Vor ein paar Jahren waren Technologieexperten die gesuchtesten Kaderpersonen der Bankbranche. Heute haben sie die Pole-Position vermehrt an Nachhaltigkeitsspezialisten abgegeben. Und das aus nachvollziehbaren Gründen.
Vor fünf Jahren behauptete der Zürcher Executive Search Consultant Oliver Berger in seinem Gastbeitrag für finews.first, die nächste Generation an Chief Executive Officers (CEO) in der Finanzbranche werde ihre Erfahrung hauptsächlich als Chief Information Officer gewonnen haben. Er prognostizierte denn auch für 2020 den ersten Banken-CEO, der den Hauptteil seiner vorgängigen Karriere in der IT verbracht habe.
Vergangenen März revidierte Berger seine Prognose. Dies, weil die Chief Information Officers (CIO) dieser Welt es verpasst hätten, ihre Rolle breiter und mehr frontorientiert zu definieren und ins Group Executive Committee aufzusteigen.
Technik spielt die zweite Geige
Doch an dieser Entwicklung sind die Digitalisierer und Computer-Ingenieure nicht alleine schuld. Beobachtet man die Personalentwicklungen und die grossen Stellenwechsel der letzten Zeit, fällt auf, dass die Digitalisierung und die Technologie häufig nicht mehr die erste Geige spielt, wie es vor ein paar Jahren noch der Fall war.
Das neuste Argument für diese These ist eine Personalie aus dem weltweit drittgrössten Asset Manager State Street Global Advisors. Das Unternehmen hat eine neue Position geschaffen, die einzig an die oberste Spitze der Konzernleitung rapportiert.
Ist es ein Technologieposten, jemand, der die Firma in die digitale Zukunft führen soll? Nein, es ist ein Senior Investment Advisor, der die unternehmensweite Leitung von State Street im Bereich Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (Environmental, Social and Governance, ESG) übernimmt. Ronald O'Hanley, Chairman und CEO, erklärte den Schritt in einer Mitteilung am Freitag mit der Überzeugung, dass ESG-Aspekte für Anleger einen langfristigen Wertzuwachs bedeuten und als Rendite- und Risikotreiber nur noch an Bedeutung gewinnen würden.
ESG in der Geschäftsleitung
Zu dieser Überzeugung sind auch die beiden Schweizer Grossbanken gelangt. So hat die Credit Suisse beispielsweise im vergangenen September mit «Sustainability, Research & Investment Solutions» gar einen eigenen Konzernbereich geschaffen und Lydie Hudson (Bild unten) an dessen Spitze gesetzt.
Sie ist als Geschäftsleitungsmitglied für die Nachhaltigkeits-Strategie und deren Steuerung über alle vier Divisionen der Grossbank zuständig sowie für die Entwicklung von Produkten, Dienstleistungen und Lösungen bis zum Marketing. An sie berichten seit da der Chief Investment Officer der CS, Michael Stroebaek und Marisa Drew, die als Chief Sustainability Officer bisher ebenfalls nur CEO Thomas Gottstein unterstand.
Wachstumschancen in der Nachhaltigkeit
Die UBS hat sich für einen weniger radikalen Schritt entschieden, dafür eine bekanntere Persönlichkeit eingestellt. Seit September 2019 hat dort der britische Finanzexperte und Star-Analyst Huw van Steenis (Bild unten) den Bereich Investor Relations sowie das damals neu geschaffene Sustainable Finance Committee übernommen.
Van Steenis berichtet direkt an den CEO und den Finanzchef, also an Ralph Hamers und an Kirt Gardner.
Van Steenis' Aufgabe sei es, liess die UBS bei seinem Antritt verlauten, mit anderen führenden Managern, die bereits an Nachhaltigkeitsthemen arbeiteten, Wachstumschancen ausloten. Zudem solle er in diesem Bereich Innovationen vorantreiben und die Expertise der UBS ausbauen.
«Megatrend Nachhaltigkeit birgt wirtschaftliche Chancen»
Zudem berichtete die britische «Financial News» (Artikel bezahlpflichtig) dieser Tage, dass heuer Banken wie Citi, Deutsche Bank, Goldman Sachs, HSBC und J.P. Morgan allesamt Teams gebildet haben, die sich auf ESG und Nachhaltigkeit konzentrieren. Es seien zwar bei den meisten bisher noch kleine Einheiten mit spezialisierter Fachkompetenz. Sie würden aber Strategien von enormer Flughöhe entwickeln, die teilweise sogar länder- und sektorübergreifende Teams umfassten.
Bei Citi habe man erkannt, dass der Megatrend Nachhaltigkeit erhebliche wirtschaftliche Chancen mit sich bringe, wird zum Beispiel Keith Tuffley zitiert, globaler Co-Leiter der im Mai gegründeten Abteilung Sustainability & Corporate Transitions im Bereich Banking, Capital Markets & Advisory. ESG sei eine grosse strategische Chance für Citi und die Kunden, insbesondere angesichts der enormen Kapitalverlagerungen, die für die Durchführung der Industrie- und Energieübergänge erforderlich seien.
Konsequenzen des Nichthandelns
Dieser Trend wird sich durch die Coronakrise nur verschärfen, die laut Citi-Chef Michael Corbat als «Generalprobe» für die drohende Klimakrise betrachtet werden kann. Die Pandemie hat zwar bisher nur bestimmte Trends akzentuiert, die sich in ESG-Debatte schon länger abzeichneten. Dafür werden die Konsequenzen des Nichthandelns immer nachvollziehbarer.
Im Zuge der Coronakrise rückte zwar die Digitalisierung und Technologie wieder in den Vordergrund, alleine schon, um den Betrieb der Finanzinstitute aus dem Homeoffice sicherzustellen. Remote Working, oder eben das Arbeiten ausserhalb des Büros, dürfte sowieso für viele Banker zur neuen Norm werden, wie finews.ch vor zwei Monaten berichtet hat. Doch spielt sich dieses Thema auf der operationellen Ebene der jeweiligen Bank ab, während Nachhaltigkeit und Klimawandel, falls die Themen seriös und sinnvoll angegangen werden, die ganze Strategie einer Bank betreffen.
Gezeitenwechsel im Gang
Es ist verständlich, dass die CIOs vor allem im Nachgang der Finanzkrise vor gut zehn Jahren an enormer Priorität gewonnen haben, als alle Banken ihre Compliance –vor allem mittels Informatik – auf Vordermann bringen mussten.
Auch wenn das Thema mit der fortschreitenden digitalen Transformation keineswegs an Relevanz verloren hat, ist es nachvollziehbar, dass sich der Fokus nun allmählich auf die nächste drohende Krise richtet. Zumal die Kundschaft der Bank sich persönlich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzt und digitale Dienstleistungen oder eine modernisierte IT-Struktur eine Voraussetzung sind.