzlei Dechert, die auf die Beratung der Fondsbranche spezialisiert ist. Aber die Änderung der Klassifizierung eines Fonds, der bereits seit einem Jahr auf dem Markt ist, würde auch die Tür für Anfragen der Aufsichtsbehörden öffnen. Sie können nach den Gründen fragen, oder prüfen, ob dabei die Zustimmung der Anleger erforderlich ist.
Die SFDR verlangt von den Unternehmen, ihre Anlageprodukte in eine von drei Kategorien einzuordnen: Artikel 6, der nur potenzielle ESG-Risiken betrachtet; Artikel 8, der ESG-Eigenschaften fördern soll; und Artikel 9, der messbare ESG-Ziele festlegt. Die Branche hat sich dem weiteren Vernehmen nach schwergetan, sich an das ESG-Regelwerk anzupassen. Zudem sei das Regelwerk in den fast eineinhalb Jahren ihres Bestehens ständig angepasst worden.
Im zweiten Quartal 2022 sind weit über 600 Fonds von Vermögensverwaltern von Artikel 6 auf Artikel 8 hochgestuft; weitere 16 wurden von Artikel 9 auf Artikel 8 herabgestuft, so Morningstar. Zudem sind bei 23 Prozent der Artikel-8-Fonds, Aktien von Waffen- und Rüstungsgüterherstellern enthalten sowie Ölgesellschaften und Tabakunternehmen.
Bedrängte Kunden
Der Druck aus dem Vertrieb nehme zu, nicht nur Artikel-8 sondern auch Artikel-9-Fonds anbieten zu können. Im letzten Quartal hatten Artikel 8-Produkte Abflüsse in Höhe von etwa 30 Milliarden Dollar verzeichnet, während etwa 6 Milliarden Dollar in Artikel 9 flossen, so Morningstar.
«Wir haben Kunden, die dazu gedrängt wurden, Artikel 9-Fonds einzurichten», sagte Ken Rivlin, Partner und Leiter des Bereichs Umweltrecht bei Allen & Overy.
Dadurch steige aber auch das Risiko, bei einer Überprüfung eine Herabstufung zu riskieren. Die Datenbeschaffung sei problematisch und bei falschen Angaben drohen Klagen von Anlegern. Bei einer Herabstufung stelle sich zudem die Frage, ob damit eine Verletzung des Angebotsprospekts vorliege.
In diesem Monat wurde zudem die Abfrage der ESG-Präferenzen bei Kleinanlegern Pflicht.