Die europäischen und amerikanischen Grossbanken stehen in puncto Kapitalisierung, Risiken und Rentabilität so gut da wie schon lange nicht mehr. Das stärkt auch ihre Zahlungsfähigkeit. Die in vielen Industrieländern ungebremst wachsende Verschuldung untergräbt aber die Bonität der Staaten. Es zeichnen sich Interventionen der Zentralbanken und eine Steuerung der Zinsen ab. 

Die Verschuldung der meisten Industrieländer ist nicht nachhaltig. Die Schuldenquoten nehmen dank der anhaltenden oder sogar noch zunehmenden Ausgabefreudigkeit der Regierungen zu (nach der leichten Besserung, welche die Inflationswelle gebracht hatte), die Schuldentragfähigkeit nimmt aufgrund des höheren Zinsniveaus ab (die Zinsen erreichen ungeachtet der jüngsten Lockerungen der Zentralbanken nicht mehr die tiefen Werte wie vor der Pandemie), und die Optionen, um das Problem zu lösen, reichen von unrealistisch (starkes Wirtschaftswachstum) über politisch schwierig (Austerität) bis hin zu unappetitlich (Schuldenschnitt).

Demgegenüber stehen die meisten grossen europäischen und US-Banken solide da. Die Qualität ihrer Aktiven (Kredite) hat zugenommen, eine vernünftige Risikodisziplin prägt das Geschäftsgebaren, die Rentabilität hat sich auch dank dem höheren Zinsniveau verbessert, und die Kapitalisierung  (Kernkapitalquote) ist – nicht zuletzt dank der Regulierung – gestärkt worden.

Erstmals seit 15 Jahren positive Botschaften zum Bankensektor

Es sei das erste Mal seit 15 Jahren in seiner Karriere als Kreditanalyst, dass er den Banken ein so gutes Attest ausstellen könne und nicht negative Botschaften verkünden müsse, hielt denn auch Guido Versondert, der am Donnerstag am 11. Swiss Bond Congress der auf Bonitätsanalysen spezialisierten Independent Credit View (I-CV) auftrat, pointiert fest.

Doch goss er gleich auch etwas «Wasser in den Wein» des offenbar auch für ihn überraschend positiven Befunds, indem er darauf aufmerksam machte, dass die ausgewiesenen Liquiditätsquoten der Banken zwar auf hohen Niveaus lägen, er aber daran zweifle, dass eine Bank im Krisenfall über ihre beispielsweise in New York oder London gehaltene Liquidität wirklich frei verfügen könne.

Jürgen Starks düsterer Ausblick für die Staatsfinanzen

Eine Portion Skepsis und Vorsicht gehört zum Naturell eines seriösen Qualitätsprüfers der Zahlungsfähigkeit von Schuldnern, lässt sich doch aufgrund des bei Obligationen eng limitierten Aufwärtspotenzials ein Ausfall in einem Anleihenportfolio viel weniger gut kompensieren als bei Aktien.

Nicht aufgehellt wie bei den Banken, sondern ziemlich düster sieht es hingegen bei den Staaten aus, wie Jürgen Stark in seinem Referat klarmachte. Stark weiss, wovon er redet, war er doch seinerzeit als Staatssekretär unter Finanzminister Theo Waigel massgeblich an der Einführung des Euros beteiligt. Danach war er Vizepräsident der Deutschen Bundesbank, bis er 2006 als Direktoriumsmitglied zur Europäischen Zentralbank (EZB) wechselte und dort den Posten des Chefökonomen übernahm. Im September 2011 trat er zurück, weil er die Entscheidungen der EZB in der Finanz- und Eurokrise nicht mehr mittragen wollte.

Verschuldung ohne Ende?

Weltweit sei ein tiefgreifender Wandel im Gefüge der politischen Ökonomie zu beobachten, hielt Stark fest. Der Konsens laute heute, dass der Staat eine immer grössere Rolle in der Volkswirtschaft spielen solle und dies mit zusätzlichen Schulden finanziert werde. Entsprechend sieht denn auch die Entwicklung bei der Verschuldung und der Zinslast aus. Die Schweiz sei dabei eine Insel in einem Meer von Schulden, bemerkte Stark.

Die Anleihenmärkten üben ihre disziplinierende Funktion noch nicht aus. Trotz der jüngsten Ausweitung seien die Renditeaufschläge zwischen den Staatsanleihen in der Europäischen Währungsunion immer noch zu gering, hielt Stark fest. Das setze für die Regierungen falsche Anreize. 

Gefahr abrupter Marktreaktionen

Hinter die mittelfristige Schuldentragfähigkeit einiger europäischer Staaten wie Frankreich oder Italien setzte Stark ein grosses Fragezeichen. Er wies auf das Phänomen einer abrupten Marktreaktion hin, wie 2022 in Grossbritannien, als die damalige Premierministerin ein unorthodoxes Wirtschaftsprogramm vorstellte.

Stark erinnerte auch daran, dass die Kreditqualität eines Staates auch für die Bonität der dort domizilierten Banken eine wichtige Rolle spielt – verschlechtert sich also die Bonität der Staaten fundamental, werden es mittel- und langfristig die Banken schwer haben, solide Bilanzen vorzuzeigen.

Das Versagen des Stabilitätspakts

Breiten Raum widmete Stark den europäischen Fiskalregeln. Er war Ende der 1990er-Jahre in leitender Position an der Gestaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts beteiligt. Dieser Pakt habe bis 2001 einigermassen funktioniert. Dann hätten sich Deutschland und Frankreich um die Regeln foutiert, und die seither erfolgten zahlreichen Revisionen und Reformen (die letzte dieses Jahr) seien in die falsche Richtung gegangen. Der Pakt habe versagt, lautet Starks nüchternes Verdikt.

Die Option kräftiges Wirtschaftswachstum (und damit Herauswachsen aus den Schulden) beurteilte er als unrealistisch, für eine Haushaltskonsolidierung fehle der politische Wille und der gesellschaftliche Konsens.

Interventionen der EZB und Zinsmanipulation als wahrscheinlichstes Szenario

Wahrscheinlicher sind im Krisenfall Käufe der EZB am Anleihenmarkt, wobei das sogenannte Transmissionsschutzinstrument (Transmission Protection Instrument, TPI) im Vordergrund steht. Dieses darf eigentlich nur eingesetzt werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Was Stark davon hält, machte er unmissverständlich klar: «Vergessen Sie diese Qualifikationskriterien, am Schluss wird doch der politische Druck entscheiden.»

Eine weitere Option ist die Schuldenrestrukturierung (Umschuldung/Schuldenschnitt) – diese laufen bei Staaten aber meist relativ chaotisch ab, weil es für sie keine Insolvenzordnung gibt. Auch von den jüngst von Mario Draghi, dem ehemaligen Präsidenten der EZB, im Rahmen seines Plans zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der EU propagierten gemeinsamen EU-Bonds hält Stark wenig. 

Bei der anschliessenden Podiumsdiskussion, an der neben Stark auch Matthias Geissbühler (CIO Raiffeisen Schweiz), Beat Thoma (CIO Fisch Asset Management) und Michael Best (Berlin Global Advisors) teilnahmen, wurde deutlich, in welche Richtung es weitergehen wird. Die Staaten werden sich durchwursteln und wenn nötig das Instrument der finanziellen Repression (weiter) anwenden, also für niedrige Nominalzinsen und negative Realzinsen sorgen – oder mit anderen Worten die Zinsen manipulieren. Wer in Staatsanleihen investiert, muss also damit rechnen, dass er in den kommenden Jahr mehr oder weniger sanft «besteuert» respektive teilenteignet wird.