Das Geschäftsmodell der Bellevue Group erweist sich im gegenwärtigen Börsentief nur bedingt wetterfest. Die gegenwärtige Zurückhaltung der Anleger nutzt CEO André Rüegg, um die Investment-Boutique für den nächsten Aufschwung vorzubereiten, wie er im Gespräch mit finews.ch erklärt.
Die grösste Stärke kann zuweilen zur grössten Schwäche werden. Dieser Gedanke drängt sich beim gegenwärtigen Geschäftsgang der Bellevue Gruppe auf. Denn der stark von den Aktienmärkten beeinflusste Schweizer Asset Manager ist in den Sog des Abwärtsstrudels an den Börsen geraten. Noch vor einem guten Jahr hatten die Kräfte in die entgegengesetzte Richtung gewirkt und das Fondshaus beflügelt.
Umso wichtiger ist für André Rüegg, in diesem «perfekten Sturm» die Nerven zu behalten und den Kunden das Profil der Investment-Boutique für professionelle Anleger in Erinnerung zu rufen. Wie der CEO der Bellevue Group im Gespräch mit finews.ch unterstreicht, sind die Werttreiber tatsächlich in hohem Mass mit der Aktienmarktentwicklung des Gesundheitssektors verknüpft, namentlich mit dem Biotech-Bereich.
Diese Abhängigkeit spiegelte sich in einem deutlichen Rückgang der verwalteten Vermögen um 25 Prozent im ersten Halbjahr 2022 auf 9,6 Milliarden Franken.
Kosten im Griff
Doch das Unternehmen hat auch eine Kostenstruktur, die sich Ausschlägen in alle Richtungen anpasst. Aufgrund eines unternehmerischen Entschädigungsmodells, wie Rüegg es nennt, reduzierte sich allein der Personalaufwand bei unverändertem Mitarbeiterbestand im ersten Halbjahr 2022 um knapp 40 Prozent.
Kein Alarmzeichen ist für Rüegg, dass im ersten Semester 2022 in geringem Ausmass Kundengelder abflossen. Darin zeige sich die derzeitige Risikoscheu der Anleger. Hinzu komme, dass Banken auch in schwierigen Zeiten neue Vermögen anziehen können, sei es auch nur Barmittel oder durch die Schöpfung von Krediten. Diese Möglichkeit bestehe bei Asset Managern naturgemäss nicht, denn mit Investitionen in Anlageprodukte gehe man immer ins Risiko.
Wachstum wie in einer Petrischale
Zwar schmiegt sich das Geschäftsmodell des Asset Managers gut den Ausschlägen an den Börsen an. Dennoch hat das Unternehmen schon einige Zeit vor dem jetzigen Einbruch an den Kapitalmärkten nach einem zweiten Ertragspfeiler Ausschau gehalten, um die Abhängigkeit von den Börsen zu reduzieren.
Fündig geworden ist man im Bereich Privatmarktanlagen, als Bellevue 2019 die Firma Adbodmer übernahm. Rüegg vergleicht dieses Investmentunternehmen mit einer Petrischale, die in den nächsten drei bis fünf Jahren den Nährboden für ein Anlagevolumen von rund 1 Milliarde Franken schaffen kann, das jährliche Erträge von über 10 Millionen Franken in diesem strukturellen Wachstumsmarkt abwerfen soll.
Finanzierungen für etablierte KMU
Adbodmer nimmt dabei mittelgrosse Unternehmen aus der Schweiz, Österreich und Deutschland unter die Lupe, die wachsen wollen, ohne sich bei Banken zu verschulden oder sich an der Börse weiteren Offenlegungsvorschriften und einem grösseren Scheinwerferlicht auszusetzen.
Wenn diese häufig eigentümergeführten Unternehmen aus allen möglichen Industriebereichen nach Minderheitsbeteiligungen Ausschau halten, kann die Bellevue Group ihre Dienste als Finanziererin anbieten. Im Gegenzug springen eine Erfolgsbeteiligung und Verwaltungsgebühren heraus.
Beitrag an einen gesunden Wirtschaftsstandort
Rüegg ist überzeugt, dass diese Art der Finanzierung die Klein- und Mittelunternehmen in ihrer Unabhängigkeit stärkt und ihre Wachstumschancen vergrössert. Letztlich wird so auch der Wirtschaftsstandort Schweiz gestärkt, sind doch die Klein- und Mittelunternehmen das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft.
Mit dieser ausbalancierten Strategie, die neben den bisherigen Gesundheitsthemen zunehmend auf Privatmarktanlagen setzt, ist die «Multi-Boutique» laut Rüegg gut für die Zukunft gewappnet. Denn die Megatrends im Gesundheitssektor blieben intakt, und im operativen Geschäft seien keine finanziellen oder rechtlichen Lasten zu tragen, wie er im Gespräch weiter erklärt.
Risiken nie aus den Augen verlieren
Neben der Entwicklung neuer Angebote versteht sich Rüegg auch als Hüter einer Risikokultur, wonach man zum einen «nur Sachen macht, die man auch versteht» und zum andern zu seinem Wort steht. «We eat our own cooking», lautet deshalb der Wahlspruch des Unternehmens.
So erklärt sich auch, weshalb ein Grossteil der Angestellten Aktien des Unternehmens halten oder selber in Produkte des Asset Managers investiert sind. Die eigenen Portfolio-Manager beziehen sogar die Hälfte ihrer variablen Entschädigung in Form von Anteilen an Anlageprodukten, für die sie zuständig sind. Stabilität versprechen ausserdem die Ankeraktionäre, sowie weitere Kerninvestoren wie der Milliardär Hansjörg Wyss, die mehr als 40 Prozent des Aktienkapitals auf sich vereinen.
Zeit für Innenrenovationen
Gleichwohl könnte sich das Wachstum in den nächsten Jahren nicht mehr im gleichen Ausmass wiederholen. Dass wieder wählerischer investiert werden muss, hat aber für Rüegg nicht nur Nachteile, sondern ist durchaus heilsam. Ausserdem bündelt er als CEO mit seiner Mannschaft die Kräfte und «schleift am eigenen Haus», um für einen nächsten Aufschwung gerüstet zu sein.
Rüegg bekräftigt auch, die mittelfristigen Ziele mit einer aktionärsfreundlichen Dividendenrendite von 5 Prozent einzuhalten. Damit stellt er für das Geschäftsjahr 2022 indirekt einen Gewinn von 25 Millionen Franken in Aussicht.