Die USA werden noch lange mit den Folgen der Immobilienkrise zu kämpfen haben, sagt Monika Piazzesi, die an der Universität in Stanford lehrt.
Das Interview mit der Wissenschaftlerin führte Bernd Kramer, Wirtschaftsredaktor bei der «Badischen Zeitung».
Frau Piazzesi, wenn es um die US-Wirtschaft geht, sprechen viele Beobachter von einem drohenden «double dip». Auf den kurzen Aufschwung nach der Krise folgt ein Abtauchen der Wirtschaft in die Rezession. Läuft die grösste Volkswirtschaft der Welt, erneut Gefahr zu lahmen?
Ich würde es so sagen: Der erwartete, sich selbst tragende Aufschwung in den USA braucht länger, als es die meisten Experten erwartet hatten. Die Wachstumszahlen sind also nicht so hoch wie vor der Krise.
«Man hat Dauer und Ausmass der Krise im US-Immobilienmarkt unterschätzt»
Sie reichen auch nicht aus, um genügend neue Arbeitsplätze zu schaffen – sprich die Arbeitslosigkeit verharrt auf einem hohen Niveau. Bei einer Rezession schrumpft die Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen. Ob dies eintritt, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Warum lagen die Ökonomen falsch?
Man hat die Dauer und das Ausmass der Krise am amerikanischen Immobilienmarkt unterschätzt. Ein Beispiel: Die Zahl der verkauften, bereits genutzten Häuser ist vor kurzem auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren gefallen. Von einem Ende der Schwierigkeiten kann also keine Rede sein.
«Die Depression ist nur bedingt mit den Entwicklungen heute vergleichbar»
Allerdings muss man den Ökonomen zugute halten, dass der schon seit Jahren andauernde Verfall der US-Immobilien auf breiter Front etwas Einzigartiges ist. Auch die Depression in den dreissiger Jahren ist nur bedingt mit den Entwicklungen heute vergleichbar.
Die Niedrigzinspolitik der amerikanischen Notenbank und das 800-Milliarden-Dollar-Konjunkturprogramm der Obama-Regierung – viel Wind um nichts?
Das ist eine Frage des Standpunkts. Klar, man kann sagen, die expansive Geld- und Ausgabenpolitik seitens der Fed und der Regierung hätten nicht die erhoffte Wirkung gebracht. Andererseits muss man sich dann auch die Frage gefallen lassen, ob ohne Programme nicht alles noch schlechter wäre. Die Forschung ist da bislang zu keinem eindeutigen Ergebnis gekommen.
Jedenfalls haben die Entscheidungen der Fed und von Obama nicht die Zuversicht der Verbraucher wie angenommen gestärkt. Einige Bestandteile des Konjunkturprogramms wirken sich auch jetzt erst so richtig aus – zum Beispiel die mit öffentlichen Geldern finanzierten Investitionen in die Infrastruktur.
Ein Schrecken ohne Ende?
Zwischen 2007 und 2009 sank das Nettovermögen der US-Haushalte von 64 Billionen Dollar (auf Englisch: Trillionen) um 16 Billionen Dollar auf 48 Billionen Dollar. Das entspricht einem Rückgang von 25 Prozent. Die Hälfte davon ist auf den Verfall der Hauspreise zurückzuführen, der Rest auf die gesunkenen Börsenkurse.
«Die Amerikaner müssen jetzt sparen. Das schränkt den Konsum ein»
Zwei Drittel aller US-Haushalte besitzen ein Haus – die Verluste betrafen also eine grosse Zahl von Menschen. Etliche davon haben mehr Schulden, als ihr Haus heute wert ist. Die Amerikaner müssen jetzt sparen, das schränkt den Konsum noch eine ganze Weile ein. Angesichts dieser Situation tun sich die Unternehmen schwer mit Neueinstellungen. Die US-Wirtschaft wird noch lange Zeit mit Belastungen zu kämpfen haben.
«Die Chinesen werden für den Niedergang der US-Industrie mitverantwortlich gemacht»
Die US-Notenbank Fed könnte die Inflation fördern und die Amerikaner wären ihre Sorgen los. Die Schulden wären nichts mehr wert.
