Das Bankgeheimnis ist zum Tode verurteilt, überholt, des Bösen: Dies die vorherrschende Polit-Rhetorik in Europa. Hier eine Gegenstimme – ausgerechnet aus Amerika.
Nein, hier soll nicht die Mär wiederaufbereitet werden, dass die Schweiz das Bankgeheimnis 1935 einführte, um Verfolgte vor den Nazis zu schützen. Die einst beliebte These wurde mehrfach widerlegt, wohl abschliessend 2005 vom damaligen UBS-Historiker Robert Vogler («Das Schweizer Bankgeheimnis: Entstehung, Bedeutung, Mythos»).
Aber irgendwie erstaunt es schon, dass gar niemand mehr einen Kern-Aspekt des Bankgeheimnisses vorbringt: Es hat tatsächlich Leben geschützt. Gerade in diesen Tagen wieder stellen es die Politiker – zumal in Paris und Berlin – einfach als überkommenes und letztlich mieses Schwarzgeldvehikel dar.
Und so fällt eine andere Sichtweise geradezu grell auf. Sie kam jetzt aus Amerika. Dort grub sich das Wirtschaftsmagazin «Forbes» angesichts des «Offshore Leaks»-Skandals in die Materie – und stiess dabei auf eine ältere Studie: «The Swiss Banks», verfasst vom amerikanischen Historiker Theodore Reed Fehrenbach, erschienen im Jahr 1966.
«Normalerweise genügte ein Besuch der Gestapo»
Fehrenbach hatte recherchiert, wie nach Hitlers Machtübernahme tatsächlich Gestapo-Agenten in die Schweiz geschickt wurden, um hier Informationen über deutsche Anleger zu erhalten – oft gegen Bezahlung an korrupte Bankangestellte. Manchmal genügte es auch, in eine Bankfiliale zu marschieren und eine Einzahlung auf den Namen eines verdächtigten Deutschen zu machen: Wurde das Geld angenommen, so war der Kunde überführt.
Fehrenbach schreibt: «Wenn ein Einleger prominent oder hochrangig war, genügte normalerweise ein Besuch der Gestapo, und das Geld kam zurück. Er gestand und wurde leicht bestraft, mit einer Busse oder einer Konfiskation. War der Einleger Jude oder wehrte er sich, so befand er sich nun in ernsthaften Problemen. Das Mindeste, was ihm drohte, war das Konzentrationslager.»
Fehrenbach grub mindestens drei Fälle von Deutschen aus, die wegen ihrer Auslandskonten hingerichtet wurden. Andere wurden von der Gestapo gefoltert, um noch mehr Informationen über Depots zu erlangen. Und in weiteren Fällen tauchten die Kunden selber in der Bank auf, begleitet von massigen Männern, und baten darum, das Konto zu schliessen.
«Sie mussten Gott spielen»
Die Schweizer Bankangestellten befanden sich nun in einem ernsthaften Dilemma: Kam aus Deutschland eine korrekte Anweisung für eine Zahlung, so konnte die Ausführung den Tod des Kunden bedeuten – er war damit überführt. Wurde der Auftrag nicht ausgeführt, so konnte es sein, dass der Kunde gefoltert wurde, um die Zahlung anders durchzusetzen. «Sie mussten Gott spielen», schreibt Fehrenbach über das Dilemma der Schweizer Bankiers.
Ein kleines Detail, wie gesagt, das aber auch zum Gesamtbild gehört – wie viele andere Geschichten. So gehörten bekanntlich damals, nach Hitlers Machtübernahme 1933, die freien deutschen Gewerkschaften zu den ersten Nutzniessern des «Safe Haven» Schweiz: Sie konnten ihr Vermögen hier verstecken, getarnt vom Bankgeheimnis.
Aber vielleicht lassen sich solche Aspekte aus der amerikanischen Fern-Perspektive einfach besser erkennen.
• Daniel Fisher, «Once Upon A Time, Secret Bank Accounts Saved Lives», in: «Forbes», 6. April 2013