Raiffeisen und Mobiliar wollen gemeinsam das Geschäftsfeld «Wohnen» digitalisieren. Weil sowohl Bank als auch Versicherer genossenschaftlich organisiert sind, soll dieses Allfinanz-Modell funktionieren. Im Zugzwang ist vor allem Raiffeisen.
Joint-Venture auf Augenhöhe, gleiche kulturelle Werte, ähnliche Strukturen – das Argumentarium von Raiffeisen und Mobiliar für einen Erfolg dieser beschlossenen Kooperation klingt nach den klassischen zwei Partnern, die sich gesucht und gefunden haben.
Raiffeisen und Mobiliar: Die Genossenschaftsbank und die Genossenschaftsversicherung, die vertrauenswürdigsten Markennamen auf dem Schweizer Finanzplatz, schlagen eine gemeinsame Zukunft ein, zusammen gekittet nicht durch eine Kapitalverflechtung, sondern durch eine intelligente Zusammenarbeit mit dem sperrigen Arbeitstitel «Plattform für Wohneigentümer»; ein digitales Joint-Venture, das in einem Jahr live gehen soll.
Raiffeisen-CEO Heinz Huber und Mobiliar-CEO Markus Hongler priesen diese Allfinanz-Kooperation am Mittwoch vor den Medien als «ganz grossen Schritt an, um die Kundennähe zu stärken».
5,5 Millionen Kunden
Das Projekt erscheint sinnvoll: Zusammen vereinen Raiffeisen und Mobiliar über 5,5 Millionen Kunden in der Schweiz und über 1'000 Standorte. Banken- und Versicherungsprodukte sind im Tief- und Negativzinsumfeld wieder viel näher aneinander gerückt. Kunden wollen Finanzdienstleistungen zunehmend aus einer Hand und nutzen dafür digitale Kanäle.
Der Bereich Wohnen bietet sich wegen seiner breiten Angebotsmöglichkeiten für Finanzierungs- und Versicherungslösungen besonders an. Zumal Raiffeisen mit 17,6 Prozent Marktanteil der gewichtigste Player im Schweizer Hypothekarmarkt ist und Mobiliar bereits ein «Ökosystem Wohnen» aufgebaut hat.
Die Konkurrenz tummelt sich
Das Potenzial ist für eine gemeinsame Plattform tatsächlich riesig, wie Huber und Hongler betonten. Doch sind Raiffeisen und Mobiliar mit ihrem Vorhaben «Ökosystem Wohnen» nicht allein. Die Baloise-Versicherung verfolgt auch solche Pläne und betätigt sich rege als Käuferin von passenden Startups.
Helvetia, bis letzte Woche 20 Jahre lang der Vertriebspartner von Raiffeisen gewesen, hat mit dem Kauf von Moneypark schon vor drei Jahren den Startschuss für den Aufbau dieses «Ökosystems Wohnen» gegeben.
Eine Ausweitung der Vertriebskooperation mit Helvetia auf diesen Bereich kam für Raiffeisen offenbar nicht in Frage. Huber wollte dazu auf Anfrage nicht direkt Stellung nehmen.
Verschiedene Ausgangslagen
Mit Mobiliar startet die Genossenschaftsbank nun auf der grünen Wiese, was den Aufbau der Plattform betrifft. Die Interessenlage ist dabei auf der gleichen Linie, doch die Ausgangslage scheint jeweils eine andere zu sein.
Mobiliar verfolgt seit fünf Jahren eine Digitalisierungsstrategie, will dafür eine Milliarde ausgeben und hat im «Ökosystem Wohnen» einiges vorzuweisen. Mit Financescout24 ist Mobiliar bereits im digitalen Hypotheken- und Versicherungsgeschäft tätig.
Swisscaution deckt einen weiteren Teil ab. Ende letzten Jahres startete mit Aroov ein Mieterportal und zu Beginn des Jahres hat Mobiliar in Irland ein Insurtech für Zusatzversicherungen gegründet, um auch in Europa tätig zu werden.
Altlasten der Vincenz-Ära
Raiffeisen hatte bislang keine nennenswerte Digitalisierungsstrategie, dafür musste erst die neue Bankenplattform von Avaloq schweizweit eingeführt werden. Und im Bereich Wohnen beschränkt sich das Raiffeisen-Ökosystem auf das Immobilienportal Immocasa sowie auf eine Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Energie, wie Raiffeisen-Chef Huber ergänzte.
In der Konstellation scheint es vor allem Raiffeisen zu sein, die unter Zugzwang steht. Nachdem die Beteiligungsstrategie unter Pierin Vincenz abgebrochen werden musste, steht Raiffeisen wieder vor dem alten Problem: Die Abhängigkeit vom Zinsdifferenzgeschäft.
Defensive Strategie
Dabei war interessant zu hören, dass Mobiliar-Chef Hongler die Kooperation als eine defensive Strategie erklärte.
Eine gemeinsame digitale Plattform diene vor allem auch dazu, die Schnittstelle zum Kunden nicht zu verlieren, sagte Hongler. Die Anbindung des Kunden sei ein zentrales Ziel – und diese drohe durch die aufkommende digitale Konkurrenz verloren zu gehen.
«Die Bedeutung von Netzwerken wird intensiver. Wer die Kundenschnittstelle beherrscht gibt den Ton an», so Hongler, der seit seinem Antritt im Jahr 2011 viel unternommen hat, dass Mobiliar punkto Digitalisierung und entsprechender Unternehmenskultur zu den klingenden Namen in der Schweiz gehört.
Raiffeisen betritt erst jetzt dieses Parkett und es sind offensive Schritte vonnöten, die Erträge aus dem Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft zu steigern, um die Abhängigkeit Zinsgeschäft zu mindern.
Ob ausgerechnet eine «Plattform Wohneigentümer» dazu dient, scheint fraglich. Vielmehr will Raiffeisen – hier aber ohne Mobiliar – entsprechende Ökosysteme für Finanzdienstleistungen, vor allem Vorsorge und Anlage, aufbauen. Spruchreif ist dazu noch nichts.