«Wir müssen die Schweiz kopieren», erklärt der deutsche Ökonom und Professor Hans-Werner Sinn im Interview mit finews.ch überraschend.
Das Interview mit Hans-Werner Sinn führte finews.ch im Hinblick auf die Jahrestagung «Professionelle Kapitalanlage» vom 27./28. Oktober 2015 in Zürich. finews.ch ist Medienpartner an dieser Veranstaltung, und Hans-Werner Sinn tritt als Referent auf. Sein Thema: «Die Euro-Falle – die Entwicklung der Weltwirtschaft und die Situation in Deutschland, der Schweiz und Europa».
Herr Sinn, wie nehmen die Bewohner in der EU die Schweiz heute wahr?
Die Schweiz hat noch immer ein hervorragendes Renommée.
Wo sehen Sie die Stärken und Schwächen der Schweiz im internationalen Kontext?
Die Schweiz ist extrem teuer. Nur noch reiche Leute können dort Urlaub machen. Das Land hat hochproduktive Unternehmen, die derzeit noch produktiver werden müssen, um bestehen zu können.
Was könnte die Schweiz in welchen Bereichen besser machen?
Ich bin immer wieder überrascht, wenn ich sehe, wie das Sozialstaats-Denken sich auch in der Schweiz ausbreitet. Auch die Steuerbelastung ist nicht mehr gering.
Welche Auswirkungen auf die Schweiz hat die aktuelle Entwicklung in der EU?
Die Schweiz wurde durch die Banken-Rettungsschirme mitgerettet, und immer drängte Fluchtkapital dorthin. Das hat die Aufwertung mit negativen Wirkungen auf die Schweizer Wirtschaft verursacht.
Sind Sie ein Berufspessimist, oder auf welchen Annahmen und Erkenntnissen beruht ihre eher kritische Einstellung zur EU?
Ich bin ein Berufsrealist und habe keine kritische Einstellung zur EU. Ganz im Gegenteil halte ich die EU für eine grossartige Errungenschaft der europäischen Nachkriegsgeschichte. Der Freihandel und die Freizügigkeit für die EU-Bewohner haben wesentlich zur wirtschaftlichen Stärkung und zur Erhöhung der Lebensqualität beigetragen. Insofern verstehe ich Ihre Frage nicht. Verwechseln Sie vielleicht das Eurosystem mit der EU?
Dann also anders gefragt: Wie viel Zeit geben Sie der EU respektive dem Euro noch?
Viele Jahre. Es sieht so aus, dass nun im Euro durch öffentliche Schutz- und Transfersysteme eine dauerhafte Fehlallokation von Kapital zugunsten der überteuerten Länder Südeuropas gesichert werden konnte.
Sofern wir in Szenarien denken: Woran dürfte die europäische Staatengemeinschaft respektive die europäische Wirtschaftsunion zu Grunde gehen?
Sie wird nicht zu Grunde gehen, sondern in Ineffizienz und Stagnation verharren, weil das Kapital fehlgeleitet wird.
Was wären aus Ihrer Sicht die zwingend notwendigen Massnahmen um ein geeintes Europa zu erhalten?
Wir müssen die Schweiz kopieren. Also die Armeen zusammenlegen und einen ansonsten schwachen Bundesstaat einrichten mit viel Autonomie der Einzelstaaten und unter Verzicht auf ein Bailout durch fiskalische Rettungsschirme und/oder die Europäische Zentralbank. Halt Leukerbad im Grossen.
Soll die Schweiz der EU beitreten?
Ich würde es als Deutscher wünschen, damit mein Land als Nettozahler entlastet wird. Als Schweizer würde ich es aus dem gleichen Grunde ablehnen.
Wie wird die EU in fünf Jahren aussehen?
Das wüsste ich auch gern.
Der 67-jährige Hans-Werner Sinn ist Ökonom, Hochschullehrer und Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung. Er studierte Volkswirtschaftslehre an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, 1978 folgte die Promotion und 1983 die Habilitation an der Universität Mannheim. Seit 1984 ist er Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Im Jahr 1999 wurde Sinn Präsident des ifo Instituts in München. Seit 1989 ist er ausserdem im wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium tätig und war von 2006 bis 2009 Präsident des International Institute of Public Finance, des Weltverbandes der Finanzwissenschaftler. Der Wirtschaftsexperte ist Autor von zehn Büchern und 139 wissenschaftlichen Aufsätzen und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.