Von Robert Holzach stammt das geflügelte Wort: Wer ein sauberes Hemd hat, braucht keine weisse Weste. Das könnten sich einige noch lebende Banker hinter die Ohren schreiben. Holzach wäre heute 100 Jahre alt geworden. 

Am (heutigen) 28. September 2022 jährt sich der Geburtstag des 2009 verstorbenen Robert Holzach. Sein Name ist in der Schweizer Finanzbranche kaum mehr geläufig, obschon dieser Bankier ein grosses Vermächtnis hinterlassen hat.

Immerhin findet er in Gesprächen sowie in Leserbriefen und -kommentaren regelmässig als herausragende Persönlichkeit Erwähnung und gilt als einzigartiges Vorbild für Kompetenz, Integrität, Leistung und Verantwortungsbewusstsein.

Vom Praktikanten zum Präsidenten

Doch wer war Robert Holzach (1922-2009), und warum soll er so wichtig gewesen sein? Fast 50 Jahre lang stand er im Dienst der Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG, heute UBS); er begann 1951 als Praktikant in Genf und stieg sämtliche Sprossen der Karriereleiter auf; bis er zuletzt acht Jahre lang Präsident des Verwaltungsrats der SBG war.

Der gebürtige Zürcher, der allerdings in Kreuzlingen im Kanton Thurgau aufwuchs und mit dieser Region stets verbunden blieb, verkörpert einen Typ von Bankier, wie es ihn heute nicht mehr gibt; und wie ihn die heutige Bankbranche ganz besonders benötigen würde, wie manche Stimmen behaupten. Natürlich ist es leicht, die früheren Zeiten zu verklären. Doch das greift zu kurz, um die Leistung und Bedeutung dieser Person zu beurteilen.

Das Geschäft mit der Fristentransformation

Holzach wirkte zu einer Zeit, als das hiesige Bankwesen noch sehr national ausgerichtet und der zentrale Treiber des Geschäfts die Fristentransformation war; also die Entgegennahme von Spargeldern, für die ein bestimmter Zins bezahlt wurde, und parallel dazu die Vergabe von Krediten gegen Zins, insbesondere an (Schweizer) Unternehmen.

Das alles geschah zu einer Zeit, in der die Kapitalmärkte noch nicht die heutige, globale Bedeutung besassen, zumal es damals auch nicht die entsprechende digitale Infrastruktur sowie die heutigen Finanzprodukte gab.

Keine Gnade für Werner K. Rey

Das Geschäft beruhte mehr oder weniger auf der klar messbaren Höhe und Qualität der Bilanzsumme einer Bank und war entsprechend mit wesentlich direkten Risiken für das jeweilige Finanzinstitut verbunden – damit ging naheliegenderweise auch ein anderes Verantwortungsbewusstsein unter den Entscheidungsträgern (Generaldirektoren) einher.

In diesem Sinne erwies sich Holzach als ein profunder Kenner der Schweizer Unternehmenslandschaft, indem es ihm sozusagen mit einem siebten Sinn gelang, die Spreu vom Weizen zu trennen und dabei die SBG mit einer höchst erfolgreichen Kreditvergabe so ausserordentlich erfolgreich zu machen.

Vertrauen ins Bauchgefühl und in die Armee

Legendär ist seine Haltung gegenüber dem waghalsigen Schweizer Financier Werner K. Rey, dem er konsequent jeden Kredit verweigerte. Damit ersparte er der SBG, im Gegensatz zu vielen anderen Banken, riesige Verluste, nachdem Reys Imperium ins Wanken geraten war. 

Holzach verliess sich gerne auf sein «Bauchgefühl» und auf sein weit verzweigtes Beziehungsnetz hierzulande – insbesondere in Armeekreisen – sowie im angrenzenden Ausland, was ihm heute seine Kritiker als Filz auslegen würden. Doch so funktionierte die Wirtschaft bis Ende der 1980er-Jahre; in einer Epoche, als die branchenweite Einführung der Informatik noch am Anfang stand und gleichzeitig der Einfluss von der Wall Street erst am Aufkommen war.

