Eine neue Studie zeigt, wie sehr sich Beruf und Privatleben auch in der Finanzbranche vermengen. Doch nicht in jeder Sparte ist die Work-Life-Balance gleich schlecht – und auch der Befund für die Schweiz überrascht.
Die Dienstleistungs-Gesellschaft verwischt die Grenze zwischen Arbeit und Privatleben. Allein die ständige Erreichbarkeit okkupiert das Privatleben zusehends. Abschalten ist kaum mehr möglich. Wie es um die so genannte Work-Life-Balance steht, das zeigte kürzlich eine Umfrage des britischen Karriere-Portals «Emolument» bei 1'360 Berufstätigen aus diversen Branchen und Ländern – auch aus dem Finanzsektor.
Investmentbanker im Stress
Besonders stark leidet das Privatleben offenbar bei Investmentbankern im Origination- und Advisory-Bereich. Rund 53 Prozent beschrieben die Situation als «fürchterlich» (siehe Tabelle).
Das Verdikt überrascht nicht: Nachtschichten und 100-Stunden-Wochen gehören zum Alltag eines Investmentbankers. Diese Durststrecke müssen Jungbanker überstehen, wollen sie höher steigen. Dafür zählen sie als gestandene Investmentbanker später in der Regel zu den Bestbezahlten innerhalb der Finanzbranche.
Druck von zwei Seiten
Wenig besser sieht es bei Mitarbeitenden im Middle- und Back-Office aus. Sie würden gleich von zwei Parteien unter Druck gesetzt – den Händlern und den Vertriebsleuten, lautet die Begründung. Zudem sei die Bezahlung vergleichsweise bescheiden und die Überstunden zahlreich. Es gäbe auch kaum Lob für einwandfreie Arbeit, bei Fehlern hingegen werde man sofort getadelt, monieren die Betroffenen.
Deutlich entspannter geht es offenbar bei Bankern im Risiko- und Fondsmanagement zu und her. So bezeichneten rund vier Fünftel der Befragten ihre Work-Life-Balance als befriedigend oder grossartig.
Fondsmanager können als Kunden von Sellside-Analysten die Taktfrequenz selber vorgeben, erklärt Emolument den Befund. Gleichzeitig ende in der Regel die Arbeit der Fondsmanager, wenn die Börsen schliessen, heisst es.
«La vie est belle» in Frankreich
Die Daten wurden auch auf Länderebene ausgewertet – mit teils überraschenden Resultaten. Am besten lassen sich Beruf und Arbeit offenbar in Frankreich trennen (siehe Grafik).
Im westlichen Nachbarland gilt für gewisse Branchen noch die 35-Stunden-Woche. Viele arbeiten aber deutlich mehr, wie die Auswertung der Daten ergeben hat.
Wohl eher überraschend liegt die Schweiz an zweiter Stelle. Jeder Zweite bewertete hierzulande die Work-Life-Balance als zufriedenstellend oder grossartig. Dieser Befund erstaunt in anbetracht der hohen Wochenarbeitszeit oder den im internationalen Vergleich deutlich schlechteren Bedingungen hinsichtlich Mutterschafts- und Vaterschafts-Urlaub.
So sehen gut die Hälfte der Befragten in Deutschland oder Italien das Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben als zufriedenstellend oder hervorragend. Noch schlechter ist die Lage in Spanien – trotz der dortigen Siesta-Tradition.
Lieber mehr Freizeit als Lohn
Auch interessant: Knapp die Hälfte der Berufsleute in Singapur oder Hongkong beklagen eine zu starke Vermischung von Arbeits- und Privatleben. Die beiden Finanzmetropolen sind bekannt dafür, dass die Finanzinstitute ihre Expatriates zwar sehr gut entlöhnen. Allerdings wird von ihnen oft auch verlangt, rund um die Uhr erreichbar zu sein.
Laut Alice Leguay, Mitgründerin von Emolument, ist die Work-Life-Balance mittlerweile zu einem Killer-Kriterium bei der Jobwahl geworden. Dies gelte vor allem für die kommenden Generationen. Diese würden lieber weniger verdienen als ihr Leben in den Dienst der Firma zu stellen.
Das wissen auch die Banken: Wegen des ramponierten Images ohnehin nicht mehr die erste Anlaufstelle für Talente, haben einige Institute bereits Massnahmen ergriffen, um die Work-Life-Balance zu verbessern, wie finews.ch verschiedentlich berichtete.