Natürlich ist das verlockend, zumal die meisten Gläubiger Ausländer sind. Zum Beispiel die Chinesen, die viele US-Staatsanleihen gekauft haben. Sie sind ohnehin nicht beliebt, da sie für den Niedergang der Industrie in den USA mitverantwortlich gemacht werden. Politiker weisen in diesem Zusammenhang immer wieder auf die hohen Überschüsse Chinas im Handel mit den USA hin. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Sympathien für Inflation im Land wachsen.
«Die unmittelbaren Inflationsgefahren sind eher gering»
Allerdings sollte man nie vergessen, dass die US-Notenbank in den achtziger Jahren nur unter grossen Opfern, sprich stark steigenden Arbeitslosenzahlen, die Geldentwertung wieder in den Griff bekommen hat. Diese Lektion haben die Verantwortlichen bei der Notenbank nicht vergessen.
Aber US-Notenbankchef Ben Bernanke betreibt ja schon eine Inflationspolitik. Gerade hat er verkündet, weitere US-Staatsanleihen kaufen zu wollen. Das lässt die Inflationsgefahren wachsen.
Inflation auf Gütermärkten kann nur dann wirklich entstehen, wenn das bereit gestellte Geld von den Unternehmen und den Privathaushalten in Form von Krediten auch tatsächlich stark nachgefragt wird. Angesichts der unsicheren ökonomischen Entwicklung wird sich diese Nachfrage jedoch in Grenzen halten. Deshalb schätze ich die unmittelbaren Inflationsgefahren als eher gering ein.
«Die Gefahr einer Deflation besteht in der Tat»
Dann wandert das Geld eben nicht in zu den Unternehmen und Privathaushalte, sondern wird stattdessen in Rohstoffe oder andere spekulative Geldanlagen gesteckt. Die Folge: eine neue Blase an den Finanzmärkten, deren Platzen die globale Wirtschaft nach unten reisst.
Ich sehe bislang nur beim Goldpreis Übertreibungen.
Sollten Zentralbanken in Zukunft die Leitzinsen auch erhöhen, wenn die Preise für Vermögenswerte stark steigen? Also Aktienkurse, Immobilien- oder Rohstoffpreise in die Höhe schiessen?
Ich bin sehr skeptisch, ob die Männer und Frauen in den Zentralbanken tatsächlich in der Lage sind zu erkennen, ob Immobilien- und Rohstoffpreise oder Aktienkurse übertrieben sind oder nicht. Das wäre eine Anmassung.
Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung in den USA befürchten manche Experten auch eine Deflation. Wie hoch schätzen Sie das Risiko dauerhaft sinkender Güterpreise ein?
Die Gefahr einer Deflation besteht in der Tat. Das wäre zum jetzigen Zeitpunkt schlimm. Die gegenwärtigen Schulden der US-Haushalte würden bei sinkenden Preisen noch mehr wert, das heisst die Schuldenlast noch erdrückender.
Untergräbt die Wirtschaftskrise das Vertrauen der Amerikaner in ihren Präsidenten Barack Obama?
Jeder Präsident wird für die wirtschaftliche Situation verantwortlich gemacht – egal ob Aufschwung oder Rezession. Obama hat das Pech, dass er eine einmalige Krise geerbt hat und nun mit deren Folgen kämpft.
(Eine ausführliche Fassung dieses Interviews ist in der «Badischen Zeitung» erschienen.)
Die 41-jährige Monika Piazzesi ist in Baden- Baden aufgewachsen und hat dort das Abitur gemacht. Nach dem Ökonomiestudium in Heidelberg, Bonn, Paris und Stanford lehrte die Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes unter anderem an der Uni Chicago.
Heute ist sie Professorin an der US-Elite-Universität Stanford, wo sie sich vor allem mit Fragen der Geldpolitik beschäftigt – also zum Beispiel damit, wie sich eine Veränderung des Leitzinsniveaus auf das Wachstum und das Preisniveau auswirken.