Ein unermüdlicher Warner

Entsprechend hat Holzach stets vehement vor dem Einfluss der Maschinen und Modelle gewarnt und sich stattdessen auf den gesunden Menschenverstand berufen.

Wie eine Offenbarung

Er hielt Werte hoch wie Ehrlichkeit, Loyalität und Leistungsbereitschaft. Dass ihm diese Tugenden wichtig waren, hat er – und dies ist bemerkenswert – in zahlreichen Aufsätzen und Büchern festgehalten, die sich heute wie eine Offenbarung lesen. Einige Zitate sind unvergesslich und werden ab und an noch so gerne zitiert.

Eindrücklich sind seine Äusserungen von 1987, als er von den Harvard-Absoluten in den USA sprach, die sich in nie gekannten Mengen dem Finanzzentrum Wall Street zuwenden, um ihre elitäre Berufung als «Schnellaufsteiger» unter Beweis zu stellen.

Schnellaufsteiger an der Wall Street

«Sie tun es in einer Weise, dass sie ohne irgendwelche berufsethische Verpflichtung möglichst innert Monaten ein Millionen-Plansoll im persönlichen Dollareinkommen zu erreichen oder zu übertreffen versuchen», sagte Holzach anlässlich des 125-jährigen Bestehens der SBG.

An der SBG-Generalversammlung von 1988 erklärte er: «Nur wer als Bankier aus der Welt der blossen Dienstleistung und aus der Rolle als Vollzugsperson ausbricht, wird seiner unternehmerischen Verantwortung gerecht.» Damit stellte er indirekt auch klar, dass sich viele Banker besser nicht zum Bankier berufen fühlen sollten. Doch genau das ist bis heute der Fall.

Wahnwitz der unkontrollierbaren Grösse

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SBG-Grössen: Robert Studer, Robert Holzach und Nikolaus Senn (von links, Bild: ETH)

In den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts war die SBG mit Abstand das erfolgreichste Finanzinstitut der Schweiz, das auch international ein grosses Ansehen genoss. Doch selbst vom grössten Erfolg liess sich der SBG-Präsident nicht euphorisieren.

An der Direktionskonferenz von 1985 sagte er: «Die Megalomanie, der Wahnwitz der unkontrollierbaren Grösse, hat schon immer ins Unglück geführt. Der kleine Kopf der riesenhaften Dinosaurier hat nicht ausgereicht, die Gattung vor dem Aussterben zu bewahren.»

Allzu eifrige Finanzalchimisten

Holzach kündigte bereits im Frühjahr 1987 an, was sich im Herbst des selben Jahres ereignen sollte: «Es sind brutale Ernüchterungen für allzu eifrige Finanzalchimisten zu erwarten. (...) Wen wundert's, dass die Zahl der Finanzskandale zunimmt.»

Wie erinnerlich kam es im Oktober 1987 zum legendären «Black Monday», einem Tag, an dem die Börse in New York um mehr als 20 Prozent einbrach.

Unglaubliche Plattitüden

Zahlreiche Top-Manager, besonders in der Finanzbranche, klammern sich an Plattitüden und geben sich so der Illusion hin, alles im Griff zu haben, wie auch verschiedene Aussagen des langjährigen Credit-Suisse-Präsidenten Urs Rohner dokumentieren – Sätze wie: «Wir haben einen guten Job gemacht», «Das Hin und Her um die Boni ist letztlich eine philosophische Frage» oder «Persönlich haben wir eine weisse Weste».

Das ist reinster Zynismus.

Heute eine Selbstverständlichkeit

Holzach war kein Nationalist, selbst wenn seine Verbundenheit zur Heimat und insbesondere zum Schweizer Militär enorm war. Im Gegenteil, unter seiner Führung expandierte die SBG in alle Herren Länder und erweiterte ihre Angebotspalette fortlaufend.

Er war es auch, der bereits 1968 vier Konzerndivisionen (Kommerz, Finanzen, Ausland und Dienste) einführte, die sich noch lange hielten, und er initiierte auch das heute legendäre System, wonach jeder SBG-Mitarbeitende ein Kürzel mit drei Buchstaben besass. Seines war «HLZ». So schuf er organisatorische Strukturen, die heute eine Selbstverständlichkeit sind in jedem grösseren Unternehmen.

