Der 88-jährige Byron Wien zählt zu den schillerndsten Koryphäen an der Wall Street. Auf sein Können angesprochen, beruft er sich stets auf einen verstorbenen Schweizer Bankier, dem er bis heute grössten Respekt zollt.
Byron Wiens Wort hat in der Investorenwelt noch immer ein enormes Gewicht. Das hat nicht nur damit zu tun, dass der bald 90-jährige Amerikaner eine lebende Legende ist, sondern dass seine Einschätzungen stets auch blitzklar daherkommen. Das zeigte sich vergangene Woche erneut in einem Gespräch mit Investoren, das der Schweizer Vermögensverwalter Petiole Asset Management veranstaltet hatte, und dem finews.ch beiwohnen konnte.
Wien, der trotz seines hohen Alters noch immer als Vice Chairman im Sold der US-Investment-Firma Blackstone steht, ist vor allem bekannt für seine zehn Investmentüberraschungen, die er seit 1985 publiziert, und mit denen er, wie nur wenige andere Auguren, zumeist erstaunlich richtig liegt. Auch im laufenden Jahr hat er teilweise schon ins Schwarze getroffen, zumal er die Zinswende vorwegnahm, den weiteren Vormarsch der Modern Monetary Theory kommen sah und einen neu beginnenden Zyklus an den Finanzmärkten prophezeite.
Geheimnis bis zum Tod
Interessant im Zusammenhang mit seinen Prognosen war in der Vergangenheit immer, dass er sich dabei auf den «Smartest Man in Europe» berief; einem Finanzfachmann, mit dem er offenbar lange Gespräche führte, ohne aber je verraten zu haben, um wen es sich dabei handelte – bis dieser verstarb.
«The Smartest Man in Europe» war kein geringerer als Edgar de Picciotto (Bild oben), der im März 2016 verstarb. De Picciotto, dessen Wurzeln auf sephardische Juden im Libanon zurückreichen, war 1955 in die Schweiz eingewandert und hatte später die heutige Union Bancaire Privée (UBP) gegründet, die zu den grössten und solidesten Privatbanken der Schweiz zählt.
Die wichtigen Trends frühzeitig erkannt
Wien und de Picciotto lernten sich in den 1980er-Jahren an einer Konferenz der US-Bank Morgan Stanley kennen, für die der Amerikaner damals arbeitete. Daraus erwuchs eine Freundschaft, die Früchte trug. Denn offenbar verstand es der Schweizer Bankier, die ganz grossen Trends in der Finanzwelt regelmässig vorweg zu nehmen: den Aufstieg Japans in den 1980er-Jahren, den Wirtschaftsaufschwung in Deutschland und in der einstigen Sowjetunion nach dem Fall der Mauer, den Vormarsch der Hedgefonds, später die Rohstoff-Hause und die Dollar-Schwäche, den Aufstieg Chinas nach 2003 und das goldene Zeitalter Asien danach.
Im Jahr 2008 soll de Picciotto sehr nervös gewesen sein, erinnert sich Wien, zumal die UBP damals im Sog der Finanzkrise auch sehr viel Geld im Zusammenhang mit dem Finanzbetrüger Bernie Madoff verlor. Doch schon wenige Jahre später setzte der Genfer auf die Schwellenländer (BRIC) und erkannte das riesige Potenzial im Technologiesektor.
Wieder an einem Wendepunkt?
An einem solchen Wendepunkt könnten die Märkte jetzt erneut angelangt sein, wenn man Wiens jüngsten Ausführungen Glauben schenkt. Der Amerikaner glaubt, dass mit der fortschreitenden Digitalisierung das Investieren eher schwieriger wird.
Obwohl der Trend zur Skalierung zunehme, sei das persönliche Urteil mehr denn je gefragt. Alles sei viel komplexer als früher, so Wien. Die Digitalisierung werde auch für die Aufsichtsbehörden an den Finanzmärkten eine ganz grosse Herausforderung werden. Einen Eindruck dafür lieferten die kürzlichen Spekulationen der Kleinanleger in den Aktien des US-Händlers für Computerspiele, Gamestop.
Verwundbare Tech-Aktien
Mit einem eigentlichen Börsencrash rechnet Wien derzeit nicht, dafür würden die Notenbanken und Regierungen zu viel Geld in die Märkte pumpen. Dennoch mahnt er mit Blick auf die grossen US-Technologiefirmen zur Vorsicht. Diese seien mittlerweile stolz bewertet und darum verwundbar.
Gleiches gelte für die Tesla-Aktie, zumal Wien betont, dass sich E-Autos erst in etwa 15 Jahren auf breiter Front durchsetzen werden. «Das wird nicht so schnell gehen, wie Optimisten denken», sagte er und geht entsprechend davon aus, dass es noch eine ganze Weile benzinbetriebene Fahrzeuge geben wird.
Neuer Zyklus beginnt
Unter diesen Prämissen erwartet Wien einen weiteren Anstieg des Ölpreises sowie anderer Energie-Werte. Insgesamt stehe die Finanzwelt nun am Anfang einem neuen Zyklus', der Ende 2020 begonnen habe und mit den Aussichten auf höhere Zinsen unwiderruflich Gestalt annehme.
Wien favorisiert deswegen nun zyklische Aktien, Small Caps, also Werte kleinkapitalisierter Unternehmen, sowie High-Yield-Bonds in Schwellenländern. Viele Wachstumswerte würden in nächster Zukunft zwar noch weiterwachsen, aber gemächlicher, so der Starinvestor.
Fast Bitcoin gekauft
Natürlich durfte bei dem Gespräch auch Wiens Einschätzung zu Bitcoin nicht fehlen. Die Kryptowährung habe den Einzug in die Investmentwelt durchaus geschafft, stellt er fest. Selber habe er noch keine Bitcoin gekauft, obschon er schon mehrmals nahe daran gewesen sei. Doch die hohen Wertschwankungen hätten ihn davon abgehalten. Er sehe Bitcoin nicht als Währung, sondern als Wertanlage, die allerdings «sehr, sehr volatil» bleiben werde.