Emmanuel Kant als Vorbild

Trotz seinem Anspruch, der Bank permanent zu weiterem Wachstum und Erfolg zu verhelfen, legte Holzach ebenso viel Wert aufs Massvolle, auf eine fortdauernde Skepsis an den angestammten Denkmustern und an jeglichem Überschwang (heute: Hype) sowie auf die Vernunft im Sinne des deutschen Aufklärungs-Philosophen Emmanuel Kant

Holzachs Stil und Denken trugen ihm auch den Titel des «Gentleman-Bankier» ein, den ihm der einstige NZZ-Redaktor Beat Brenner in einem Artikel informell verlieh.

Heissblütige Spekulationen und Gier

Selbst wenn sich das Bankwesen über die Jahrzehnte und insbesondere nach der Holzach-Ära radikal gewandelt hat, so bleibt ein Anspruch im Wirken dieses Bankiers zentral, dass nämlich der Umgang mit Geld sehr viel mit Geist zu tun hat und entsprechend auch «rein» bleiben soll – also weit entfernt ist von den heissblütigen Spekulationen und der Gier, die spätestens in den frühen 1990er-Jahren von der Wall Street kommend auch in der Schweiz Einzug gehalten haben.

Sie sorgen bis heute dafür, dass das Image der Bankbranche in weiten Kreisen der Bevölkerung so schlecht ist.

Ein grosser Kulturförderer

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Kulturförderer: Robert Holzach (Mitte) mit dem Komponisten John Cage (links) und einer unbekannten Frau (Bild: Keystone)

Was den meisten heutigen Bankern abgeht, ist noch ein weiterer Wesenszug Holzachs: Er fasste seine Berufung zum Bankier ausgesprochen weit auf und verstand sie auch als Dienst an der Gesellschaft.

Vorliebe für James Joyce

Unter diesen Prämissen initiierte er das erste Aus- und Weiterbildungszentrum einer Bank in der Schweiz – den Wolfsberg im thurgauischen Ermatingen; die James-Joyce-Stiftung in Zürich, die Max-Bill-Skulptur an der Zürcher Bahnhofstrasse oder die Sanierung des Augustinerquartiers verbunden mit dem Bau des Hotels Widder am Rennweg.

Darüber hinaus hat Holzach zahlreiche Künstlerinnen und Künstler persönlich unterstützt, zwei Kulturstiftungen initiiert und in Gottlieben TG am Bodensee ein Literaturhaus eingerichtet, das bis heute «Writers in Residence» beherbergt und Lesungen organisiert.

Ende einer Ära

Dass sich Holzach 1997/1998, zum Ende seiner Zeit als Ehrenpräsident der SBG, vehement gegen die Fusion mit dem Schweizerischen Bankverein (SBV) einsetzte, zeugt von der Konsequenz seines Denkens und seiner Schule, die jedoch von einer neuen Epoche der globalisierten Hochfinanz überholt worden war.

Spätesten Ende der 1990er-Jahre hatte die Amerikanisierung auch im Swiss Banking unwiderruflich Einzug gehalten und hat bis heute bei beiden Grossbanken für mehr Substanzvernichtung und Skandale gesorgt als für Erfolg und Nachhaltigkeit – um zuletzt noch einen Trendbegriff unserer Tage zu bemühen.


ffdf02b239932c4682120025bfda1c52 w169Mehr zu Robert Holzach gibt es in dem Buch «Robert Holzach – Ein Schweizer Bankier und seine Zeit» von finews.ch-Gründer und CEO Claude Baumann. Diese erste und einzige Biografie zeichnet dank bisher unveröffentlichter Zeugnisse und Bilder sowie zahlreicher Gespräche mit Weggefährten sein wechselvolles Leben nach. 

Robert Holzach – Ein Schweizer Bankier und seine Zeit
Mit einem Vorwort von Henry Kissinger
304 Seiten | Verlag Neue Zürcher Zeitung | CHF 19.00